Mein Blick auf die Woche

Meinung: Das Ende des Kuschelkurses - was die vernichtende Kritik von Henner Pasch bedeutet

stefan.kob@solinger-tageblatt.de
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Es ist DAS Thema in Solingen: IHK-Präsident Henner Pasch hat ausgepackt, was in Solingen alles schief läuft - die Männerfreundschaft mit OB Tim Kurzbach dürfte massive Dellen bekommen haben. Wenn auch zugespitzt, so trifft Pasch doch den Nagel auf den Kopf, findet auch ST-Chefredakteur Stefan M. Kob. Und meint damit nicht nur den OB.

Solingen. Rumms. Wie ein Blitz aus scheinbar heiterem Himmel ist das ST-Interview mit dem Präsidenten der Industrie- und Handelskammer (IHK) Henner Pasch eingeschlagen. Kein anderer Beitrag der letzten Monate hat die Gemüter mehr bewegt und für so langanhaltende Diskussionen gesorgt.

Insbesondere im Rathaus war die Stimmung so gar nicht mehr karnevalistisch heiter. Vermutlich musste das Prinzenpaar Jacky I. und Markus II. am Donnerstag gar nicht lange mit Oberbürgermeister Tim Kurzbach beim Sturm aufs Rathaus um den Rathausschlüssel ringen. „Macht es doch besser”, wird das Stadtoberhaupt vielleicht heimlich gedacht haben. Und die Jecken sind am Aschermittwoch mit Sicherheit froh, die Bürde wieder los zu sein. 

Was war passiert? Eigentlich hat Henner Pasch nur das ausgesprochen, was viele in dieser Stadt denken, die viel will und offenbar (zu) wenig kann. Viele zustimmende Leserreaktionen sind ein Indiz dafür. Dennoch kam die teils vernichtende Kritik („Ich habe mich in meinem Leben noch nicht so für meine Stadt geschämt”) vollkommen unvermutet. Keine Spur mehr von den gemeinsamen Kuschelabenden wie dem IHK-Empfang im November, über die wir uns an dieser Stelle schon einmal gewundert hatten.

Statt zur freudigen Verblüffung der Grünen über Fahrradtrassen auf der Viehbachtalstraße zu philosophieren, packte der oberste Wirtschaftsrepräsentant aus, aber wie! Hier nur ein paar Beispiele

  • Wir leben teilweise in einer maroden Stadt;
  • statt den Firmen bei der schwierigen Transformation zu helfen, wirft ihnen eine lahme Bürokratie Knüppel zwischen die Beine;
  • Formalismen und intransparente Behördenvorgänge blockieren eine halbe Milliarde Euro Investitionen durch Unternehmen;
  • Verwaltungsposten werden zu oft nach Parteibuch und nicht nach Qualifikation besetzt;
  • es fehlt der Verwaltung an Pack-an-Mentalität und fehlender Effizienz.
  • Und: Es werden immer neue Projekte wie die Gläserne Werkstatt aufgelegt, die bestehenden wie der Alte Bahnhof verrotten, weil kein Geld für die Unterhaltung bereitgestellt wird. 

Henner Paschs Philippika gipfelt in seinem Kommentar zum Thema Eventarena: „Vielleicht haben wir nicht das Format für solche Projekte.” Die Männerfreundschaft zwischen Pasch und Kurzbach dürfte eine ziemliche Delle bekommen haben. 

Auch wenn vieles zugespitzt ist, so trifft Henner Pasch doch den Kern des Problems. Es wird viel angepackt, aber wenig zu Ende geführt. Teilweise liegt der Fehler im System.

Problem Förderitis: Lieber neu bauen statt einfach Instand halten

Beispiel Neubauprojekte: Für neue Feuerwachen, Schulen und die Gläserne Werkstatt gibt es Fördermittel, teilweise bis zu 90 Prozent, bei denen klamme Städte wie Solingen freudig zugreifen. Doch die Bauunterhaltung bleibt zu 100 Prozent im städtischen Haushalt, der dafür aber keine Position kennt. Während jeder Besitzer einer Eigentumswohnung gesetzlich gehalten ist, einen bestimmten Betrag für Reparaturen und Instandhaltung abzuzweigen, würden solche Rückstellungen in Millionenhöhe bei der Stadt dazu führen, dass der Etat nicht mehr genehmigungsfähig wäre.

Ergo wird lieber nach 35 Jahren das marode Gebäude abgerissen und dafür ein neues gebaut: natürlich mit Fördermitteln. Wohin diese Förderitis führt, kann man am Beispiel Solingens schmerzhaft nachverfolgen: Der Sanierungsstau beträgt Hunderte Millionen Euro. 

Es fehlt ernsthafte Opposition

Warum das Pasch-Interview eingeschlagen ist wie eine Bombe, liegt auch daran, dass es eine ernsthafte politische Opposition, die sich diese Themen zu eigen machen würde, nicht wirklich gibt. Zwar hat die CDU das Thema „Alter Bahnhof” ordentlich kritisiert. Aber ansonsten arbeitet man sich an Kurzbach lieber mit formalem Kram ab, der keinen Bürger außerhalb der kommunalpolitischen Blase interessiert. Beispielsweise, wer beim Thema Museumsbau was wann zu wem zu Recht oder zu Unrecht gesagt hat. Da muss dann schon ein 42-jähriger IHK-Präsident und engagierter Solinger her, um mal ein paar Wahrheiten auszusprechen, über die viel zu wenig diskutiert wird. 

Warum der IHK-Präsident gerade jetzt unvermittelt zu einem solchen Schlag ausholt, hat mit Sicherheit auch mit dem bisherigen Kuschelkurs der IHK gegenüber Kurzbach zu tun, dessen unbestrittene Macher-Qualitäten im Grunde sehr geschätzt werden – gerade im Vergleich zu einem ziemlich freischwebenden Oberbürgermeister in Wuppertal und seinem altväterlichen Kollegen aus Remscheid.

Doch den Firmenchefs steht das Wasser inzwischen bis zum Hals – und der Zorn über eine ineffiziente und behäbige Verwaltung auch. Sie werden ihrem Präsidenten schon deutlich gemacht haben, dass sie von ihm mehr erwarten als die große Harmonie auf Empfängen mit Sekt und Häppchen zu versprühen. 


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