SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert war vor einigen Tagen auf Einladung des Bundestagsabgeordneten Ingo Schäfer zu Gast im Bergischen Land. Dabei traf er unsere Redaktion zum Interview.
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert im ST-Gespräch über Altschulden, Behörden vor Ort und bezahlbaren Wohnraum.
Das Gespräch führte Björn Boch
Herr Kühnert, SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz hat im Interview mit unserer Zeitung gesagt: „Mit mir als Kanzler wird es eine Lösung der Altschuldenfrage geben.“ Wann kommt sie und wie sieht sie aus?
Kevin Kühnert: Wir brauchen und wollen eine Lösung mit einer Änderung des Grundgesetzes. Im Koalitionsvertrag der Ampel hat die SPD das fest verankert. Für die bestmögliche Umsetzung brauchen wir nun eine Zweidrittel-Mehrheit. Das erfordert ein wenig Verhandlungsgeschick. Die Gespräche laufen. Aber ich glaube, dass auch die Union verstehen muss, dass es sich niemand mehr leisten kann, einen Vorschlag aus parteitaktischen Gründen abzulehnen, so wie es seinerzeit Armin Laschet getan hat. Ich glaube an die Vernunft der Unions-Abgeordneten – oder zumindest daran, dass sie genügend Druck aus den Wahlkreisen bekommen.
Und wenn es keine Einigung gibt? Legen Sie trotzdem einen Entwurf vor und schauen, welche Abgeordneten wie abstimmen?
Kühnert: Es ist in der Demokratie wichtig zu dokumentieren, wer welche Position vertreten hat. So können Wähler bewerten, wer Teil der Lösung war und wer Teil des Problems. Die SPD hat immer wieder konstruktiv an Lösungen gearbeitet. Und wir waren immer bereit, uns massiv finanziell zu beteiligen.
Scheitert es am Ende am Geld?
Kühnert: Es geht natürlich auch um die Frage, bei wem am Ende welche finanziellen Lasten liegen. Das ist keine Kleinigkeit. Klar ist aber, dass die betroffenen Kommunen das Problem nicht selbst lösen können. Egal, wie kompliziert es wird: Leidtragende dürfen nicht länger die Menschen in den Kommunen sein, die meist wegen des Strukturwandels unverschuldet in einen Schuldenstrudel geraten sind und sich mit keiner Sparpolitik der Welt selbst aus dieser Lage befreien können.
Die Altschuldenfrage ist auch entscheidend für die Instandhaltung.
Wenn eine arme Kommune ihr Schwimmbad sanieren will, muss sie einen Förderantrag stellen. Kommt ein Sondervermögen für kommunale Infrastruktur?
Kühnert: Ich bin kein Freund davon, jetzt für alles ein Sondervermögen zu machen. Ich sehe, dass wir großen Investitionsbedarf haben, aber das gehört in den normalen Haushalt. Investitionen in Instandhaltung gehören für Private wie für den Staat zu jeder Infrastruktur dazu. Dafür muss Geld vorhanden sein.
Und genau das fehlt Kommunen wie Solingen.
Kühnert: Auch hier schlägt die Überschuldung leider zu: Wir haben bei vielen Förderprogrammen das Problem, dass es einen Eigenanteil der Kommune geben muss. Kommunen in der Haushaltssicherung können den nicht aufbringen und gehen dann leer aus. Deshalb ist die Altschuldenfrage auch entscheidend für die Instandhaltung. Ein aktiv gestalteter Haushalt, in dem Politik Schwerpunkte setzen kann für oder gegen Projekte, ist meist die Voraussetzung, um Co-Finanzierungen durch Land oder Bund zu bekommen. Wer als Kommune nur noch Pflichtaufgaben finanzieren kann und Geld durchleitet, wird irgendwann eine seelenlose Außenstelle von Landes- und Bundespolitik. Damit muss Schluss sein.
Exakt dieses Gefühl ist hier vor Ort schon da.
Kühnert: Das weiß die SPD – nicht nur, weil es unsere Abgeordneten aus den Kommunen immer wieder sagen. Wir haben kein Erkenntnisproblem, wir wissen, wie die Lage ist und wie trist es ist, den Notstand zu verwalten. Das kann dazu führen, dass kommunale Demokratie verödet.
Wir entschlacken die Bauordnung, sorgen dafür, dass der Ausbau von Dachgeschossen nicht mehr an Stellplatzverordnungen scheitert.
Auch zunehmende Bürokratie sorgt für Ärger. Jede Regierung will es einfacher machen, am Ende wird es aber immer komplizierter. Wer ändert das endlich?
Kühnert: Wir alle kennen diese Beispiele, bei denen man sagt: Das war doch jetzt nicht nötig. Ich will nicht verhehlen, dass ich mich bei verknapptem Personal manchmal frage: War diese oder jene Kontrolle jetzt wirklich die vordringlichste Aufgabe? Da kann die Kommune in gewissem Maße schon steuern, was sie mit wie viel Nachdruck verfolgt. Wir bauen aber auch Bürokratie ab. Wir entschlacken die Bauordnung und sorgen beispielsweise dafür, dass der Ausbau von Dachgeschossen nicht mehr an Stellplatzverordnungen scheitert. Oder dafür, dass Bauherren einen Gebäudetyp an unterschiedlichen Orten bauen können, ohne jedes Mal ein komplett neues Genehmigungsverfahren durchlaufen zu müssen.
Womit wir bei Wohnraum wären, einem Ihrer zentralen Themen. Die Anträge für Neubauten sind aktuell im Bergischen verschwindend gering. Was kann Bundespolitik da tun?
Kühnert: Noch in diesem Quartal wird es eine neu von uns geschaffene Förderung geben. Wir ermöglichen den Traum vom Eigenheim erstmals denjenigen, die keinen Kapitalstock, aber regelmäßiges Einkommen haben. Wir verschaffen ihnen ein Darlehen, das Eigenkapital ersetzt. Was die Bauanträge angeht: Wir haben kein Problem mit Genehmigungen. Es gibt fast eine Million bewilligte Wohnungen, die nicht realisiert werden – manchmal aus Spekulationsgründen. Wir wollen dazu übergehen, diese Baugenehmigungen häufiger durch die kommunale Wohnungswirtschaft oder Genossenschaften realisieren zu lassen. Wir können es uns nicht leisten, dass Bauland brachliegt.
Zur Person
Kevin Kühnert, geboren 1989 in West-Berlin, sitzt seit 2021 als direkt gewählter Vertreter des Berliner Wahlkreises Tempelhof-Schöneberg im Bundestag. Kurz darauf wurde er Generalsekretär der SPD. Zuvor war Kühnert von 2017 bis 2021 Bundesvorsitzender der Jusos, der Nachwuchsorganisation der Partei. Er profilierte sich unter anderem mit der #NoGroKo-Kampagne, die sich gegen eine Fortführung der Großen Koalition aussprach.