Neue Technologie
Künstliche Intelligenz: Chance oder Risiko für den Job?
aktualisiert:
- 0 Kommentare
-
Feedback
schließen
- Weitere
Der in Solingen geborene IT-Pionier Sebastian Thrun erwartet weitreichende Veränderungen der Arbeitswelt.
Von Manuel Böhnke
Bergisches Land. Wenn Prof. Sebastian Thrun über die bedeutsamsten Erfindungen nachdenkt, nennt er Buchdruck, Dampfmaschine – und Künstliche Intelligenz (KI). Deren Siegeszug scheint unaufhaltbar: „Wir werden in den nächsten Jahren sehen, dass quasi jeder Beruf davon erfasst wird.“ Die Aufgabe bestehe darin, die Technologie sicher und gewinnbringend einzusetzen.
Thrun weiß, wovon er spricht. Er gilt als KI-Pionier, hat im Silicon Valley die Grundlagen für selbstfahrende Autos, autonome Flugtaxis und Roboter, die sich frei bewegen können, geschaffen. Er war Google-Vizepräsident, ist Professor für KI an der Stanford University. Seine Wurzeln liegen im Bergischen: Thrun ist gebürtiger Solinger, wuchs in Blecher unweit des Altenberger Doms auf.
Wie ihm der Sprung in die Herzkammer der weltweiten Tech-Industrie gelungen ist, thematisiert Andreas Dripke in seinem Buch „Sebastian Thrun – Eine deutsche Karriere im Silicon Valley“ (296 Seiten, ISBN: 978-3-98674-062-7). Die erste autorisierte Biografie über den 55-Jährigen wurde am Mittwochabend vorgestellt.
Bei der Online-Veranstaltung stand die aktuelle Debatte über Für und Wider von KI im Fokus. Schwung verlieh dieser unlängst die Forderung von Experten wie Tesla-Chef Elon Musk, die Entwicklung neuer Systeme zu pausieren, um Regeln für den Umgang mit der Technologie zu entwickeln.
Bei Experten ruft dieser Appell gemischte Reaktionen hervor. Der Solinger IT-Unternehmer Mirko Novakovic (unter anderem Codecentric und Instana) erklärt auf Nachfrage, er verstehe die Sorge, dass die Entwicklung zu schnell erfolgen könnte. Ein Moratorium sei nur weltweit denkbar. „Man müsste vertrauen, dass sich alle daran halten.“ Sebastian Thrun hält das für unrealistisch, vor allem mit Blick auf Nationen wie China, Nordkorea und Russland. „Das würde denen einen Vorsprung geben.“ Den 55-Jährige stört das negative Image von KI. Seiner Einschätzung nach müsse der Fokus darauf liegen, die Systeme „besser zu machen, besser zu verstehen, besser einzusetzen“.
Chancen sieht er vor allem in Effizienzsteigerung. Wie die aussehen kann, beweist ChatGPT. Der Chatbot des Unternehmens OpenAI – Gründer Sam Altman war in Thruns Stanford-Institut tätig – wurde mit riesigen Datenmengen und maschinellem Lernen befähigt, in unterschiedlichen Sprachen zu kommunizieren – für zahlreiche Anwendungsfälle. Dass das System ein ganzes Spektrum an Aufgaben löse, sei neu.
„Das Thema hat Implikationen, die wir noch gar nicht kennen“, betont Sebastian Thrun. Überzeugt ist er, dass der Fortschritt vor allem mit Beschleunigung einhergehe. Sei es heutzutage zeitintensiv, ein Buch zu schreiben, könne die Software dies absehbar binnen eines Nachmittags leisten – auf die individuellen Vorlieben des Lesers abgestimmt.
Doch die Auswirkungen beschränken sich nicht auf kreative Berufe. Buchhalter, Taxifahrer, Rechtsanwälte – sie alle erledigen teils repetitive Aufgaben, die eine KI zukünftig übernehmen könnte. „Als Menschheit werden wir irgendwann aufwachen und feststellen, dass wir viel Zeit im Büro damit verbracht haben, immer das Gleiche zu tun.“
Der gebürtige Solinger wertet das als positive Nachricht: „Wir werden viel produktiver und können in der Gesellschaft viel mehr Wohlstand erzeugen.“ Droht angesichts dessen Massenarbeitslosigkeit? Mirko Novakovic denkt eher, dass KI und Automatisierung Lücken schließen, die der Fachkräftemangel reißt.
Der IT-Unternehmer verweist auf die Chancen. Die Technologie könnte dazu beitragen, wesentlich schneller Antworten auf komplexe Probleme wie Krankheiten und den Klimawandel zu finden. Sebastian Thrun schätzt das ähnlich ein. Mit Google-Gründer Larry Page habe er unlängst festgestellt, dass es zwölf Jahre gedauert hat, um Autos zu entwickeln, die autonom in San Francisco unterwegs sein können. „In Zukunft geht das in einem Monat oder einer Woche.“ Deutschland könne in Sachen KI eine Vorreiterrolle einnehmen, begegnet es dem Thema offen. Akademisch liege die Bundesrepublik weit vorne.
Birgt die Entwicklung Gefahren? Durchaus. Mirko Novakovic nennt Deepfakes, die kaum noch zwischen Fiktion und Wirklichkeit unterscheiden lassen. Auch könnte KI-Software problematisch werden, die sich selbst trainiert oder andere bedeutsame Systeme entschlüsselt, verändert, außer Gefecht setzt. Thrun verweist zudem darauf, dass Anwendungen wie ChatGPT nicht auf Wahrheit trainiert sind, sondern Plausibilität. Auch bestehe das Risiko, dass die Daten, mit denen sie gefüttert werden, „biased“ sind, also einseitig beeinflusst.
Deshalb plädiert er für einen „breiten Diskurs, um zu definieren, wie wir die Gesellschaft der Zukunft sehen und diese Systeme in einer sicheren und fairen Art und Weise nutzen können“. Dem schließt sich Claus Kleber an. Der Journalist („Heute-Journal“) verfasste das Vorwort zu Thruns Biografie und nahm an deren Vorstellung teil. Er hält KI für eine „Fundamentaltechnik“, die das kognitive Verhalten neu sortieren werde: „Das stellt alles in den Schatten, was wir seit der Aufklärung an Revolutionärem erfahren haben. Eine neue Phase des Menschseins.“ Sebastian Thrun fürchtet sich nicht davor. Der Buchdruck habe den Menschen schließlich nicht ersetzt, sondern stärker gemacht.
Projekte
Sebastian Thrun hat sich in seiner Karriere unter anderem mit autonomem Fahren beschäftigt. Bis sich die Technologie im Privatbereich durchsetzt, dauert es seiner Einschätzung nach wegen der teuren Sensorik noch. Große Fortschritte gebe es bei Flugtaxis – sie könnten eines Tages für weniger als 10 000 Euro pro Stück erhältlich sein.