Andacht
Unser größter Feind ist nicht die Tafel Schokolade
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Theologen laden im ST zur Andacht ein – Heute: Katharina Mutzbauer.
Liebe Leserin, lieber Leser,
seit einigen Jahren tue ich mich mit der Fastenzeit schwer. Vielleicht ist es die Erfahrung, dass von guten Vorsätzen meist nur die Hälfte bleibt – und das wäre schon viel. Ein bisschen langweilen mich auch die Antworten, die die Menschen im Radio meistens auf die Frage geben, was sie denn dieses Jahr fasten: Zeit am Handy, Süßigkeiten und unnötiger Konsum. Dagegen ist gar nichts einzuwenden. Ganz im Gegenteil! Die Fastenzeit soll ja auch eine Zeit zum Besinnen sein: Was tue ich gerade unreflektiert? Wo habe ich mich verloren, zerstreut und betäubt? Was will ich ändern in meinem Leben?
Und trotzdem: Viele dieser Ideen klingen einfallslos, unkreativ, abgedroschen und zum hundertsten Mal vorgenommen. „Dieses Jahr wird alles anders!“ Oder: „Jetzt esse ich keine Süßigkeiten mehr!“ Was fehlt ist die ehrliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben, mit den eigenen Untiefen. Denn ganz im Ernst: Es ist ja nicht so, als ob unser aller größter Feind die Schokoladentafel im Schrank um die Ecke wäre! Dann wäre das Leben ja ganz wunderbar einfach. Völkerverständigung wäre ein Kinderspiel. Und nach der Fastenzeit würden wir in einer neuen Welt aufwachen.
Tatsache ist doch aber: Die fiese Verwandte bleibt auch nach Ostern Teil der Familie, der Blick in den Spiegel stößt weiterhin nicht auf Gegenliebe und das Handy lenkt doch wieder in jeder freien Minute sinnfrei ab. Abgedroschene Ideen lösen festgefahrene Verhaltensmuster eben leider nicht ab. So ist meine Erfahrung.
Anstatt also im langweiligen Wiederholen irrelevanter Verzichtsmuster und der Macht der Gewohnheit gefangen zu bleiben, mache ich Ihnen dieses Jahr ein Gegenangebot: Schreiben Sie! Jeden Tag eine DIN-A4-Seite oder zwei DIN-A5-Seiten. Am besten zur selben Zeit. Das kann morgens sein. Das kann – wie bei mir mit kleinen Kindern – besser in der Mittagspause oder abends passen. Jeden Tag, bis Ostern. Kein Thema, keine Frage, sondern einfach drauf los. Auch Rechtschreibung ist vollkommen egal. Hauptsache Sie schreiben, was Ihnen in den Sinn kommt. Die Idee dieser sogenannten „Morgenseiten“ ist vor allem durch Julia Cameron und ihr Buch „Der Weg des Künstlers“ bekannt geworden.
Ich verspreche Ihnen: Sie werden überrascht sein, wie Sie von einem zum anderen Thema kommen, wie Sie plötzlich ganz woanders landen, als Sie wollten. Selbst Stichworte können genügen. Befreien Sie sich von Vorbehalten wie „Ich kann nicht schreiben!“ oder „Was soll ich schon schreiben?“ und beginnen Sie mit dem ersten Gedanken. Vertrauen Sie darauf, dass Sie sich etwas zu sagen haben und dass Sie sich selbst überraschen können.
Denn genau das ist auch die Fastenzeit: Neuausrichten. Aus dem eigenen Trott kommen. Sich überraschen lassen von dem Gott, der den Leidensweg in dieser Welt angetreten hat, um uns neues Leben zu schenken.
Vieles von Jesu Geschichte und Gottes Weg mit uns Menschen ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Es braucht Nachdenken, Wirken-Lassen und einen zweiten Blick, ein zweites Hinhören, ob Gott nicht doch eine Stimme in meinem Leben hat. Das intuitive Schreiben knüpft genau hier an: So wie Gott uns Menschen oft erst Stück für Stück nahekommt und sich zeigt, so sind auch wir selbst uns oft fremd.
Wir wissen gar nicht, was wir denken, fühlen, wollen. Auch hier braucht es Nachdenken, Wirken-Lassen und Sich-Trauen, Ungeschöntes aufs Papier zu bringen. Teresa von Avila, christliche Mystikerin des Mittelalters, war davon überzeugt: Es gibt keine Gotteserkenntnis ohne Selbsterkenntnis. Das ungefilterte Schreiben kann eine erste Tür zu Ihnen und auf dem Weg nach Ostern ebenso zu Gott sein.
Viel Ehrlichkeit wünscht Ihnen Ihre Vikarin Katharina Mutzbauer