Russland-Ukraine-Krieg
Zwei Cousinen flüchten vor dem Krieg nach Solingen
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In der Seniorenresidenz am Theater stehen Wohnungen aus dem betreuten Wohnen Menschen aus der Ukraine offen.
Von Philipp Müller
Solingen. Der kleine David haut fröhlich mit dem Teelöffel auf den Tisch in einem Gruppenraum der Seniorenresidenz am Theater. Der einjährige Säugling begreift noch nicht, warum seine Mutter Olha so ernst schaut, ihn ganz besonders fürsorglich auf dem Schoß trägt. Sie ist mit ihm und seiner Schwester Polina abenteuerlich aus dem Kriegsgebiet in der Ukraine geflohen. Im Privatfahrzeug hat sie sich zusammen mit ihrer Cousine Maryna und deren Töchtern Zolia und Vaselina aus der Stadt Poltawa, zwischen Kiew und Charkiw gelegen, über die polnische Grenze nach Düsseldorf aufgemacht.
Solingen zeigt sich solidarisch mit der Ukraine - So können Sie jetzt helfen
Ihr Ziel war Alex, ein gebürtiger Ukrainer, der jetzt bei der Wohnungsvermittlung hilft. Jetzt kommt ein Stück Zufall ins Spiel, warum die beiden jungen Ukrainerinnen in Solingen gelandet sind. Nicole Schwarz von der Verwaltung erklärt es. Zunächst habe die Seniorenresidenz bei der Stadt ihre freien Wohnungen angeboten. Jedoch keine Resonanz erhalten. Es folgte ein Aufruf auf Facebook, und Alex habe sich gemeldet. Die sechs Geflüchteten konnten kommen. Und sie sind nicht die Einzigen. Noch drei weitere Familien fanden über den privaten Weg so Unterschlupf am Theater.
Keinem Senior wird bei uns ein Platz weggenommen.
Möglich gemacht hat das die Initiative von Kurt-Josef Michels, er ist Geschäftsführer der Michels-Gruppe, die viele Einrichtungen unterhält. Michels habe verkündet, es sollten Flüchtlinge aufgenommen werden, die so lange bleiben könnten, wie es nötig sei, berichtet Nicole Schwarz.
Machbar sei dies vor allem, weil gerade die größeren Wohnungen aus dem Bestand des betreuten Wohnens am Theater leer stehen, erklärt Birgül Ünlü vom Sozialen Dienst der Residenz. Es würde also keinem suchenden Senior ein stationärer Platz weggenommen, versichert sie.
Und die Seniorenresidenz versorgt die Angekommenen auch mit Essen vom Frühstück bis zum Abendessen. Seit dem 10. März begann die Einrichtung damit, Flüchtlingsfamilien aus der Ukraine aufzunehmen. Schwarz und Ünlü berichten, dass alle anfangs sehr erschöpft von der langen Fluchtreise gewesen waren. Die Verständigung klappe auch mit ein bisschen Englisch. „Vieles geht aber über Gesten“, erzählt Ünlü.
Zum Team der Residenz gehört auch Freddi Ruta. Die gebürtige Litauerin übersetzt auf Russisch, was Olha und Maryna erzählen. Zwei- bis dreimal telefonieren die beiden mit ihren zurückgelassenen Ehemännern. Möglich macht das eine kostenlose Sim-Karte der Deutschen Telekom, mit der sie kostenfrei in die Heimat anrufen können. So gefasst sie wirken, so erschütternd sind die Berichte. Es geht wild durcheinander.
Die beiden Cousinen berichten erschütternde Erlebnisse
Sie erzählen von Freunden aus Charkiw, die den ganzen Tag nur noch im Bunker sitzen. Dann bricht Übersetzerin Freddi Rota in Tränen aus und gibt wieder, was aus den beiden Müttern heraussprudelt: Russische Soldaten vergewaltigen Frauen in besetzten Orten. Kinder schlagen sie. Poltawa liegt noch etwas entfernt von der Front. Ihre Ehemänner würden als Freiwillige helfen, die Stadt zu befestigen.
Doch die russischen Streitkräfte näherten sich der Stadt bereits immer mehr. Nicht weit entfernt in anderen Dörfern, die schon unter Beschuss liegen, kämen die Menschen überhaupt nicht mehr aus den Kellern. Essen und Trinken würde durch Schlitze in die Räume gereicht. Wasser und Strom gibt es nicht mehr überall. Das Essen wird auch knapp.
Da ist der immer fröhliche David kaum ein Trost. Große Angst um das Leben ihrer Gatten haben sie auch, doch darüber möchten Maryna und Olha lieber nicht sprechen. Stumm hören die drei kleinen Mädchen dem zu. Sie bekommen natürlich bereits mit, was in der Heimat passiert.
In der Residenz wissen sie, dass ihre neuen Gäste alle schwer traumatisiert sind. Einrichtungsleiterin Daniela Thielker berichtet, dass sie schnell Kontakt zu den Senioren bekommen werden. Der Impfstatus werde dazu aufgefrischt, damit das möglich ist. Und Kontakt zu anderen Flüchtenden aus der Ukraine wird es auch geben, sagt Birgül Ünlü. Ein Treffen werde gerade organisiert.
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580 Flüchtende aus der Ukraine
Stand Mittwochabend waren rund 580 Menschen aus der Ukraine in Solingen angekommen. „Etwa 500 sind bisher privat untergebracht, die anderen in städtischen Unterkünften“, berichtet Stadtsprecher Daniel Hadrys. Neu Ankommende werden gebeten, sich zügig zu registrieren. Nur so kann auch Hilfe der Stadt die Flüchtenden erreichen. Möglich ist das im Impfzentrum an der Kölner Straße am Montag, Dienstag und Mittwoch jeweils in der Zeit von 11 bis 16 Uhr. Infos unter Tel. 25 08 83 50
fluechtlingshilfe@solingen.de