Wirtschaft
Mit 80 ist der Chef noch täglich im Büro
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Seit 1985 ist Werner Schirmer Geschäftsführer des Automobilzulieferers Dr. Haubitz.
Von Manuel Böhnke
Solingen. Wer am 8. April 1957 geboren ist, genießt bereits seinen Ruhestand oder steht kurz davor. Werner Schirmer begann am 8. April 1957 seine Ausbildung zum Werkzeugmacher. Seit 66 Jahren ist er ununterbrochen berufstätig. „Irgendwann ist mal Schluss“, sagt der Geschäftsführer der Dr. Haubitz GmbH & Co. KG. Noch scheinen für diesen Schritt allerdings zu viele Aufgaben zu warten.
Unlängst feierte der Unternehmer seinen 80. Geburtstag. Eigentlich wollte er diesen Tag nicht in der Firma an der Solinger Scheffelstraße verbringen oder groß zelebrieren. Doch es kam anders. Ein Mitarbeiter, der sich als sein Chauffeur vorstellte, fuhr ihn mit einer alten restaurierten Ente zum Betriebsgelände. Dort hatte sich als Überraschung beinahe die gesamte Belegschaft versammelt, um auf den Chef anzustoßen. Es gab internationale Spezialitäten, Schirmer bekam ein großes Plakat geschenkt – mit einem Foto von ihm und den Unterschriften aller Beschäftigten darauf. „Da war ich baff“, bekennt Schirmer.
Seit Ende 1985 leitet er die Geschicke des Automobilzulieferers. Nach seinem Wehrdienst und Stationen als Formenbauer landete er als Betriebsleiter bei Dr. Haubitz. Seine Karriere dort unterbrach er für ein Gastspiel in Langenfeld, um fünf Jahre später als teilhabender Geschäftsführer zurückzukehren.
40 Beschäftigte zählten die Solinger damals. Die Zahl stieg auf 300, heute sind es wegen Automatisierung und schlankerer Prozesse 240. An der Scheffelstraße sowie am Monhofer Feld fertigen sie Kunststoffspritzgussteile für Fahrzeuginnen- und -außenraum, technische sowie Motorraumteile und bieten Lösungen für die Elektromobilität an.
„Den habe ich seit einem Jahr nicht eingeschaltet.“
Früher sei er sehr viel unterwegs gewesen, pflegte engen Kontakt zu Lieferanten und Kunden. Es habe unglaublich viel Spaß gemacht, berichtet Werner Schirmer, sich mit Verantwortlichen persönlich auszutauschen und Lösungen zu erarbeiten. Mit einigen telefoniert er noch immer regelmäßig, obwohl sie seit Jahren in Rente sind. Der Umgang mit den heutigen Verantwortlichen sei weniger persönlich. Der 80-Jährige bedauert das. Natürlich seien Smartphones eine tolle Erfindung. Aber: „Es geht nichts mehr ohne und jeder lässt sich vom Wesentlichen ablenken.“ Überhaupt stört ihn die derzeit nicht mehr vorhandene Zuverlässigkeit, was Zusagen und Vereinbarungen angeht.
Werner Schirmer ist ein Chef vom alten Schlag, der sicherlich auch manchmal aneckt. Sein Büro wirkt auf den ersten Blick gewöhnlich. Und doch gibt es eine Besonderheit: Auf seinem Schreibtisch steht kein Computer. Den aufgeklappten Laptop auf dem Regal in seinem Rücken? „Den habe ich seit einem Jahr nicht eingeschaltet.“ Wichtige E-Mails und Daten bekommt Schirmer von seiner Sekretärin vorgelegt. Dabei spreche man auch noch miteinander. „Sogar Kopfrechnen kann ich noch“, sagt der 80-Jährige. Und das sei auch gut so.
2016 hat Werner Schirmer seine Unternehmensanteile weitergegeben. Seitdem plant er, sich aus der dreiköpfigen Geschäftsführung zurückzuziehen. Sie besteht neben ihm aus seiner Tochter Ilona Schirmer-Zinßer und Hans Schultes. Doch der richtige Zeitpunkt hat sich bislang nicht ergeben. Eine Krise jage die nächste. In dieser Situation möchte Schirmer-Zinßer nicht auf die Erfahrung ihres Vaters verzichten: „Wir arbeiten sehr gut zusammen. Es wäre ein wahnsinniger Verlust fürs Unternehmen, würde er sich zur Ruhe setzen. Es gibt ein bisschen Sicherheit, wenn erfahrene Menschen im Büro nebenan sitzen.“
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Denn Werner Schirmers Aufgaben gehen weit über das Öffnen von Post hinaus. Der 80-Jährige ist wichtiger Ansprechpartner bei technischen Fragen, optimiert Produkte, behält Kalkulationen und die Ausgaben im Blick. Seine Tochter fokussiert sich auf Betriebsorganisation, Personal, IT, Normen sowie Vorschriften, die das Unternehmen zu erfüllen hat, und stimmt Investitionen gemeinsam mit allen Gesellschaftern ab.
Es ist nicht so, dass Werner Schirmer keine Hobbys pflegt. Er genießt Zeit mit seiner Frau, spielt Golf, liebt die Berge. Dennoch wacht er täglich gegen 4 Uhr auf, weil die Gedanken an die Firma bereits früh morgens präsent sind. Um 6.30 Uhr trifft er werktags an der Scheffelstraße ein, gegen 15 Uhr beginnt der Feierabend. Auch an den Wochenenden schaut er regelmäßig im Betrieb nach dem Rechten. Der Druck sei jedoch dank seiner Kollegen weniger groß als vor noch vor einigen Jahren.
Werner Schirmer ist fit. Und doch muss der 80-Jährige eingestehen: „Der Körper verzeiht einem 66 Jahre Arbeit nicht.“ Hat er den richtigen Zeitpunkt verpasst, um in Rente zu gehen? Vielleicht – sogar bestimmt. Dennoch möchte er nicht bis an sein Lebensende arbeiten. Wir arbeiten dran, sagt Ilona Schirmer-Zinßer lächelnd. Sie sei dankbar, dass es so ist, wie es ist.