Mein Blick auf die Woche
Millionenschulden: Stadt muss sich auch an die eigene Nase fassen
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Die Stadt darf trotz der Ungerechtigkeit bei der Verteilung der Kosten für die Unterbringung von Flüchtlingen nicht alle Bemühungen fahren lassen, den eigenen Beitrag zu mehr Sparsamkeit und Effizienz zu leisten. Das findet ST-Chefredakteur Stefan M. Kob.
Solingen. Wer mit dem Finger auf andere zeigt, auf den zeigen drei eigene zurück, heißt es so schön - und meistens zutreffend - im Volksmund. Ein wenig verhält es sich so, wenn die Stadt beim Thema Finanznot stets auf Bund und Land verweist. Immer neue Aufgaben und Lasten werden den Städten aufgebürdet, ohne dass sie dafür eine ausreichende Kompensation erhalten. Das ist ein Fakt, der sich seit Jahrzehnten wie ein roter Faden durch die Geschichte der Kommunalfinanzen.
Zuletzt endete der x-te Gipfel ohne irgendeinen zählbaren Fortschritt: Außer vielen Spesen nix gewesen, lautete die Bilanz des jüngsten Flüchtlingsgipfels, zu dem Innenministerin Nancy Faeser die kommunalen Spitzenverbände eingeladen hatte. Warum der Bund, der die entsprechenden Beschlüsse fasst und Gesetze beschließt, nicht eins zu eins für die Kosten der Unterbringung der Flüchtlinge aufkommt, während die Städte vor Ort die Organisation übernehmen, lässt sich durch keine Logik dieser Welt erklären - außer durch das Recht des Stärkeren.
Doch darf das nicht dazu führen, dass die Stadt aufgrund dieser Ungerechtigkeit alle Bemühungen fahren lässt, den eigenen Beitrag zu mehr Sparsamkeit und Effizienz zu leisten. Dass der fiese Bund zugleich als Sündenbock herhalten muss, um von der eigenen Unfähigkeit abzulenken, darauf hat nicht nur IHK-Präsident Henner Pasch in seinem Weckruf via Solinger Tageblatt hingewiesen. Als Unternehmer weiß er nämlich ziemlich genau, was passiert, wenn in seiner Firma die Personalkosten plötzlich um 15 Prozent stiegen, ohne dass eine entsprechende Umsatzentwicklung dahinter stünde: der Gang zum Konkursgericht.
In Solingen steigen die Kosten für Personal in dieser Größenordnung: um 23 Millionen Euro, verursacht unter anderem durch 100 neue Stellen. Alarmglocken läuteten deshalb aber keineswegs. Denn eine Stadt kann nun mal im klassischen Sinne nicht pleitegehen, sondern darf - und soll sogar- mit allerlei Bilanztricks den wahren Schuldenstand verschleiern: mit Schattenhaushalten, Ausgliederungen und sonstigen kreativen Ideen. Der Bund lebt es vor: Man nennt ein Milliarden-Minus einfach „Sondervermögen” und schon klingt es wie ein dolles Ding, das jeder haben sollte.
Natürlich verweist die Stadt zu Recht auf übergeordnete Ebenen, die mit Wohngeldgesetz, Flüchtlingsunterbringung etc. den kommunalen Stellenplan aufblähen. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit: Denn Remscheid und Wuppertal, die ebenso unter den auferlegten Lasten stöhnen, haben weit weniger hohe Steigerungsraten. „Alles nicht vergleichbar” wird die schlechte Nachricht im Rathaus abgetan. Ja, fragt der geneigte Bürger sich, warum denn eigentlich nicht? Offensichtlich liegt den Verwaltungen nichts daran, sich vergleichbar zu machen - was ja eigentlich Voraussetzung ist, um eine Ahnung zu bekommen, wo man wirklich steht. Auch ein Unding, das Pasch völlig zu Recht kritisiert.
Das Gefühl, dass im Rahmen einer steten Aufgabenkritik kontinuierlich überlegt wird, wo und wie sich durch Umbesetzungen und Effizienzsteigerungen - beispielsweise durch konsequente Digitalisierung - mit dem vorhandenen Personalstamm die Arbeit bewältigen ließe, dieses Gefühl hat man gerade nicht. Ein besonders absurdes Beispiel lieferte in dieser Woche die Nachbarstadt Remscheid: Da wurde für jährliche Kosten von 113.000 Euro die Stelle einer Diversity-Managerin im Röntgen-Museum geschaffen, die im Kulturbereich die geschlechtergerechte Sprache durchsetzen soll - während in den Bereichen Sicherheit und Bauverwaltung Personal fehlt. Die Begründung der Stadt lautet: Weil es dafür Fördergelder gibt. Keine weiteren Fragen.
Immerhin sind in Solingen die Pläne vom Tisch, für die neuen Mitarbeiter entsprechende Bürotrakte zu bauen. Corona sei Dank steht aufgrund der Homeoffice-Möglichkeiten nicht mehr jedem Beschäftigten ein eigener Schreibtisch zur Verfügung. Und plötzlich kann sogar das für zuletzt noch komplett marode erklärte Verwaltungsgebäude an der Bonner Straße nun plötzlich doch durch Handwerker und nicht mit der Abrissbirne saniert werden. Mal schauen, wie lange diese Aussage Bestand hat.
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