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Urteil: Haft und Sicherungsverwahrung im Missbrauchskomplex Wermelskirchen
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Missbrauch Wermelskirchen: Angeklagter muss mehr als 14 Jahre ins Gefängnis – mit Sicherungsverwahrung.
Von Kristin Dowe
Solingen/ Wermelskirchen. Gegen den möglichen Vorwurf, mit dem außergewöhnlich harten Urteil der Kammer „populistische Erwartungen“ erfüllen zu wollen, verwahrte sich der Vorsitzende Richter Christoph Kaufmann ausdrücklich: Zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren und sechs Monaten Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilte das Landgericht Köln am Dienstag einen 45-jährigen Mann aus Wermelskirchen, dem in 124 Einzeltaten schwerster sexueller Missbrauch von Kindern vorgeworfen wurde – darunter auch Säuglinge und Kinder mit Behinderung. Die Schwere der Taten, die Planmäßigkeit bei ihrer Begehung und die außerordentliche kriminelle Energie des Angeklagten rechtfertigten diese Entscheidung, argumentierte Kaufmann.
Von seinen Taten fertigte der IT-Experte umfangreiches Videomaterial an und verbreitete dieses im Internet. Kontakt zu den betroffenen Familien knüpfte er, indem er im Internet seine Dienste als Babysitter anbot – sein „Modus Operandi“, wie der Vorsitzende in der rund dreistündigen Urteilsbegründung zusammenfasste. Zudem muss der Angeklagte insgesamt 239 000 Euro an Adhäsionskosten und Schmerzensgeld an die betroffenen Opfer zahlen. Ein Großteil davon kommt mit rund 100 000 Euro einem von zwei Solinger Opfern zugute – ein inzwischen junger Mann, bei dem eine erhebliche geistige und körperliche Behinderung vorliegt und der auf den Rollstuhl angewiesen ist.
„Der Wert Ihres Geständnisses sollte nicht überbewertet werden.“
Vertreten wurde dieses Opfer in der Nebenklage von dem Solinger Rechtsanwalt Marc Françoise, der sich mit dem Urteil auf ganzer Linie zufrieden zeigte: „Das ist der wahrscheinlich höchste Betrag, der jemals einem Missbrauchsopfer zugesprochen wurde.“ Dennoch hege er Zweifel, dass der Angeklagte seine finanziellen Verhältnisse vollständig offengelegt hat, und wolle die Angaben weiter prüfen.
Die hohe Strafe sei laut Françoise „absolut angemessen“. Den Vorwürfen nach hatte der Angeklagte den schwerbehinderten Jungen nicht nur jahrelang missbraucht, sondern in einem Fall sogar einen Komplizen zum gemeinsamen Missbrauch in die Wohnung der Familie „eingeladen“, die den Angeklagten als Babysitter beschäftigte. „Diese Taten sind in ihrer menschenverachtenden Qualität besonders hervorzuheben“, befand der Vorsitzende. Der Junge habe perfekt ins Beuteschema des Beschuldigten gepasst, der sich, wie er selbst es in Chats zynisch formulierte, bevorzugt Opfer suchte, „die nicht petzen können“.
„Die Taten sind in ihrer menschenverachtenden Qualität besonders hervorzuheben.“
Dem zweiten Opfer aus Solingen, ein zum Tatzeitpunkt sieben Jahre alter Junge, wurde ein Schmerzensgeld von 25 000 Euro zugesprochen. Zwar verging sich der Angeklagte an dem Kind, als es schlief, so dass es sich nicht bewusst an die Taten erinnern kann. Doch sei der Vertrauensbruch gegenüber dem Jungen in diesem Fall als besonders verwerflich einzustufen, da er den Angeklagten als enge Bezugsperson angenommen und sogar bei ihm übernachtet hatte, hielt Kaufmann dem Wermelskirchener vor.
Unisono hatten Zeugen den Beschuldigten als freundlich, hilfsbereit und – in den Worten der psychiatrischen Gutachterin – geradezu „auffällig unauffällig“ beschrieben. Wohlhabend und in stabilen Familienverhältnissen aufgewachsen, hielt er die Fassade des anpassungsfähigen Typen von nebenan über Jahrzehnte aufrecht. Ex-Partnerinnen titulierten ihn gar als „Muttersöhnchen“, das bis zu seinem 36. Lebensjahr noch in seinem Elternhaus wohnte. Seine dunkle und aggressive Seite, so führte der Vorsitzende aus, lebte der 45-Jährige in seiner Sexualität aus. Wie ein „Technokrat und Propagandist“ stachelte er in einschlägigen Foren andere Täter zu Missbrauchstaten an, die er dann am Bildschirm mitverfolgte. In den Bildmitschnitten – das Gericht hatte rund 26 Stunden Videomaterial ausgewertet – zeigte sich zudem ein ausgeprägter Sadismus des IT-Spezialisten.
Dessen umfassendes Geständnis würdigte die Kammer angesichts der erdrückenden Beweislage kaum strafmildernd. Christoph Kaufmann: „Sie hätten früh Haltung zeigen können. Der Wert ihres Geständnisses sollte nicht überbewertet werden.“
Hintergrund
Bezüge: In Chats stand der Angeklagte auch in Kontakt mit dem Hauptangeklagten des Münsteraner Missbrauchskomplexes, den das Landgericht Münster 2021 ebenfalls zu 14 Jahren mit Sicherungsverwahrung verurteilt hatte.
Ermittlungen: Ein Sondereinsatzkommando hatte den Angeklagten während einer Videokonferenz am Rechner überwältigt und eine Vielzahl von Dateien gesichert. Gegen 85 weitere Beschuldigte laufen gesonderte Verfahren.
Urteil: Haft und Sicherungsverwahrung im Missbrauchskomplex Wermelskirchen
+++ Update 14 Uhr +++ Solingen. Äußerlich ungerührt nahm der 45-jährige Angeklagte sein Urteil entgegen, als das Landgericht Köln ihn heute zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren und sechs Monaten bei anschließender Sicherungsverwahrung verurteilte. Dem IT- Experten aus Wermelskirchen wurden 124 Einzeltaten von teilweise schwerstem sexuellen Missbrauch von Kindern zur Last gelegt. Seine Taten hatte er größtenteils gefilmt und Videos davon im Internet verbreitet. Um mit den Kindern in Kontakt zu kommen, hatte er in zahlreichen Fällen im Internet seine Dienste als Babysitter angeboten.
Die Opfer, teilweise noch im Säuglingsalter oder mit Behinderung, wählte der Beschuldigte sorgfältig aus, wie aus Chatprotokollen hervorgeht: „solche, die nicht petzen können“ zitierte der Vorsitzende Richter Christoph Kaufmann aus einer Unterhaltung des Angeklagten mit einem anderen Pädophilen. Mit dem Urteil blieb das Gericht nur knapp unter der Forderung der Staatsanwaltschaft und sechs Monate unter der möglichen Höchststrafe. Zudem wurden den Opfern Adhäsionskosten und Schmerzensgeld in einer Gesamthöhe von 239.000 Euro zugesprochen.
Der größte Anteil, rund 100.000 Euro, kommt davon einem der beiden Solinger Geschädigten zugute, einem heute jungen Mann mit schwerer körperlicher und geistiger Behinderung.
Der Solinger Rechtsanwalt Marc Francoise, der dieses Opfer vertritt, zeigte sich mit der Entscheidung der Kammer auf ganzer Linie zufrieden: „Das ist der wahrscheinlich höchste Betrag, der jemals einem Missbrauchsopfer zugesprochen wurde.“ Auch die hohe Strafe sei angesichts der Schwere der Taten „absolut angemessen“.
Ob gegen das Urteil Revision eingelegt wird, sei derzeit noch unklar und hänge von ihrem Mandanten ab, hieß es auf Nachfrage unserer Redaktion seitens der Verteidigung. „Bei derart komplexen Verfahren ist das eigentlich üblich.“ -KDow-
+++ Update 12 Uhr +++ Von „menschenverachtendem Verhalten“ sprach der Richter in seiner fast zweistündigen Urteilsbegründung.
+++ Update 11 Uhr +++ Im Missbrauchskomplex Wermelskirchen hat das Landgericht Köln den Angeklagten wegen Kindesmissbrauchs zu 14 Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Außerdem ordnete das Gericht am Dienstag Sicherungsverwahrung an. Dies entsprach ungefähr der Forderung der Staatsanwaltschaft. Der 45 Jahre alte Deutsche hatte sich über Online-Plattformen als Babysitter angeboten und war so in Kontakt zu seinen Opfern gekommen. Seine Taten hielt der IT-Experte auch auf Video fest. Im Prozess gestand er die Taten und bezeichnete sie als «abscheulich».
Dem Mann wurden mehr als 120 Fälle sexueller Gewalt gegen 13 Kinder aus den Jahren 2005 bis 2019 zur Last gelegt. Das jüngste Opfer war der Anklage zufolge ein rund einen Monat altes Mädchen. Die Aufdeckung des Falls hatte hohe Wellen geschlagen, weil er ähnlich wie andere Missbrauchskomplexe der vergangenen Jahre zu zahlreichen weiteren Ermittlungsverfahren geführt hatte.
Der Mann war im Dezember 2021 in einem Haus, das er zusammen mit seiner Frau bewohnte, von Spezialkräften der Polizei festgenommen worden. Ein Polizeibeamter hatte während des Prozesses im Zeugenstand berichtet, man habe den Angeklagten damals am «offenen Computer» verhaften wollen, um so Zugriff auf die Videos von den Taten und auf die Sammlung von weiterer Kinderpornografie zu erlangen. Während des Zugriffs hatte sich der Mann gerade in einer Videokonferenz mit Arbeitskollegen befunden. -dpa-
+++ Update 10.37 Uhr +++ Im Tatkomplex Wermelskirchen hat das Landgericht Köln den Angeklagten wegen Kindesmissbrauchs zu 14 Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Außerdem ordnete das Gericht Sicherungsverwahrung an. Sicherungsverwahrung bedeutet, jemand bleibt auch nach Verbüßung seiner Strafe hinter Gittern - solange er als öffentliches Risiko gilt. Die Begründung des Urteils läuft noch. Wir berichten weiter.
+++ Update 10.17 Uhr +++ Die Urteilsverkündung im Missbrauchskomplex Wermelskirchen verzögert sich aus formalen Gründen.
Solingen. Im Prozess um den sogenannten Missbrauchsfall Wermelskirchen wird heute das Urteil erwartet. Angeklagt ist ein 45 Jahre alter Mann, der sich über Online-Plattformen als Babysitter angeboten hatte und so in Kontakt zu seinen Opfern gekommen war. Der Mann hat die Taten im Prozess gestanden und als „abscheulich“ bezeichnet. Die Staatsanwaltschaft hat 14 Jahre und zehn Monate Haft gegen ihn gefordert. Zudem beantragte sie anschließende Sicherungsverwahrung. Teile des Prozesses wurden nicht öffentlich verhandelt.
Dem Deutschen werden mehr als 120 Fälle sexueller Gewalt gegen 13 Kinder zur Last gelegt. Überwiegend geht es dabei um sexuellen Missbrauch, andere Fälle drehen sich um Beihilfe sowie den Besitz von Kinderpornografie. Laut Anklage wurden die Taten zwischen 2005 und 2019 begangen. Der Angeklagte bot sich auf Online-Plattformen als Babysitter an und kam so mit den Familien in Kontakt. Seine Taten hielt der IT-Experte auch auf Video fest.
dpa, KDow