Aufrüttelndes Einpersonen-Stück
Theaterstück thematisiert die Gräuel des Krieges in Gaza
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Amnesty International hatte dazu eingeladen.
Von Andreas Erdmann
Im Jahr 2009 töteten zwei Granaten der israelischen Armee im Gaza-Streifen drei seiner Töchter und eine Nichte. Anstatt in Wut und Hass zu verfallen, ging der palästinensische Arzt Dr. Izzeldin Abuelaish nach Toronto. Er gründete dort eine Friedensstiftung und schrieb seine Geschichte in einer Biografie nieder: „Ich werde nicht hassen“. Diese Geschichte, von dem iranischen Regisseur Ali Jalaly für die Bühne bearbeitet, wurde nun eindrucksvoll als Theaterstück in der gut besuchten Evangelischen Stadtkirche Ohligs an der Wittenberger Straße aufgeführt. Kooperationspartner dieser Aufführung waren die Theaterwerkstatt Gaudium der Kirchengemeinde und Amnesty International Solingen.
In der einzigen Rolle des Einpersonen-Stücks, in der des Dr. Izzeldin Abuelaish, beeindruckte Michael Morgenstern vom Kölner Ali Jalaly-Ensemble. Dabei schlüpfte Morgenstern dermaßen intensiv und authentisch in seine Rolle, dass man den Schauspieler schon sehr bald vergaß. Nach einer kurzen Vorstellung seiner Person trat er vom Rednerpult in dem minimalistischen Bühnenbild zurück und erläuterte auf einer imaginären Landkarte die verwickelte politische Situation im Nahen Osten. Dann begann er aus einem Leben zu berichten, das wie ein Traum anhob und in einen Alptraum mündete. Abuelaish, 1955 geboren, hatte sich nach einer schweren Kindheit in Armut und Elend seinen Herzenswunsch erfüllt und zunächst in Kairo, dann in London und Harvard Medizin studieren können. Er wurde der erste palästinensische Arzt, der in Israel praktizieren darf. Mit seiner Frau Nadia, die er 1987 heiratet, bekam er acht Kinder.
Intensive Inszenierung nimmt die Besucher mit auf emotionale Reise
Die Zeiten des Glücks lässt uns Morgenstern empathisch tänzelnd und singend miterleben: „I love you, Habibi, I need you, Habibi.“ Doch dann erlebte er am eigenen Leib, warum man Gaza „das größte Gefängnis der Welt“ nennt. Als seine an akuter Leukämie erkrankte Frau plötzlich sterbend in Tel Aviv im Krankenhaus lag, halten ihn die Israelis stundenlang an der Grenze fest.
Untermalt von nervenzerreißenden Ton-, Bild- und Filmeinspielungen wurde diese Szene zum emotionalen Höhepunkt des Abends. Dies auch, weil Morgenstern sie mit solcher Wucht spielt, dass man sich selber bedroht und schikaniert fühlt. Kaum hatte sich Abuelaish etwas erholt, kommen drei seiner Töchter sowie seine Nichte bei einem Angriff der israelischen Armee zu Tode.
DR. IZZELDIN ABUELAISH
HEUTE 2015 verließ Abuelaish Gaza und wanderte nach Kanada aus. Er lebt und arbeitet als Arzt und Professor in Toronto. Dort begründete er die Stiftung „Töchter für Leben“, die Studentinnen im Mittleren Osten unterstützt.
Dabei kommentierte der aufgelöste Vater den militärischen Angriff live im israelischen Fernsehen: „Unser Haus wurde bombardiert, meine Töchter sind tot. Oh Gott, was haben wir getan?“ Abuelaishs Monolog erspart den Zuschauern keines der grausamen Details um das zerbombte Zimmer und die zerfetzten Leichen seiner Kinder.
Doch dann setzt sich Michael Morgenstern vor dem Publikum nieder: „Es ist an der Zeit, sich hinzusetzen und miteinander zu reden.“ Eine beinahe unverständliche, befremdliche Haltung, zumal man aufgrund der erlittenen Unmenschlichkeit Hass, Wut oder Rachegefühle erwartet. Erst herrscht betroffenes Schweigen im Kirchenschiff, dann bricht ein tosender, langer Applaus los.