Kultur

Museen streiten, wem Besucher gehören

Im ehemaligen Gräfrather Rathaus sitzt seit 1996 das Kunstmuseum. Dort ist auch das Zentrum für verfolgte Künste angesiedelt, das Ende 2015 seinen Betrieb endgültig aufnahm. Zuvor gab es bereits Ausstellungen des Zentrums im Haus.
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Im ehemaligen Gräfrather Rathaus sitzt seit 1996 das Kunstmuseum. Dort ist auch das Zentrum für verfolgte Künste angesiedelt, das Ende 2015 seinen Betrieb endgültig aufnahm. Zuvor gab es bereits Ausstellungen des Zentrums im Haus.

Kunstmuseum und Zentrum für verfolgte Künste erfahren nach der Pandemie wieder mehr Zulauf.

Von Björn Boch und Philipp Müller

Solingen. 2464 Menschen haben voriges Jahr Eintrittskarten an der Kasse im früheren Gräfrather Rathaus gekauft und Ausstellungen im Kunstmuseum und im Zentrum für verfolgte Künste besucht. Die beiden Museen teilen sich das Gebäude. Das sind mehr Besucherinnen und Besucher als in den Jahren der Pandemie, aber weniger als in den Jahren 2017 bis 2019. 2464 ist auch lediglich die Zahl von Personen, die regulär an der Kasse ein Ticket gekauft hat. Insgesamt liegt die Besucherzahl durch Vernissagen, bei denen traditionell kein Eintritt verlangt wird, sowie Angeboten der Museumspädagogik, Konzerten und weitere Aktionen deutlich höher – offenbar mehr als viermal so hoch.

Doch wie hoch genau? Und welchem der beiden Museen sind diese Besucher zuzurechnen? Darüber herrscht zwischen den Leitungen von Kunstmuseum und Zentrum nur selten Einigkeit. Weil die Solinger Politik begonnen hat, einen neuen Standort für das Kunstmuseum zu suchen – Hintergrund sind Pläne des Landschaftsverbands Rheinland, das Zentrum für verfolgte Künste zu stärken –, bringen sich Freunde der jeweiligen Institution mit Meinungen und Zahlen in Stellung.

Das Kunstmuseum sei für die Stadtgesellschaft wichtig und habe deutlich mehr Besucher, während das Zentrum vor allem Spezialinteresse bediene, argumentieren die einen. Das Zentrum habe überregionale Strahlkraft und Besucher-Zuspruch, während sich das Kunstmuseum mit dem Angebot über die moderne Kunst hinaus schwertue, so die anderen. Subtext: Der jeweils andere ist weniger wichtig. Und teils: Der jeweils andere soll sich bitte einen neuen Standort suchen.

Jürgen Kaumkötter, Direktor des Zentrums für verfolgte Künste.

Einig sind sich Gisela Elbracht-Iglhaut, Leiterin des Kunstmuseums, und Jürgen Kaumkötter, Direktor des Zentrums für verfolgte Künste, darin, dass beide Institutionen gemeinsam am selben Ort keine Zukunft haben. Zu kompliziert ist das Konstrukt, in dem das Kunstmuseum nur ein Drittel der Ausstellungszeit hat, aber Hauptmieter ist, während das Zentrum für verfolgte Künste als Untermieter Geld für Räume und Ausstellungsflächen und -zeiten bezahlt.

„Da ist 2015 eine falsche Strategie gewählt worden. Eine unschöne Entscheidung für beide Seiten“, sagt Jürgen Kaumkötter. Als Geschäftsführerin des Kunstmuseums sorgt sich Gisela Elbracht-Iglhaut um die Finanzierung des gesamten Hauses. Das Kunstmuseum ist eine hundertprozentige Tochter der Stadt. Ein Drittel der Zentrumsgesellschaft gehört der Stadt, die beiden anderen Drittel gehören dem Landschaftsverband.

Die beiden Museumsleiter kommen auf persönlicher Ebene nicht mehr miteinander klar, wollen diesen Konflikt aber nicht öffentlich austragen. Auch da herrscht Einigkeit. Im Alltag aber führt das – und das erwähnte Konstrukt samt dem Vertrag zum Binnenverhältnis der Museen – zu Streit über Raumnutzungen, Büroflächen oder Zeitpläne. Als das Tageblatt Ende 2022 berichtete, dass trotz Energiesparverordnung das alte Gräfrather Rathaus nachts strahlend hell beleuchtet wurde, war schwer herauszufinden, wer das Licht abschalten kann. Und wie.

Gefährdet sind durch das Konstrukt auch Aktionen wie „Klasse Kunst“. Weil Elbracht-Iglhaut – unter anderem auf Sponsorenwunsch – die Bergische Kunstausstellung verlängert hat, fehlt ihr danach Zeit für die Schau, bei der Schülerinnen und Schüler im Unterricht entstandene Kunstwerke öffentlich ausstellen. Vierstellig sei die Zahl der Besucher aus Schulklassen, sagt Elbracht-Iglhaut. „Das ist so wichtig.“ Von Kaumkötter wünscht sie sich daher „eine Woche mehr Zeit“ im November, um die Schau durchführen zu können.

Gisela Elbracht-Iglhaut, Leiterin des Kunstmuseums.

Kaumkötter hatte das 2022 möglich gemacht. 2023 will er nur dann wieder Ausstellungszeit abgeben, wenn er als Mitveranstalter der Aktion auftritt und auch inhaltliches Mitspracherecht hat. Das wiederum will Elbracht-Iglhaut bislang offenbar nicht. Im Moment sieht es so aus, als müsse „Klasse Kunst“ ausfallen oder an einem anderen Ort stattfinden.

Beide betonen zwar, dass sich die Institutionen bis zu einer Lösung des Konstruktionsproblems gegenseitig befruchten könnten und auch sollten. Parallel stellen beide allerdings Berechnungen an, die Besucherzahlen des jeweils anderen hinterfragen. So nimmt Elbracht-Iglhaut die Tagesbesucher, rechnet sie der jeweiligen Wechselausstellung zu – und setzt sie ins Verhältnis zu den Zeiten, die ihr oder dem Zentrum zustehen. In ihrer Rechnung hat das Kunstmuseum bei seinen Ausstellungen etwas mehr als 1200 Besucherinnen und Besucher im Jahr 2022, das Zentrum für verfolgte Künste etwas weniger als 1200. Weil das Kunstmuseum aber nur ein Drittel der Zeit Wechselausstellungen zeigen könne, habe es auf die Tagesbesuche betrachtet einen deutlich größeren Zuspruch als das Zentrum – und zwar im Verhältnis zwei zu eins. Einige argumentieren, mit weiteren Besuchern – etwa bei museumspädagogischen Angeboten – liege das Verhältnis sogar bei drei zu eins.

Zahlende Besucher

Dass Besucher vor allem aufgrund der Wechselausstellung kommen, ist zwar eine plausible Annahme. Mehr aber auch nicht – angesichts einer Kasse, die keine Unterscheidung kennt und angesichts paralleler Dauerausstellungen. Zentrumsdirektor Kaumkötter verweist zudem auf eigene Besucher, die nicht von der Kasse erfasst seien. Das gleiche das Verhältnis der Besucherzahlen beider Museen aus. Er vermisst in diesen Berechnungen unter anderem geführte Gruppen, die per Rechnung bezahlt hätten. Oder die Berücksichtigung der Maks-Levin-Schau, die parallel zu einer Kunstmuseumsausstellung 2022 lief. Rechnet man alle von den Akteuren genannten Besucher aus dem Jahr 2022 zusammen, besuchten knapp 12 000 Menschen beide Museen.

Elbracht-Iglhaut sieht ihre Ausstellungen gefangen in dem engen Zeitrahmen, der ihr zur Verfügung steht. Und sähe sich in der Lage, mit mehr Zeit die Besucherzahlen auszubauen: „Zahlen sagen nichts über die Qualität. Es gibt gute Ausstellungen mit wenigen Besuchern, keine Frage. Aber es wird auch Ausstellungen geben müssen, zu denen viele Leute kommen.“ Sonst fehlten die Einnahmen.

Kaumkötter dagegen glaubt, das Zentrum für verfolgte Künste befinde sich im „Kommunikationsschatten“ des Kunstmuseums. Beim alten Rathaus als Veranstaltungsort dominiere immer noch das Kunstmuseum in der Wahrnehmung. Das Zentrum habe nicht einmal eine richtige Straßenbeschilderung und werde – etwa auf der Internetseite der Stadt Solingen – „wie eine Unterabteilung des Kunstmuseums geführt“. Gänzlich unbeachtet bleibe bei der Betrachtung außerdem, welch hohe Resonanz das Zentrum für verfolgte Künste im digitalen Raum erziele – sowie durch „Besuche von uns konzipierter Ausstellungen an anderen Orten“.

Andere Museen zählen ebenfalls nicht nur die reinen Ausstellungsbesucher. So gibt zum Beispiel das Klingenmuseum mehr als 12 000 Besucher für 2022 an. Dazu zählen aber auch Teilnehmer von Fachtagungen oder Veranstaltungen wie das Kinderpiratenfest. Im Fall von Kunstmuseum und Zentrum für verfolgte Künste liegt das Problem aber tiefer. Zählen etwa Konzertbesucher im Meistermannsaal zum Kunstmuseum, das die Reihe mit verantwortet? Oder zum Zentrum für verfolgte Künste, dessen Kunst dort aktuell hängt? Und was ist mit Tagungen, Empfängen oder Feiern, die im Museum stattfinden?

Am 9. März wird sich der Kulturausschuss weiter mit der Standortfrage befassen. Auch die beiden Museumsleiter sollen gehört werden. Die Debatte wird also weitergehen.

Hintergrund

Personal: Shop und Kasse werden vom Kunstmuseum betreut – mit Ehrenamtlern. Festangestelltes Personal dort ist nicht finanzierbar.

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