900 Kitaplätze zu wenig

Sie ziehen weg, weil der Kitaplatz fehlt

So langsam fangen Jana Meyer und Daniel Hübchen an, die Kisten für den Umzug nach Aue zu packen, weil sie in Solingen keinen Kita-Platz für Sohn Emil finden.
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So langsam fangen Jana Meyer und Daniel Hübchen an, die Kisten für den Umzug nach Aue zu packen, weil sie in Solingen keinen Kita-Platz für Sohn Emil finden.

Eine Anästhesiepflegerin und ein Industriemechatroniker haben gekündigt und gehen nach Aue.

Von Simone Theyßen-Speich

Solingen. Jana Meyer ist Krankenschwester und sie liebt ihren Beruf. Seit 27 Jahren arbeitet sie in Vollzeit im Klinikum Solingen, nach der Ausbildung zunächst in der Unfallchirurgie, dann auf der Intensivstation, seit 2015 ist sie in der Anästhesie, mittlerweile als stellvertretende Leitung der Anästhesiepflege. Eine der dringend gebrauchten hoch qualifizierten Fachkräfte in der Pflege.

Aber Jana Meyer verlässt Solingen und das Klinikum. Schweren Herzens hat sie gekündigt. Der Grund: In Solingen findet sie keinen Kitaplatz für ihren kleinen Sohn Emil (16 Monate), wenn Ende des Jahres ihre Elternzeit ausläuft. Die 44-Jährige und ihre Familie gehen im Oktober zurück nach Aue. „Es ist schon skurril, 1996 bin ich aus Aue in die Partnerstadt Solingen gekommen, weil ich dort keine Ausbildungsstelle gefunden hatte, jetzt gehe ich zurück, weil ich hier keine Betreuung für meinen Sohn finde.“

Auch ihr Lebensgefährte Daniel Hübchen, der als Industriemechatroniker tätig ist, gibt für die Familie hier seinen Job auf und wird sich in Sachsen neu orientieren. Einen Kitaplatz für Emil zu finden, das war im Erzgebirge kein Problem. „Der Platz für Emil ist ab Januar, wenn wir möchten auch schon ab Dezember sicher“, erzählt Jana Meyer. In Solingen habe es – trotz aller Bemühungen – für diesen Sommer aber auch für nächstes Jahr keine Perspektive in einer Einrichtung gegeben, „und Plätze unterjährig zu bekommen, dann nämlich, wenn die Elternzeit endet, ist schon gar nicht möglich“, so Meyer.

Sie hat schon eine Stellenzusage im Krankenhaus in Aues Nachbarort Erlabrunn. „Auch in Aue hat man mir eine Stelle angeboten, das Krankenhaus dort hat sogar eine Betriebskita.“ Die würde sich die Anästhesiepflegerin auch für Solinger Unternehmen wünschen. „Ich muss um 7 Uhr im OP sein, hier in Solingen bietet nur die Kita Lucasstraße Betreuung ab 6.30 Uhr an“, beschreibt sie die Situation, vor der viele Kolleginnen und Kollegen aber auch Eltern im Schichtbetrieb stehen.

Aber die Uhrzeiten hätte die Familie schon irgendwie geregelt bekommen, „das Klinikum wäre mir auch bei den Arbeitszeiten entgegengekommen“, erzählt die 44-Jährige, die auch jetzt während der Elternzeit in ihrer Stelle noch zu 15 Prozent arbeitet. „Ich mache den Beruf wirklich sehr gerne, aber ganz ohne Betreuungsplatz ist eine Beschäftigung, selbst in Teilzeit, nicht möglich“, so Jana Meyer. Das gehe nur, wenn man Großeltern mit einspannen könne. In Aue leben Jana Meyers Mutter und die Schwester samt Familie in direkter Nachbarschaft der neuen Wohnung.

Zum Sommer fehlen in Solingen 900 Kitaplätze

Denn das Betreuungsproblem setze sich ja weiter fort – nach der Kita in den Grundschulen mit den fehlenden Ganztagsplätzen. Im Osten stünden für die Kinder Krippenplätze für Unter-Dreijährige für pauschal 200 Euro im Monat, Ü3-Ganztagsplätze für 100 Euro und Hortplätze für Schulkinder für 57 Euro zur Verfügung. „Das würde auch hier unser Fachkräftemangel-Problem verbessern“, so Daniel Hübchen, der in Aue schon Gespräche in Unternehmen hatte, die die Kita-Gebühr komplett übernehmen.

Der kleine Emil ist eines von 900 Kindern in Solingen, die im Sommer ohne Kitaplatz dastehen. Neben Einrichtungen fehlen auch die Erzieher. „Sollten wir Personal für die neuen Einrichtungen finden, könnten unterjährig noch 110 bis 150 Plätze geschaffen werden“, so Stadtsprecher Daniel Hadrys.

„Ich habe schon mehrere Gespräche mit verzweifelten Kolleginnen geführt, die sagen, dass sie schlimmstenfalls kündigen müssen, wenn sie keinen Platz finden“, bestätigt Dorothee Grabe, Gleichstellungsbeauftragte im Klinikum. „Bei dem aktuellen Fachkräftemangel ist das ein Desaster.“

Das Klinikum sei bemüht, die Familien mit flexiblen Arbeitszeiten zu unterstützen. Im Rahmen des „Masterplans 2025“ soll auch eine Kita auf dem Klinikum-Gelände entstehen. „Mit der Stadt sind wir im Gespräch über Belegplätze für Mitarbeiter und die Randzeitbetreuung“, so Klinikum-Geschäftsführer Dr. Martin Eversmeyer, der davon ausgeht, dass das Bauvorhaben bald umgesetzt wird. Für den kleinen Emil kommen die Pläne zu spät. Die ersten Umzugskartons sind schon gepackt. Und was, wenn sich doch noch ein Kitaplatz findet? „Dann sind die Karten noch mal neu gemischt“, so Jana Meyer. 

Tagespflege

Klinikum: Schon in Kürze will das Klinikum eine Tagespflegestelle mit acht Plätzen für unter-dreijährige Kinder von Mitarbeitern anbieten. Dafür wird derzeit ein Appartement auf dem Klinikum-Gelände an der Herberger Straße umgebaut.

Freie Plätze: Nach Auskunft der Stadt sind noch vereinzelte U3-Plätze in Tagespflegeeinrichtungen stadtweit frei.

Kommentar von Simone Theyßen-Speich: Ein Teufelskreis

simone.theyssen-speich@solinger-tageblatt.de

Bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind die Bundesländer im Osten besser aufgestellt. Dort werden Mütter, die ihr Kind um 6.30 Uhr in der Kita abgeben, weil sie zum Schichtdienst müssen, auch nicht komisch angeschaut. Und wir können es uns angesichts des Fachkräftemangels nicht mehr leisten, Mütter oder Väter länger als gewünscht aus dem Beruf fernzuhalten.

Es geht dabei nicht nur ums Geldverdienen. Es geht darum, wichtige Aufgabenfelder in der Gesellschaft, als Pflegekräfte, Lehrer oder Erzieher, die leider immer noch vermehrt Frauen-Domänen sind, qualifiziert zu besetzen. Und es geht vor allem darum, allen zu ermöglichen, im gewählten Beruf arbeiten zu können und die Kinder gut betreut zu wissen.

Das Leben mit kleinen Kindern ist für berufstätige Eltern schon stressig genug. Da muss der Staat mit ausreichend Kitaplätzen unterstützen. Ein Rechtsanspruch, der nicht durchsetzbar ist, weil die Plätze fehlen, nützt nichts.

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