Andacht
Zeit haben – was für ein Luxus
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Andacht im ST – heute mit der evangelischen Pfarrerin Karin Ebbinghaus.
Liebe Leserin, lieber Leser!
Hurra – Ferien! Lachende, zeugnisschwingende Schüler und Schülerinnen rennen aus der Schule heraus. Jedes Jahr im Sommer – wie Freigelassene. Die, die nichts zu lachen haben, die nicht versetzt werden, fallen in der Menge nicht auf. Aber auch sie sind erstmal erleichtert: endlich Ferien! Den Lehrkräften geht es nicht anders nach dem zweiten Jahr Corona. Die Pandemie hat uns allen wieder viel abverlangt, nicht nur in der Schule! Und die Herausforderungen bleiben. Kein Wunder, dass sich alle nun nach Ferien sehnen. Endlich Ferien! Das ist ein Lebensgefühl. Freiheit, Erholung, Ausspannen. Urlaub, raus aus der Routine, der Arbeit, dem Druck. Ferien – welche Gedanken und Gefühle, welche Sehnsüchte weckt das bei Ihnen?
So verschieden unser Leben ist, so verschieden sind auch unserer Sehnsüchte. Nicht nur, aber auch in den Ferien. Die einen zieht es in die Berge, andere ans Meer, in ferne Länder, oder das Paradies liegt ganz nah: vor der eigenen Haustüre, in den Wupperbergen und vielleicht sogar zu Hause. Dort einfach ausspannen, das tun, wozu man sonst nicht kommt. Und Zeit haben – was für ein Luxus! Vielleicht sogar einfach mal die Zeit totschlagen, der Langeweile im positiven Sinne Raum und Zeit geben. Damit wirklich Ruhe einkehren kann in die Gedanken und die Seele aufatmen kann. Für mich sind Ferien auch immer eine Zeit des Innehaltens mit Gott. Eine Zeit besonderer Zwiesprache mit Gott – besonders beim Wandern. Oft singt es dann in mir ganz automatisch mit dem Liederdichter Paul Gerhardt: „Geh aus mein Herz und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit an deines Gottes Gaben“: Die Schönheit und Wunder der Natur zu entdecken und zu erleben, auf einem Berggipfel die Weite des Himmels zu spüren, all das lässt mich und meine Seele aufatmen, lässt mich dankbar werden. Ferien! Das bedeutet für mich auch Dankbarkeit! Heißt zu spüren und zu entdecken, wie gut es mir geht.
Dass ich Menschen habe, die mein Leben reich machen, dass ich bisher vor allzu schlimmen Erfahrungen verschont geblieben bin, dass es mir gut geht, dass ich in Frieden leben darf – was für ein Geschenk, gerade jetzt! Dankbar bin ich auch für meine Arbeit, die mich erfüllt und von der ich leben kann – beileibe nicht selbstverständlich! Dankbar auch, dass ich jetzt erholsame Ferien machen kann.
Für unzählige Menschen bleiben erholsame Ferien aber ein Traum. Weltweit! Ferien machen auch Gegensätze spürbar, weil es in unserer Welt diese ungleichen und ungerechten Lebensbedingungen gibt. Manchmal sagen mir Schüler, dass sie sich schon am letzten Schultag darauf freuen, wenn nach den Ferien die Schule wieder losgeht. Mich macht das traurig. Es ist kein Lob auf die Schule oder den guten Unterricht, sondern die Angst vor Streit und Stress zu Hause. Sechs Wochen auf engstem Raum mit den kleinen Geschwistern und überforderten Eltern. Das ist keine Erholung. Aber so können Ferien eben auch sein. Auch in anderer Hinsicht können Ferien eine zwiespältige Zeit und Erfahrung sein: Die Trennungsrate von Paaren steigt nach den Ferien. Die Ferien, überfrachtet mit viel zu viel Erwartungen, konnten die Ehe nicht retten. Die Ferien sind auch eine widersprüchliche Zeit. Das lässt sich nicht wegdiskutieren.
Selbstverständlich ist nichts
Trotz allem: Ich möchte die Ferien jetzt genießen. Ich werde hinausgehen in Gottes Garten – die Schönheit der Welt genießen, die Ruhe und Gespräche und den Wein. Es wird mir guttun. Ich werde neue Kraft schöpfen. Und es wird mich dankbar machen, weil es mich innehalten lässt und mir für manche Selbstverständlichkeit wieder neu die Augen öffnet.
Nein, selbstverständlich ist nichts. Nicht die Arbeit, nicht die Gesundheit, nicht die Menschen, die mein Leben reich machen, und auch nicht die Ferien. Alles ist ein Geschenk: Gott sei Dank!
Ihre Karin Ebbinghaus