Krise am Wohnungsmarkt

Experte prophezeit: Mietenwahnsinn geht weiter – „Wir waren verwöhnt durch niedrige Preise“

Wohnungen
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Begehrt, knapp und teuer: Wohnungen wie hier in Berlin. 

Deutschland ist ein Land der Mieter. Und das ist ein Problem. Denn die Mieten steigen unaufhaltsam. Was dagegen hilft: Eigentum. Zu teuer? Nein, sagt Michael Voigtländer. Der Staat soll mit Darlehen helfen.

Berlin – Die Nachrichten klingen düster. In Deutschland verschlimmert sich die Wohnungsnot dramatisch. Laut einer Studie fehlen bundesweit 700.000 Wohnungen – vor allem im mittleren und unteren Preissegment. Besonders in den Großstädten ist die Lage prekär: hohe Mieten und zu wenige Wohnungen einerseits, eine schier unersättliche Nachfrage andererseits. Ein explosives Gemisch. Wohnen ist die neue soziale Frage.

Michael Voigtländer gehört nicht zu denen, die emotional auf das Thema blicken. Er ist Ökonom am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln und beschäftigt sich beruflich mit Immobilienmärkten. Im Interview mit dem Münchner Merkur von IPPEN.MEDIA sagt Voigtländer, was auf die Deutschen in Zeiten steigender Zinsen zukommt – und warum es die Ampel nicht schafft, die geplanten 400.000 Wohnungen im Jahr zu bauen.

Herr Voigtländer, es sieht so aus, dass der Immobilienboom in Deutschland seinen Zenit erreicht hat. Viele Experten erwarten fallende Preise für Häuser und Wohnungen. Ist das ein gutes Zeichen?
Das ist eine Frage der Perspektive. Aus Sicht der Eigentümer: eher ungünstig. Für diejenigen, die kaufen wollen, ist es vielleicht ein gutes Signal.
Das klingt nach einem „aber“.
Man muss nach dem Grund schauen, warum die Preise jetzt nicht mehr so stark steigen oder sogar sinken. Es hat mit den Zinsen zu tun. Sie ziehen an, die Finanzierung wird also teurer, und damit nimmt auch die Erschwinglichkeit von Wohneigentum ab. Und das ist per se erstmal ein schlechtes Signal.
Das heißt: Die Preise sinken zwar nominal, aber die Zinsen steigen – und unterm Strich, also real, bleiben Immobilien teuer?
Ja, so ist es. Ich erwarte aber, dass sich der Markt stärker ausdifferenziert. Es ist gut möglich, dass es bei älteren, unsanierten Immobilien mit einem hohen Energieverbrauch deutliche Preisabschläge gibt. Bei den energieeffizienten Gebäuden und denen in guter Lage sehe ich keine große Chance auf eine Preisreduktion – ich rechne eher mit einer Seitwärtsbewegung im Markt.

Mietenwahnsinn und Wohnungsnot: Experte sagt, was die Politik tun kann

Dabei galten Immobilien in Ballungsgebieten wie München, Hamburg und Frankfurt bislang schon als überteuert. Ist Wohneigentum für breite Bevölkerungsschichten überhaupt noch erreichbar?
Im Moment ist es schwierig. Man darf aber nicht vergessen: Es ist nicht so, dass Wohneigentum in den letzten zehn Jahren unerschwinglich war – im Gegenteil. Trotz der hohen Preise konnten Käufer oft günstiger wohnen als der Mieter. Das Problem ist: Viele Menschen bringen für den Kauf zu wenig Eigenkapital mit, um etwa die Grunderwerbssteuer oder den Makler zu bezahlen. Und jetzt kommen noch steigende Zinsen hinzu.
Was kann die Politik tun?
Es kommt darauf an, den Zugang zu Eigentum – ich spreche bewusst nicht von Subventionen – zu erleichtern. In vielen Ländern gibt es einen Freibeitrag bei der Grunderwerbssteuer. Ebenso wäre es denkbar, staatliche Darlehen als Ersatz für Eigenkapital zu gewähren, um diese Hürde zu überspringen. Das würde Menschen ganz unmittelbar und vor allem zielgenau helfen.
Was bedeutet die aktuelle Konstellation – sinkende Preise, steigende Zinsen – für den Mietmarkt?
Tatsächlich ist es für Mieter gerade sehr, sehr ungünstig, vor allem für alle, die eine Wohnung suchen. Zuletzt sind die Neuvertragsmieten deutlich stärker gestiegen als in den Jahren zuvor, weil die Vermieter die Inflation bei der Setzung der Mieten berücksichtigen – und die lag im letzten Jahr bei 7,9 Prozent.
Michael Voigtländer (48) ist Ökonom am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit Immobilienmärkten und Wohnungspolitik. 

Ökonom: Warum es falsch wäre, Indexmieten zu verbieten

Welche weiteren Gründe gibt es für steigende Mieten?
Die Neubauaktivität ist deutlich zurückgegangen. Und: Viele Menschen, die bisher nach Wohneigentum gesucht haben, könnten durch steigende Zinsen davon wieder absehen. Sie haben in der Regel hohe Einkommen und drängen nun auch auf den Mietmarkt, was die Mieten weiter treibt. Und das bedeutet: Es wird schwieriger, eine Wohnung zu finden. Und wenn man sie findet, ist sie wahrscheinlich noch teurer.
Vor allem Indexmieten – also Mieten, die sich an der Inflation orientieren – stehen in der Kritik. Der Deutsche Mieterbund (DMB) würde sie am liebsten verbieten. Eine gute Idee?
Wer in den letzten 20 Jahren eine Indexmiete hatte, ist damit gut gefahren, da die Inflation niedrig war. Jetzt ist das anders. Und trotzdem: Die Indexmiete hat auch Vorteile. Die Modernisierungsumlage entfällt durch sie. Vermieter können diese Kosten nicht zusätzlich auf die Mieter umlegen. Aktuell ist es so, dass die Inflation hoch ist, die Löhne aber nicht so schnell nachziehen. Für die Mieter ist das im Einzelfall problematisch. Ich würde aber nicht so weit gehen, Indexmieten komplett zu verbieten. Worüber man aber sicherlich reden kann, ist, eine Kappungsgrenze von dreieinhalb Prozent pro Jahr einzuführen – so, wie es der Hamburger Senat vorgeschlagen hat.
Die Bundesregierung setzt darauf, das Wohnproblem mit Neubau zu lösen. Dafür sollen 400.000 neue Wohnungen jährlich entstehen. Im letzten Jahr waren es aber nur 290.000, in diesem Jahr könnten es noch weniger werden. Was läuft schief?
Wir hatten in den letzten Jahren immer das Problem, dass es zu wenig Bauland gibt. Es gab viele Interessenten, aber zu wenige Flächen. Jetzt haben wir das Problem, dass Investoren und Kapitalanleger nicht mehr bereit sind, die hohen Zinsen zu zahlen. Viele Projekte liegen also auf Eis. Hinzu kommen in Deutschland die hohen Baukosten – etwa durch sehr hohe energetische Standards oder Schall- oder Brandschutz. Ein Blick ins Ausland zeigt, dass Bauen auch günstiger geht.

So wohnt Deutschland

Lesen Sie hier, mit welchen Kosten Häuslebauer rechnen müssen.

Auch für Mieter ist es eine harte Zeit. Lesen Sie hier, wie die Mieten explodiert sind.

IW-Experte Voigtländer über Großstädte: „Es wird schwer, den Preisanstieg zu dämpfen“

Das heißt also, dass der Mietpreisanstieg in den Ballungsgebieten ungehindert weitergeht?
Die Großstädte sind wirtschaftlich stark, sie ziehen viele Menschen an. Daher wäre es sinnvoll, den Neubau auf diese Regionen zu konzentrieren. Das heißt also: nachverdichten, neue Stadtteile erschließen, eine bessere Anbindung an das Umland – auch das kann entlasten. Zur Wahrheit gehört aber ebenso: Städte wie Berlin, Hamburg oder München haben ein unheimliches Sogpotential. Da wird es schwer, den Preisanstieg zu dämpfen oder die Preise gar zu drehen.
Wenn selbst mehr Neubau nur dazu führt, den Anstieg der Mieten zu dämpfen: Wäre es dann nicht – auch politisch – ehrlich zu sagen: Wir können diese Entwicklung nicht ändern, sie höchstens moderieren?
Ja, ich glaube schon, dass das richtig wäre. Wir sind natürlich auch verwöhnt durch die 2000er-Jahre. Die Mieten in den Großstädten haben sich damals – auch dank der üppigen Bautätigkeit in den 90ern – kaum verändert. Berlin war sogar sehr, sehr günstig. Aber auch in München war die Preisentwicklung moderat. Nur: Das ist eben nicht der Normalfall. Die Normalität ist, dass Großstädte sehr teuer werden.
Und durch den Krieg in der Ukraine kommen noch Hunderttausende Menschen dazu, die auch Wohnraum benötigen.
Das ist zusätzlicher Druck, der da entsteht. Die Frage ist: Wo können diese Menschen kurzfristig unterkommen? Und wie viele von ihnen bleiben auch langfristig? Es gibt sicherlich flexible Möglichkeiten. Aber zumindest kurzfristig bedeutet es eine zusätzliche Belastung für den Wohnungsmarkt.
Gibt es denn nichts, was verzweifelten Wohnungssuchenden und Mietern – zumindest perspektivisch – Hoffnung machen könnte?
Es gibt Genossenschaften und städtische Wohnungsbaugesellschaften, die preisdämpfend auf den Markt einwirken. Doch auch sie haben das Problem, dass Grundstücke fehlen und die Neubaukosten stark gestiegen sind. Ich fürchte: In den Großstädten bleibt der Wohnungsmarkt schwierig. Die Mieten dürften in den nächsten Jahren weiter steigen – das dürfte das Einzugsgebiet der Großstädte weiter vergrößern, wovon auch etwas abgelegenere Umlandgemeinden profitieren könnten. 

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