Interview der Woche

Verdi-Geschäftsführerin: „Wir brauchen ein soziales Angebot“

Gewerkschafterin Stephanie Peifer will mit den Streiks vor allem auch Verbesserungen für mittlere und untere Einkommensgruppen erzielen.
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Gewerkschafterin Stephanie Peifer will mit den Streiks vor allem auch Verbesserungen für mittlere und untere Einkommensgruppen erzielen.

Verdi-Geschäftsführerin Stephanie Peifer über die Gründe für den Streik im öffentlichen Dienst.

Von Kristin Dowe

Frau Peifer, die Gewerkschaft Verdi fordert 10,5 Prozent mehr Gehalt und ein Plus von mindestens 500 Euro für den öffentlichen Dienst. Mit welcher Berechtigung?

Stephanie Peifer: Das ist leicht zu begründen. Zum einen ist die hohe Inflationsrate von zuletzt 8,7 Prozent im Februar 2023 eine Realität, sie verdeckt aber die weit darüber hinaus gehenden Steigerungen der Lebenshaltungskosten. Zudem traten 2022 bereits hohe Reallohnverluste ein. Besonders belastet sind die unteren Einkommensgruppen, deshalb ist der tabellenwirksame Mindestbetrag bei ihnen ganz wesentlich. Wir haben im öffentlichen Dienst auch sehr niedrige Einkommen. Ein Beispiel: Wenn das Angebot der Arbeitgeber einer Erhöhung von drei Prozent ab Oktober berücksichtigt werden würde, würde eine Reinigungskraft gerade mal 14 Cent über dem Mindestlohn verdienen. Das ist eine Frechheit. Auch deshalb kehren viele Beschäftigte dem öffentlichen Dienst den Rücken und suchen sich Alternativen. Das führt wiederum zu Fachkräftemangel in allen Bereichen, der sich in den kommenden Jahren weiter verstärken wird. Schon jetzt sind mehr als 300 000 Stellen unbesetzt, perspektivisch werden bis zu 1,4 Millionen Fachkräfte fehlen.


Die erste Verhandlungsrunde mit der Arbeitgeberseite verlief ergebnislos, in der zweiten hat man immerhin 5 Prozent mehr Lohn und Gehalt plus 2500 Euro steuerfreien Inflationsausgleich angeboten. Das ist doch ein Anfang . . .

Peifer: Das sehe ich nicht so. Denn die Erhöhung würde erst ab Oktober greifen und die Nullmonate werden in der Öffentlichkeit gerne verschwiegen. Eine weitere Erhöhung wäre laut dem Vorschlag ab Juni 2024 vorgesehen, so dass man rechnerisch auf 5 Prozent käme – allerdings bei 27 Monaten Laufzeit. Wir fordern aber 10,5 Prozent mehr Gehalt, mindestens 500 Euro, bei zwölf Monaten Laufzeit. Die angebotene Inflationsausgleichsprämie ist absolut nicht nachhaltig, denn es handelt sich dabei um eine Einmalzahlung ohne Tabellenwirksamkeit. Wir brauchen aber dauerhaft wirkende Einkommenssteigerungen. Und insbesondere die geforderten Schlechterstellungen bei Sparkassen und Krankenhäusern müssen weg.

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Der Streik legt auch im Bergischen weite Teile der öffentlichen Infrastruktur wie zum Beispiel die Kitas lahm. Viele berufstätige Eltern wissen nicht, wie sie ihr Kind betreuen lassen können. Ist es richtig, sie den Tarifstreit ausbaden zu lassen?

Peifer: Wir bestreiken nicht die Bürgerinnen und Bürger, sondern wir stärken unserer Verhandlungskommission den Rücken, weil Tariffragen Machtfragen sind. Die Arbeitgeber haben die Streiks provoziert. Die Menschen sind es gewohnt, dass der öffentliche Dienst seine Leistung bringt. Im Übrigen informieren wir gerade in den Kindertagesstätten sehr frühzeitig die Eltern, von denen wir viel Solidarität erfahren. Auch Notgruppen werden selbstverständlich vorgehalten. Dennoch müssen wir Druck auf die Arbeitgeber ausüben und Machtstrukturen sichtbar machen. Wenn der Müll nicht entsorgt wird oder es an den Kfz-Zulassungsstellen zu Einschränkungen kommt, ist das nur so, weil sich am Verhandlungstisch nichts bewegt. Die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber können dem sofort ein Ende setzen, wenn sie in der dritten Verhandlungsrunde ein angemessenes Angebot auf den Tisch legen.


Nicht nur der öffentliche Dienst, sondern auch Beschäftigte in der freien Wirtschaft leiden unter der Inflation. Auch sie müssten die Erhöhungen mittragen. Was sagen sie denen?

Peifer: Gute Bezahlungsbedingungen können durch Gewerkschaften und Tarifverträge festgeschrieben werden. In den Bereichen, wo wir eine Tarifbindung haben, kämpfen die Kolleginnen und Kollegen rechtmäßig durch ordentliche Streikaufrufe für ihre berechtigten Forderungen. Deshalb haben wir auch gute Tarifverträge und zum Beispiel einen Urlaubsanspruch, weit über dem gesetzlichen, durchgesetzt. Nur wo sich Menschen in der Gemeinschaft solidarisieren, gibt es die Chance, das Einkommen durch Gewerkschaften gut zu verhandeln. Es geht uns nicht darum, Berufsgruppen gegeneinander auszuspielen. Von den Bedingungen im öffentlichen Dienst sind aber immerhin 2,5 Millionen Menschen betroffen. Das ist eine riesengroße Tarifrunde.

Die dritte Verhandlungsrunde ist für den 27. März angesetzt. Was sind Ihre Erwartungen?

Peifer: Wir sind gespannt, was passieren wird und ob die Arbeitgeber verstanden haben, dass ihr sehr unsoziales Angebot unseren Forderungen entsprechend angepasst werden muss. Sie müssen aufhören, Realitäten zu negieren und unsere Forderungen ernstnehmen. Unsere Bundestarifkommission steht bereit, ein mögliches Angebot zu bewerten. Und dann werden wir eine Entscheidung treffen.

In dieser Woche, am 8. März, war Internationaler Frauentag. Welche Rolle spielen Frauen und ihre Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst?

Peifer: Im sozialen und Erziehungssektor liegt der Frauenanteil bei gut 83 Prozent, in den Kitas sind es sogar 94 Prozent. In diesem Bereich kämpfen wir seit Jahren um eine Aufwertung. Der Stellenwert eines Ingenieurs liegt beispielsweise deutlich höher als der einer Sozialpädagogin, ähnliche Probleme gibt es im Gesundheitswesen, wo die Kolleginnen und Kollegen während der Pandemie beklatscht worden sind. Mehr im Portemonnaie wird aber auch hier verweigert. Insofern besteht in klassischen Frauenberufen besonderer Nachholbedarf. Wenn die Kaufkraft erhalten bleiben soll, muss es auch mehr „Cash in de Täsch“ geben. Umso mehr muss ein soziales Angebot auf den Tisch kommen, von dem nicht nur Amtsleitungen profitieren, sondern das auch untere und mittlere Einkommensgruppen stärkt.

Mit der Post konnte Verdi am Wochenende eine Tarifeinigung erzielen, nach der Urabstimmung sah es aber zunächst nach einem unbefristeten Streik aus. Droht dieses Szenario auch im öffentlichen Dienst?

Peifer: Bei fortgesetzter Arbeitgeberverweigerung könnte es auch hier zu einer Urabstimmung kommen. Allerdings gibt es im öffentlichen Dienst noch eine Schlichtungsvereinbarung. Wenn diese durch die Arbeitgeber angerufen wird, muss bewertet werden, was über eine Schlichtung möglich ist. Wenn dabei aber auch nichts herauskommt, stehen wir gleichfalls vor einer Urabstimmung mit der Folge eines Streiks. Das streben wir zurzeit nicht an und niemand möchte, dass der öffentliche Dienst Deutschland lahmlegt. Denn die Beschäftigten arbeiten gerne und die Bürgerinnen und Bürger wissen die Dienstleistungen auch zu schätzen. Es ist alles offen – es kommt jetzt auf das Verhalten der Arbeitgeber an.

Hintergrund

Zur Person: Stephanie Peifer (58) ist seit Dezember 2012 Geschäftsführerin des Verdi-Bezirks Düssel-Rhein-Wupper. Vor ihrer beruflichen Laufbahn als Gewerkschafterin arbeitete sie als Krankenpflegerin.

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