Mein Blick auf die Woche

Szenen einer Ehe: Zwei Museen wollen die Scheidung 

stefan.kob@solinger-tageblatt.de
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Lassen das Kunstmuseum und das Zentrum für verfolgte Künste sich scheiden, kostet das Geld. Das hat die Stadt aber nicht. Der einzige Ausweg: aus der zerrütteten Ehe eine Wohngemeinschaft zu machen - mit klaren Regeln, eindeutigen Strukturen und vor allem führenden Köpfen, die nach dem Motto „leben und leben lassen“ verfahren, findet ST-Chefredakteur Stefan M. Kob.

Schokolade, Spiel und Spannung - das klingt wie Werbung für das Überraschungs-Ei von Ferrero. Den wenigsten Solingern war mutmaßlich bis dato bewusst, dass sie so ein Überraschungs-Ei auch in ihrer Stadt beherbergen: zwei Museen in einem Gebäude - und das garantiert mit jeder Menge Spannung.  

Selbst Besuchern des alten Rathauses Gräfrath ist nicht immer sofort klar, dass hier zwei Einrichtungen unter einem Dach wohnen: das Solinger Kunstmuseum als Präsentationsstätte zeitgenössischer bergischer Kunst, und das Zentrum für verfolgte Künste, das sich bundesweit, wenn nicht sogar international als Hort verfemter Künstler aufstellt. Das fängt schon an der Ticketkasse an, wo nicht gezählt wird, wer denn nun welches Museum besucht. Was auch nicht weiter schlimm wäre, wenn nicht plötzlich ein erbitterter Streit darüber ausgebrochen wäre, wer dabei eigentlich die leckere Schokolade ist und wer nur das billige Plastikspielzeug. Und hier fängt dann die Spannung an. 

Der Streit ist nicht neu, eskaliert aber aktuell mit einer Heftigkeit, der die Koexistenz der beiden Einrichtungen in Frage stellt – wenn nicht sogar deren Existenz. Als das Zentrum für verfemte Künste 2015 quasi als Untermieter ins Kunstmuseum eingezogen war, hatten sich die Konstrukteure erhofft, dass sich die beiden finanziell eher wackeligen Kandidaten (das Kunstmuseum stand 2002 schon mal vor der Pleite) gegenseitig stärken und befruchten. Zumal das Kunstmuseum eher nach innen in die Region blickt und das Zentrum nach außen: eine prima 360-Grad-Rundumsicht bei geteilten Kosten - soweit die Theorie. Doch in der Praxis verhinderten Neid und Missgunst von Beginn an ein gedeihliches Miteinander. Am Anfang war es der ungeliebte und umstrittene Museumsleiter Rolf Jessewitsch, der noch für beide Einrichtungen den Hut aufhatte. Er musste sich von Beginn an gegen Vorwürfe wehren, dass sein Herz mehr für das Zentrum mit internationalem Renommee schlug als für die Heimatkunst in der Provinz. 

Bei seiner Pensionierung im Jahr 2019 sollte es dann endlich einen Neustart mit zwei gleichberechtigten Direktoren geben: Gisela Elbracht-Iglhaut für das Kunstmuseum, Jürgen Kaumkötter für das Zentrum. Doch die Politik hatte dabei wohl übersehen, dass beide schon unter Jessewitsch für ihre jeweilige Einrichtung und gegeneinander gekämpft hatten: der eine als Kurator fürs Verfemte, die andere als stellvertretende Direktorin fürs Zeitgenössische. Und wie bei einer zerrütteten Ehe, die von Anfang an keine Liebesbeziehung war, sondern eine Zwangsheirat, spielen sich die gleichen Dramen wie im wirklichen Leben ab: gegenseitige Nickeligkeiten, ständige Zankereien um die Kosten, erfolglose Mediationen, um das zerschlagene Porzellan wieder zu kitten - und zum Schluss der lautstarke Streit darüber, wer jetzt ausziehen muss aus dem gemeinsamen Haus. 

Für die Mitglieder des „Freundeskreises Kunstmuseum“, die nicht wenig Geld in ihr Herzensprojekt stecken, eine klare Sache: wenn überhaupt einer gehen muss, dann das Zentrum. Doch die Kulturpolitiker favorisieren eine andere Lösung und wollen lieber das Kunstmuseum woanders unterbringen - etwa in der früheren Gräfrather Sparkasse. Was die Kunstmuseums-Förderer darin bestärkt, dass die Politik das Zentrum mit seinem omnipräsenten Direktor mehr liebt als die kleine bergische Kunst und Kultur, die aber nun mal als Identifikationspunkt für Solinger Bürger gebraucht wird. Zumal das Thema verfemte Kunst in der Stadt des Brandanschlags noch mal einen ganz besonderen Stellenwert hat. 

So verfahren die Situation scheint, so einfach ist indes die Lösung. Dazu muss man nur auf die Symbiose-Idee vor acht Jahren schauen: Jede Lösung, die eine Scheidung der beiden Einrichtungen beinhaltet, kostet Geld. Geld, das die Stadt nicht hat. Nicht 2015 und erst recht nicht heute. Der einzige Ausweg: aus der zerrütteten Ehe eine passable Wohngemeinschaft zu machen - mit klaren Regeln, eindeutigen Strukturen und vor allem führenden Köpfen, die nach dem Motto „leben und leben lassen“ verfahren. Diesen Weg zu ebnen, ist Aufgabe der Kulturpolitik, und nicht, unbezahlbaren Umzugsplänen nachzuhängen. 

Unsere Themen in dieser Woche 

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