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Magersucht belastet die ganze Familie
Von Luna Palombo, 8b, Humboldtgymnasium
Die junge Frau öffnet die Türe ihres Büros und lächelt. Am Türschild steht in fettgedruckten Buchstaben „Essstörungen-Suchtberatung“. „Tritt ruhig ein! Du bist wahrscheinlich die kleine Reporterin, die mehr über meine Krankheit erfahren möchte“, sagt sie.
An der Wand hängt ein Poster im XXL-Format, auf dem eine abgemagerte junge Frau mit braunen kurzen Haaren und einem knochigen Gesicht zu sehen ist. Ein beängstigendes Bild. Claudia ist auf dem Poster kaum zu erkennen, nur ihre leuchtend blauen Augen verraten ihre Identität.
Claudia machte ihr Essen ungenießbar
Acht Jahre lang litt Claudia an Magersucht. Alles fing damit an, dass ihre Klassenkameraden ihr sagten, dass sie zu dick sei, um den Schokoriegel zu essen, den ihr ihre Mutter jeden Tag in die Brotdose legte. „Dabei“, sagt sie, „war ich eigentlich ein ganz normales Mädchen. Ich war nur schüchterner und kindlicher als die anderen Mädchen meiner Klasse. Leute, die anders sind, sind meistens ein Angriffspunkt.‘‘ Jeden Tag musste sie sich Kommentare jeglicher Art zu ihrem Äußeren gefallen lassen. Bis sie anfing, ihren Körper zu hassen.
Sie aß immer weniger und fühlte sich dabei so, als würde sie eine Leistung vollbringen. Dass sie immer dünner wurde und die Waage fast täglich weniger Kilos anzeigte, war für sie ein Erfolgserlebnis. „Meine Mitschülerinnen fingen plötzlich an, Interesse für mein rasches Abmagern zu zeigen“, erzählt sie.
Diese Anerkennung spornte sie dazu an, immer mehr abzunehmen und immer neue Tricks zu entwickeln, um das Essen nicht zu sich nehmen zu müssen. „Zum Beispiel habe ich das Essen so oft warm gemacht, bis es nur noch aus Kohle bestand und man es dann entsorgen konnte.“
Als ihre Eltern mit der Zeit bemerkten, dass etwas mit ihr nicht stimmte, ließen sie die damals noch 14-jährige Teenagerin in eine Klinik einweisen. „Als ich in der Psychiatrie war, wurde ich nur vollgestopft. Und da ich enorm Heimweh hatte, nahm ich zu, um aus der Klinik raus zu kommen.“
Die Magersucht sei wohl nur eine Phase gewesen, sagten die Psychologen ihren Eltern am Tag der Entlassung. Einige Wochen später ging es aber wieder bergab mit Claudia und sie verlor rapide an Gewicht. ,,Meine Eltern waren hilflos. Und ich jeden Tag kraftloser! Ich hörte meine Mutter nachts weinen und stundenlang mit meinem Vater diskutieren“, erzählt sie heute.
In einer dieser vielen Nächte wurde ihr bewusst, wie groß die Machtlosigkeit ihrer Eltern war und wie groß die Macht dieser Krankheit über sie alle war. „Ich weiß nicht mehr genau warum, aber an einem Abend setzte ich mich mit unserem alten Familienalbum ins Wohnzimmer und schaute mir meine alten Kinderfotos an. Da hörte ich meinen Vater sagen: ,Ich möchte nicht, dass Du stirbst!‘. Dieser Satz meines Vaters bewegte etwas in mir, das ich nicht in Worte fassen kann.“
Das war der erste Abend seit langer Zeit, an dem Claudia ein halbes Toastbrot mit Nutella aß und sich sagte: „Ich will leben!“