Stadt:Kollektiv

Uraufführung von „Solingen 93“ beeindruckt

Vom Walter-Scheel-Platz aus zogen Darstellende und die Besucherschar rund ums Rathaus. „Solingen 93“ endete schließlich im Bärenloch. Das Stück bot völlig neue Theatererlebnisse.
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Vom Walter-Scheel-Platz aus zogen Darstellende und die Besucherschar rund ums Rathaus. „Solingen 93“ endete schließlich im Bärenloch. Das Stück bot völlig neue Theatererlebnisse.

Das Düsseldorfer Schauspielhaus geht mit dem Stadt:Kollektiv einen neuen Weg der Erinnerungskultur.

Von Jonathan Hamm

Solingen. Kurz und knapp fasste der letzte Satz das Offensichtliche noch einmal zusammen: „Rassistische Anschläge sind ‚fucking‘ Realität in diesem Land.“ Damit endete die Uraufführung der Inszenierung „Solingen 1993“, einem neuen Theaterstück des jungen Ensembles Stadt:Kollektiv des Düsseldorfer Schauspielhauses. Unter der Leitung von Bassam Ghazi und Birgit Lengers versuchen die Künstler, den rassistisch motivierten Mordanschlag auf das Haus der Familie Genç am 29. Mai 1993 in Solingen auf eine neue Art und Weise aufzuarbeiten.

Bei der Welturaufführung von „Solingen 93“, dem multimedialen Theaterstück zum Brandanschlag 1993 durch das Düsseldorfer Stadt-Kollektiv, erhielten die Zuschauer Nachrichten über Telegram auf ihr Handy.

Am Samstag fand die auf 50 Besucher begrenzte Premiere statt. Auch Mitglieder der Familie Genç besuchten die Aufführung an diesem Abend. „Der Schluss ist ein Fazit, um nochmals zu sagen: Es ist kein Einzelfall“, erklärte Birgit Lengers am Rande. Begonnen hatte die Inszenierung in Düsseldorf. Von dort ging es mit dem Reisebus nach Solingen und gleichzeitig 30 Jahre zurück in die Vergangenheit. Der Bus als Zeitmaschine und Fahrgeschäft nahm die Besucher mit auf eine Reise in die 90er Jahre und auf eine Achterbahn voller Emotionen und Eindrücke. Während „Rhythm Is a Dancer“ von Snap! aus den Boxen tönte, wurden Nachrichten vorgetragen, die viele Teilnehmer in Erinnerungen schwelgen ließen, zugleich aber auch die Doppelgesichtigkeit dieser Zeit hervorhob: Eine Zeit zwischen dem Fußballweltmeistertitel und zahlreichen Anschlägen und Attentaten auf Menschen aus Einwandererfamilien – „ . . . und dann kam Solingen.“

Hauseingänge und Wiesen werden zur Bühne

Nach der Ankunft am Rathaus spaltete sich die Aufführung in verschiedene Erzählstränge: Eingeteilt in „Tatnacht“, „Hintermänner & Hintergründe“, „Stimmen der Stadt“ sowie „Familienstimmen“ wurden die Besucher auf eine Reise durch die Stadt geschickt.

Die Schwerpunkte der einzelnen Gruppen waren unterschiedlich gesetzt. Auf ihren Smartphones erhielten die Zuschauer über Telegram immer wieder Anweisungen und Aufgaben. Audio- und Videobotschaften wurden geschickt und hoben das Theaterstück auf eine multimediale Ebene. Es gab keine Bühne, das Geschehen spielte sich an unterschiedlichen Orten ab. So trugen die Zuschauer Regenjacke und festes Schuhwerk. Denn statt über einen roten Teppich und poliertes Parkett ging es über regendurchnässte Wiesen in Hinterhöfe und Hauseingänge.

Das Stück will die Tatnacht nicht nachspielen, sondern den betroffenen Menschen eine Stimme geben. Mitglieder, Freunde und Verwandte der Familie Genç kamen zu Wort und erzählten ihre Geschichten. Auch Zeitzeuginnen waren Teil der Aufführung. Birgül Demirtas und Fatma, zum Zeitpunkt des Anschlages 19 und 23 Jahre alt, berichteten von ihren Erlebnissen und Erfahrungen. Sie habe tags darauf an der Versammlung vor der Brandruine des Hauses teilgenommen, berichtet Fatma: „Ich als Besucher konnte den Schmerz kaum aushalten. Wie haben die Überlebenden das ausgehalten?“, fragt sie ungläubig.

„Die Auswirkungen und Folgen sind hier in Solingen heute noch spürbar“, stellt Birgül Demirtas klar. „Zurückgeblieben sind der Schmerz und die Trauer, was uns zeigt, dass die Zeit nicht alle Wunden heilt.“ Eine Feststellung, die erklärt, warum das Gedenken an diese Nacht für junge Menschen immer wichtig bleiben wird. „Diese Geschichte muss weitererzählt werden und darf nicht in Vergessenheit geraten“, plädiert das Künstlerkollektiv demzufolge – und will mit „Solingen 1993“ Bestandteil einer neuen Ausrichtung des Gedenkens an den Solinger Brandanschlag sein.

Die unmittelbare Resonanz ist positiv. Sie habe die Inszenierung „schrecklich beeindruckend“ gefunden, berichtet eine Zuschauerin. „Ich musste vielfach schlucken“, erzählt die vierfache Mutter im Hinblick auf das Leid der Kinder. „Ich finde, die haben das toll umgesetzt“, stellte eine weitere Zuschauerin klar. „Ich bin Solingerin und habe den Anschlag damals hautnah miterlebt. Das war schon heftig, fand ich.“ Am Ende versagt ihre Stimme.

Infos zum Besuch von „Solingen 93“

Das Ensemble Stadt:Kollektiv wird „Solingen 1993“ noch mehrmals aufführen. Die Zuschauer können entscheiden, ob sie bereits in Düsseldorf in den Bus steigen oder in Solingen am Rathaus dazustoßen. Inklusive der Busfahrt besitzt die Aufführung eine Länge von vier Stunden. Um die Inszenierung vollumfänglich erleben zu können, muss die Messenger-App Telegram auf dem Smartphone installiert sein. Zudem sollen Kopfhörer mitgebracht werden. Wetterfeste Kleidung und bequemes Schuhwerk werden empfohlen. Da rassistische Gewalt und Tod thematisiert werden, sei der Besuch erst ab 14 Jahren geeignet.

Die kommenden Termine sind teilweise bereits ausverkauft, jedoch sind Restplätze vorhanden. Karten sind online und an der Abendkasse erhältlich. Weitere Informationen: www.dhaus.de

Passend zum Thema: Der Brandanschlag von Solingen - Was am 29. Mai 1993 geschah

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