Interview der Woche

Simone Lammert und Iris Preuß-Buchholz: „Wir brauchen mehr engagierte Frauen in der Politik“

Simone Lammert (CDU, l.) und Iris Preuß-Buchholz (SPD) wünschen sich beide mehr Frauen in politischer Verantwortung. Den zeitlichen Aufwand für ein Ehrenamt solle aber niemand unterschätzen, sind sie sich einig.
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Simone Lammert (CDU, l.) und Iris Preuß-Buchholz (SPD) wünschen sich beide mehr Frauen in politischer Verantwortung. Den zeitlichen Aufwand für ein Ehrenamt solle aber niemand unterschätzen, sind sie sich einig.

Simone Lammert (CDU) und Iris Preuß-Buchholz (SPD) über ihre Erfahrungen in männerdominierter Politik.

Von Kristin Dowe

Frau Preuß-Buchholz, Frau Lammert, im Solinger Stadtrat ist nur jedes vierte Mitglied weiblich und auch in den anderen politischen Gremien sind Frauen in der Minderheit. Worin sehen Sie die Ursachen?
Simone Lammert: Zunächst ist es ein generelles Problem, neue und insbesondere junge Leute für die Kommunalpolitik zu gewinnen und auch zu halten, die in gewählten Gremien mitarbeiten möchten. Da Frauen und vor allem Mütter auch heute noch einen Großteil der Care-Arbeit übernehmen, potenziert sich das Problem. Das kommunalpolitische Engagement ist ja nun mal ein Ehrenamt, das man mit vielen anderen Pflichten unter einen Hut bekommen muss und das viel Arbeit macht. Wir als CDU-Fraktion sind momentan relativ jung. Mal sehen, wie es sich in den nächsten Jahren entwickelt.
Iris Preuß-Buchholz: Das sehe ich ähnlich. Die SPD-Fraktion hat ja mit sechs weiblichen von 14 Mitgliedern noch den höchsten Frauenanteil, dafür sind wir nicht ganz so jung. In der letzten Legislaturperiode haben wir ein Programm aufgelegt, um neue Mitglieder für diese Arbeit zu gewinnen. Als denen klar wurde, wie viel Aufwand das ist, sind uns viele verloren gegangen. Auf der anderen Seite finde ich es wichtig, nicht jemanden mit falschen Versprechungen in ein Amt zu drücken. Studium und Beruf müssen an erster Stelle stehen. Aktuell haben wir zwar Frauen, die alle schon etwas länger dabei sind, aber uns fehlen die jüngeren Leute. Daran arbeiten wir. Das ist aber nicht nur ein Frauen-, sondern auch ein Männerproblem.
Die Gleichstellungsstelle und die VHS haben eine Seminarreihe ins Leben gerufen, um Frauen fit für die Kommunalpolitik zu machen. Wie erfolgversprechend ist das – und was tun Ihre Parteien für die Frauenförderung?
Lammert: So eine Initiative kann zumindest ein reelles Bild schaffen. Die Workshops finde ich thematisch handfest und ich glaube, dass die Teilnehmerinnen dort einen guten Einblick bekommen, was auf sie zukommt, wenn sie diese Arbeit auf Dauer machen möchten. Wenn es darum geht, mehr Frauen für die Politik zu gewinnen, hat die CDU auf vielen Ebenen noch eine Menge zu lernen. Allerdings haben auch die Grünen, die ja die Quote haben, ähnliche Probleme. Eine Quote rettet natürlich nicht – sie wurde ja auch bei uns nach vielen Diskussionen implementiert.
Preuß-Buchholz: Generell sind solche Angebote immer gut. Gerade für Frauen, die nicht parteilich gebunden sind und sich erst mal informieren möchten, ist das sinnvoll. Den Weg durch die Instanzen muss jeder und jede gehen. Denn nicht die Fraktion stellt die Kandidaten auf, sondern die Partei. Wenn man in einem Ortsverein nicht bekannt ist, hat man es schon schwerer, sich durchzusetzen. Es ist dann nicht selbstverständlich, dass man ein Amt bekommt. Ich kann mich noch gut an meine erste Vorlage aus dem Bauausschuss erinnern – mein erster Gedanke war: Das ist Chinesisch! Was den Frauenanteil bei uns in der SPD betrifft, ist sicherlich die Quote ein Mitgrund dafür, warum wir fast paritätisch besetzt sind. Wir werden die Ortsvereine auch wieder auffordern, auf eine möglichst ausgeglichene Besetzung zu achten. Wenn sich aber keine Frau zur Verfügung stellt, kann man sich auch keine backen.
Warum brauchen wir grundsätzlich mehr Frauen in der Politik?
Preuß-Buchholz: Ich finde schon, dass Frauen anders Politik machen. Wir sind kommunikativer, wir tun der Politik gut – und außerdem sind wir die Hälfte der Bevölkerung! Da sehe ich gar nicht ein, warum Politik nur von den Männern gemacht werden soll. Es geht auch um Fragen der Repräsentation. So wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben. Stadt und Parteien sollten gemeinsam daran arbeiten, dass ein politisches Ehrenamt machbarer ist.
Lammert: Ich sehe da auch das Land in der Verantwortung. Wenn wir in Richtung Rathaus blicken, haben wir relativ viele Sitzungsblöcke. Aktuell ist es einer mehr als sonst, das ist schon ordentlich. Gleichzeitig sind wir in Solingen unter Corona auch recht gut mit den digitalen Sitzungen gelaufen. Im Hauptausschuss wurde schon mehrfach darüber berichtet, dass sich das Land in Bezug auf die hybriden Sitzungen sperrt. Aus unserer Fraktionsarbeit kann ich berichten, dass diese Möglichkeit sehr entlastend für alle Beteiligten ist. So finden unsere Fraktionssitzungen überwiegend online statt und der Fraktionsvorsitzende betreibt einen erheblichen Aufwand, um die Ermöglichung des Amtes zu organisieren. Das sollte den Fraktionen einfacher gemacht werden.
Wie haben Sie Ihre eigenen ersten Schritte in der Politik erlebt?
Lammert: Ich komme aus einer sehr politischen Familie. Meine Eltern haben sich damals in der Jungen Union kennengelernt, mein Großvater war Bezirksvertreter bei der CDU in Burg, kurz gesagt: Bei uns zu Hause wurde nie nicht diskutiert. Auch früher bin ich immer mal mit zu Veranstaltungen gegangen. Als ich dann mit 17 in die CDU eingetreten bin, kam bei mir der Punkt, an dem ich auch mitmachen wollte. Zu dem Zeitpunkt hatte unser jetziger Fraktionsvorsitzender Daniel Flemm die Junge Union übernommen. Die Zeit hat uns zusammengeschweißt und mit vielen Kollegen sind enge Freundschaften entstanden. Das hilft sehr, am Ball zu bleiben. Darüber hinaus habe ich alle üblichen Ebenen in verschiedenen Vereinigungen oder Ortsverbänden durchlaufen. Dazu gehört auch Plakatieren, oder Flyer verteilen. Irgendwann hatten wir genügend Anhänger, die uns dann in die Positionen gebracht haben, in denen wir jetzt sind. Aber das ist ein langer Weg. 
Preuß-Buchholz: Auch ich komme aus einer politischen Familie. Mein Vater war gewerkschaftlich engagiert und bei uns wurde ähnlich viel diskutiert. Schlussendlich bin ich durch den Geschichtsleistungskurs dazu gekommen, in die SPD einzutreten. Als ich später für den Landtag kandidiert habe, hatte Kommunalpolitik plötzlich ein Gesicht für mich. Als einer meiner damaligen Mitschüler zur Jungen Union ging, wollte ich nicht, dass seine Ansichten allein die Stadt gestalten. (lacht) Obwohl ich ihn als Mensch sehr schätze. Zunächst wollte ich mich ein bisschen in der Partei engagieren und bin dann immer mehr in meine Aufgaben hineingewachsen.
Haben Sie als Frauen in der Politik jemals Diskriminierung erfahren?
Lammert: Ich würde lügen, wenn ich jetzt Nein sagen würde. Grundsätzlich trifft man als junger Mensch immer auf Vertreter der alten Schule. Sicherlich müssen sich auch die jungen Kollegen den einen oder anderen Spruch anhören, bei Frauen ist das aber noch stärker ausgeprägt und das Aussehen wird kommentiert. Das erleben Männer in dieser Form nicht. Allerdings hat sich das mit dem Generationenwechsel schon deutlich verändert.
Preuß-Buchholz: Ich bin vorher viel gefördert worden und habe das nicht empfunden, bis ich für den Landtag kandidieren wollte. Dann stieß ich plötzlich an eine gläserne Decke. Ich bin ja gegen unseren damaligen Parteivorsitzenden angetreten und verfügte über ähnlich gute Netzwerke wie er. Da fielen auch Sprüche, die mich verletzt haben. Ein Kollege, mit dem ich mehr als 20 Jahre zusammengearbeitet habe, sagte mir sinngemäß: „Du bist zwar gut, aber stell' dich hinten an.“ Wenn es um höher bezahlte Jobs geht, findet man immer noch einen guten Mann, bevor man eine Frau nimmt.
Wie gut sind Familie, Beruf und politisches Ehrenamt miteinander vereinbar?
Lammert: Ich kann noch nicht aus Erfahrung mit Kind sprechen, habe aber großen Respekt davor, wenn diese Situation mal eintreffen wird. Mein Mann und ich sind schon lange zusammen und er unterstützt mich bei meiner politischen Arbeit sehr. Auch meine Familie hat dafür viel Verständnis. Es geht nur mit vielen Absprachen.
Preuß-Buchholz: Darin liegt leider immer noch die größte Hürde für Frauen: Erst wenn die Betreuung der Kinder zuverlässig gewährleistet werden kann, ist neben Familie und Beruf auch ein Mandat zu schaffen. Allerdings müssen sich die Rahmenbedingungen in der Kommunalpolitik mit ihrer enormen zeitlichen Belastung generell ändern. Ich persönlich hatte Glück: Ich habe meinen Mann in der Politik kennengelernt und zuerst habe ich ihn unterstützt, er mich umgekehrt aber später ebenso.
Eine Freundin von Ihnen möchte sich politisch engagieren. Wie motivieren Sie sie?
Lammert: Wenn ernsthaftes Interesse besteht, hat sie gute Chancen, sich einbringen zu können. Jeder möchte gerade mit offenen Armen engagierte, kluge Frauen in die eigenen Reihen aufnehmen. Natürlich muss der Wille dazu da sein, aber die Chancen für Frauen sind groß, auch etwas zu bewegen. Es mag viel Arbeit sein, aber es ist eine absolut interessante Sache. Sonst würden wir es nicht machen.
Preuß-Buchholz: Ich würde sie unterstützen, ihr aber auch ehrlich sagen, wie viel Zeit es kostet. Es lohnt sich, erst mal als sachkundige Bürgerin anzufangen. In den fünf Jahren kann man viel lernen und ist vorbereitet, wenn man dann in die Bezirksvertretung oder in den Rat geht. Tolle, engagierte Frauen brauchen wir dringend – aber mit realistischen Vorstellungen.

Hintergrund

Iris Preuß-Buchholz (65) ist Fraktionsvorsitzende und schulpolitische Sprecherin der SPD Solingen. Von 2009 bis 2017 war sie Abgeordnete für die SPD im Düsseldorfer Landtag und war früher als Lehrerin tätig.

Simone Lammert (31) ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU Solingen und arbeitet als Lehrerin an der Albert-Schweitzer-Realschule. Darüber hinaus ist sie Vorsitzende der Frauenunion Solingen.

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