Wohnen
Ohne Leim und ohne Heizung: Wohnen im Tiny-Haus
- 0 Kommentare
-
Feedback
schließen
- Weitere
Hückeswagener Firma baut Holzhaus aus Mondholz in Wuppertal Cronenberg.
Von Sven Schlickowey
HÜCKESWAGEN/WUPPERTAL Eine Dusche und eine Toilette, eine Sitzecke, eine kleine Küche und eine Schlafgelegenheit oben unterm Dach – das neue Haus von Christine Nordmann hat alles, was man braucht. Allerdings auf gerade mal 16 Quadratmetern. Die Wuppertalerin wohnt seit kurzem in einem Tiny-Haus. Gebaut hat das die Hückeswagener Zimmerei Zultner.
Für die ist das kleine Wohngebäude in Cronenberg nicht nur wegen der kompakten Abmessungen ein besonderes Projekt. Auch die Bauweise ist außergewöhnlich. Das Haus besteht aus nahezu unbehandeltem und vor allem unverleimten Massivholzwänden. Und es kommt, auch im Bergischen, ganz ohne Heizung aus. „Das sind solche Sachen, über die wir uns wirklich freuen“, gibt Dieter Zultner, einer der Geschäftsführer, zu.
Holzhäuser baut das Hückeswagener Unternehmen schon länger, seit ein paar Jahren beschäftige man sich zudem mit einer Technik, die der österreichische Forstwirt Erwin Thoma entwickelt hat, berichtet Zultner. Ziel sei es, Wohnräume ohne chemische Belastung zu bauen. Also solche, „die nicht krank machen“.
Zum Einsatz kommt dabei sogenanntes Mondholz von Bäumen, die unter Berücksichtigung des forstwirtschaftlichen Mondkalenders gefällt werden. Ein durchaus umstrittener Ansatz, den zum Beispiel die TU Dresden in der Vergangenheit als „Volksglaube“ abgetan hat. Auf den die Firma Zultner aber schwört.
Das Holz werde zu einem Zeitpunkt gewonnen, wenn die Säfte aus dem Holz getrieben würden, erläutert Dieter Zultner: „Da ist dann nicht mehr Leckeres drin, wo ein Tier reingehen möchte.“ Zudem enthalte das Holz weniger Feuchtigkeit und stehe deswegen besser. Zahlreiche Beispiele würden belegen, dass Mondholz bessere Eigenschaften habe, sagt Dieter Zultner – und verweist auf Beispiele wie die 1639 bis 1642 erbaute Marktkirche in Clausthal, die größte Holzkirche Deutschlands. „Wir sind ja keine Esoteriker.“
Entstanden ist die Firma Zultner vor über 30 Jahren, als die Familie einen kleinen Betrieb in Wipperfürth übernahm und kurze Zeit später nach Hückeswagen umzog. „Wir haben uns damals gefragt, ob wir nur Dachstühle und Carports machen wollen“, erinnert sich Dieter Zultner. Weil man sich dagegen entschied, setzte das junge Unternehmen früh auf Digitalisierung und CNC-Fertigung. „Unsere ersten Programme haben wir noch auf einem C64 eingeben“, sagt Zultner. „Heutzutage geben wir komplette Häuser am Computer ein.“
Nächstes Ziel sei, dass vom Architekt über den Zimmerer bis zum Elektro-Installateur alle Beteiligten an einer digitalen Planung arbeiten können. „Eine Planung und jeder gibt seinen Senf dazu“, beschreibt Dieter Zultner die Idee. Um das umzusetzen, ist inzwischen die nächste Generation im Unternehmen aktiv. Maximilian Zultner, Neffe von Dieter Zultner und Sohn des anderen Geschäftsführers Werner, ist studierter Bauingenieur. Und seit wenigen Wochen ebenfalls Teil der Firma.
Deren Grundsatz sei es, moderne Verfahren und traditionelles Handwerk zu verbinden, sagt Zultner. So wie computergestützte Fertigungsverfahren und die von Erwin Thoma entwickelte Bauweise, die auf Erfahrungen dessen Großvaters basiert. Über dieses Thoma-Verfahren kam auch die Tiny-Haus-Bauherrin Christine Nordmann auf die Firma Zultner. Sie war Zuhörerin bei einem Vortrag in der Kattwinkelschen Fabrik in Wermelskirchen, den die Hückeswagener vor einigen Jahren organisiert hatten.
Daraufhin entwickelte die heute 76-Jährige, selbst Architektin, die Idee, ihr Fachwerkhaus in der Cronenberger Altstadt an ihre Kinder zu übergeben – und in ein Tiny-Haus im Garten des Hauses zu ziehen. So ist sie in der Nähe ihrer Enkel, hat aber eine Rückzugsmöglichkeit. Und wohnt dazu noch nachhaltig.
Das ist auch dem Umstand zu verdanken, dass ihr Haus keine Heizung benötigt. Die Massivholzwände, immerhin 30 Zentimeter stark, hätten eine „unheimlich hohe Speicherkapazität“, erklärt Dieter Zultner. Im Sommer werde Wärme aus den Räumen abgeleitet, im Winter zurückgegeben. Dass das funktioniert, konnte Christine Nordmann gleich nach ihrem Einzug testen – als um Ostern rum der Winter ein unerwartetes Comeback feierte.
Hintergrund
Bauen mit Holz erfreut sich in Deutschland wachsender Beliebtheit. Waren 2015 noch 19 295 der 120 771 in Deutschland genehmigten Wohngebäude überwiegend aus Holz gefertigt, was einen Anteil von 16 Prozent entsprach, waren es 2019 schon 22 341 von insgesamt 119 472 Wohnhäusern – und damit 18,7 Prozent. Das geht aus Daten hervor, die der Bund Deutscher Zimmermeister veröffentlicht hat. Allerdings gibt es dabei in Deutschland offensichtlich große regionale Unterschiede. So wurde in Baden-Württemberg 2019 schon fast jedes dritte Haus (31,9 Prozent) in Holzbauweise errichtet, während es in Niedersachsen nur gut jedes Zehnte (10,2 Prozent) war. Noch geringer war der Anteil in den Stadtstaaten Hamburg (5,2), Bremen (6,3) und Berlin (8,9). Und auch Nordrhein-Westfalen lag mit 12 Prozent eher am unteren Ende der Skala.