Mein Blick auf die Woche in Solingen

Meinung: Das Bürokratiemonster fühlt sich in Solingen besonders wohl 

stefan.kob@solinger-tageblatt.de
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Was hat Erdbeerkuchen mit der Energiewende zu tun? Eigentlich nichts. Doch für ST-Chefredakteur Stefan M. Kob stehen beide in Solingen als ein trauriges Sinnbild für das Versagen unseres politischen Systems.


Was hat Erdbeerkuchen mit der Energiewende zu tun? Mehr, als man auf den ersten Blick vermutet, zumindest in Solingen. Denn beides sind in unserer Stadt  Musterbeispiele für das Versagen unseres gesamten politischen Systems. Sie sind ein Sinnbild dafür, wie wir ein Monster namens Bürokratie ständig füttern, bis es uns langsam erdrosselt und schließlich verschlingt. 

Kaum ein anderes Thema bewegt die Leser derzeit so wie das ordnungsbehördliche Verbot des Kuchenverkaufs im Botanischen Garten - die Hauptfinanzierungsquelle der Stiftung, die aufopfernd für den Erhalt des städtischen Kleinods kämpft, weil es die klamme Stadt nicht kann.

Doch nun stellen die von Ehrenamtlern gebackenen Torten, Streusel und Gugelhupfe plötzlich eine Gefahr für die Allgemeinheit dar. Wer kann schließlich die Einhaltung aller Hygienerichtlinien und ein aktuelles Gesundheitszeugnis des Hobbybäckers garantieren? Wenn Sie sich nun wundern, warum der potenzielle Keim im Käsekuchen beim Schul- oder Kitafest (bisher!) keine Behörde interessiert, dann liegt das nicht daran, dass keine Fälle von Massenvergiftungen nach Schulfeiern bekannt geworden sind.

Man muss dazu wie ein Bürokratenhirn denken: Weil der Kuchen im Botanischen Garten im Kiosk verkauft und dieser als Betrieb eingestuft wird, gelten für ihn die strengen gewerblichen Hygienestandards - die natürlich in den heimischen Küchen niemals eingehalten werden können. Die Stadt reagiert angesichts des Dramas mehr oder minder mit einem Schulterzucken - hält aber ungerührt die Hand auf, um die jährliche Pacht von der Stiftung zu kassieren. 

Die Forderung fassungsloser Bürger nach einer pragmatischen Lösung, beispielsweise mit einem Warnschild wie beim Zigarettenkauf (“Verzehr kann tödlich sein”), läuft selbstverständlich ins Leere. Denn die Begriffe „Eigenverantwortung“, “Pragmatismus” und “Ermessensspielraum” kommen im Lehrbuch „Bürokratie heute“ nicht vor. 

Keine zwei Kilometer entfernt verstehen die engagierten jungen Besitzer des Walder Stadtsaals ebenfalls die Solinger Welt nicht mehr. Sie wollen eine Photovoltaik-Anlage auf das Dach des denkmalgeschützten Gebäudes setzen.

Nicht nur, um einen Beitrag zur dringend geforderten Energiewende zu leisten, sondern auch, um von den zu hohen Heiz- und Stromkosten herunterzukommen, die der 130 Jahre alte Kasten verschlingt. Doch die städtische Denkmalbehörde senkte den Daumen - keine PV-Anlage auf einem Denkmal. Auch wenn unser Fotograf Christian Beier erst eine Drohne aufsteigen lassen musste, um den potenziellen Standort der Solarpanels überhaupt sichtbar zu machen, und das Land extra zugunsten der Energiewende die Bestimmungen geändert hat.

Dass der Stadtsaal vielleicht völlig verfällt, wenn man engagierte Bürger trotz ihres Überschusses an Lokalpatriotismus vergrault, ist einem Denkmalschützer alten Schlags in Solingen herzlich wurscht. Auch nicht, dass im Zielkonflikt zwischen intakter Museumslandschaft und klimaverwüsteter Welt die Prioritäten durchaus in Frage gestellt werden dürfen. Pragmatismus? Ermessensspielraum? Siehe oben. 

Dabei sind Denkmalschützer und Lebensmittelkontrolleure – ebenso wie Arbeitssicherheitsingenieure oder TÜV-Prüfer – per se keine schlechten Menschen. Kennt man einen persönlich, wird man das bestätigen können. Sie machen lediglich ihren Job, für den sie bezahlt werden. Sie wollen uns vor den alltäglichen Gefahren, die an jeder Ecke lauern, beschützen - und vor schlimmen Bausünden. Für das Große Ganze sind sie nicht zuständig, dafür gibt es die politische Ebene, die eine Abwägung zu treffen hat. Und den entsprechenden Handlungsspielraum schaffen muss, um uns aus dem Würgegriff des wachsenden Bürokratiemonsters zu befreien. Doch das hat sich irdischer Kontrolle längst entzogen und führt ein Eigenleben. Beschützt von einer Justiz, die jede gutgemeinte Abweichung von der Norm mit Haftungsklagen überzieht. Alles in allem keine guten Aussichten für das hochgelobte Bürgerengagement und Ehrenamt. 

Unsere Themen in dieser Woche 

Passt auch noch zum Solinger Bürokratiemonster: Eltern wollen wegen Kitaplatz-Mangel selbst anpacken – und werden behördlich ausgebremst. 

Am südlichen Ende der Innenstadt wird es eng: Werwolf ist teilweise gesperrt. 

Dach der Cobra-Halle ist marode: Wann können Veranstaltungen dort wieder stattfinden? 

Solingen wird offenbar für Immobilienkäufer aus Düsseldorf und Köln immer interessanter – Grundstücksmarktbericht mit spannenden Erkenntnissen. 

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