Uni Vortrag
Verkehrswende: „Es ist höchste Zeit“
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Prof. Dr.-Ing. Ulrike Reutter war beim Uni-Vortrag zu Gast.
Von Anja Kriskofski
Solingen. Die Zahlen sind düster: 48,5 Millionen Pkw gab es 2022 in Deutschland – Tendenz steigend. Der Verkehr hat einen Anteil von 27 Prozent am landesweiten Energieverbrauch, durch Reifenabrieb gelangen allein in Deutschland jährlich 111 400 Tonnen Mikropartikel in die Umwelt. Es sei höchste Zeit zu handeln, sagte Prof. Dr.-Ing. Ulrike Reutter beim sehr gut besuchten ST-Uni-Vortrag. Doch für die 70 Leserinnen und Leser, die ins Gründer- und Technologiezentrum gekommen waren, hatte die Wissenschaftlerin von der Bergischen Universität Wuppertal auch eine aufmunternde Botschaft dabei: „Wir haben es in der Hand. Wir können die Zukunft gestalten.“ Gefragt ist dabei nicht nur die Politik, sondern jeder und jede Einzelne.
Dass einige der Zuhörer ihre persönliche Verkehrswende schon eingeleitet haben und zumindest nicht immer auf das Auto setzen, zeigten die Fahrradhelme, die einige dabei hatten. Die Referentin selbst war mit der S-Bahn aus Wuppertal angereist. Sie und ihr Mann verzichten seit Jahrzehnten auf einen eigenen Pkw.
Um eine Verkehrswende zur erreichen – weg vom motorisierten Individualverkehr hin zu mehr Wegen mit dem ÖPNV, dem Rad und zu Fuß – brauche es eine Mischung aus „Push“- und „Pull“-Effekten, erläuterte die Raumplanerin. Mit „Pull“ seien Maßnahmen gemeint, die zwar Geld kosten, aber niemandem wehtun. „Ein Beispiel ist das 49-Euro-Ticket.“ Solche weichen Faktoren reichten aber nicht aus, um eine Verkehrswende herbeizuführen. Deshalb müsse es auch unpopuläre Maßnahmen als „Push“ geben: „Das sind die, vor denen Kommunalpolitiker oft zurückschrecken: Parkraumbewirtschaftung, Zufahrtsbeschränkungen, Tempolimits oder eine City-Maut.“
Expertin fordert, das Privileg des Autoverkehrs abzuschaffen
Wie Alternativen zum Auto vor Ort gefördert werden können, zeigte Reutter an einem Beispiel aus Wuppertal auf. In der Elberfelder Nordstadt hat sie den Aufbau einer Mobilstation im Quartier wissenschaftlich begleitet, gefördert vom Land NRW und von der EU. Eine städtische Fläche wurde Ende 2022 umgewandelt: Wo früher Anwohner ihre Autos parkten, können nun Fahrräder abgestellt werden, es gibt eine Garage unter anderem für Lastenräder, eine Car-Sharing-Station und eine Bushaltestelle um die Ecke. Das Projekt sei im Zusammenspiel von Zivilgesellschaft, Stadtverwaltung, Wissenschaft und Mobildienstleistern umgesetzt worden. Dass auch die Leute vor Ort mit im Boot waren, sei ein wesentlicher Faktor. „Wir haben wenig Contra bekommen, dass Parkplätze weggefallen sind“, berichtete die Professorin. Die Plätze für Lastenfahrräder seien im Nu vermietet gewesen. Solche Mobilstationen sollten stattdessen „raus aus der Nische, rein in die Großserie“, forderte sie.
Der engagierte und kurzweilige Vortrag sorgte im Anschluss für eine rege Diskussion. Mit dem Rad zu fahren, sei im Sommer ja wunderbar, warf ein Zuhörer ein. „Aber im Winter sieht das anders aus.“ Der ÖPNV stoße zudem bei der Bezahlbarkeit an seine Grenzen. „Ja, der ÖPNV kostet Geld“, räumte Reutter ein. Doch im Moment gebe es keine Kostenwahrheit: „Wir wissen gar nicht, wie sehr wir als Steuerzahler den Autoverkehr finanzieren.“ Es müsse mehr Verkehrsgerechtigkeit geben und das Privileg des Autoverkehrs abgeschafft werden, damit man eine Wahl habe: „Der Wille ist häufig da, aber oft sind die Umstände so, dass man es nicht tut“, erklärte Ulrike Reutter.
Die nächsten Termine
Montag, 15. Mai, 19 Uhr:Die Angst „ausRäumen“ – Sicherheit und Sicherheitsgefühle in der Stadt verbessern. Referent: Dr. Tim Lukas, Forschungsgruppe Räumliche Kontexte von Risiko und Sicherheit.
Montag, 5. Juni, 19 Uhr:Wege aus der Energiekrise – so kann das nachhaltige Energiesystem der Zukunft gelingen. Referent: Prof. Dr.-Ing. Markus Zdrallek, Lehr- und Forschungsgebiet Elektrische Energieversorgungstechnik.
Ort: Gründer- und Technologiezentrum, Grünewalder Straße 29-31.