Im Jobcenter nachgehakt

Das ändert sich durch die Bürgergeld-Reform

Mike Häusgen und Este Brugger sehen viele Bausteine des Bürgergelds als Chance.
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Mike Häusgen und Este Brugger sehen viele Bausteine des Bürgergelds als Chance.

Das neue Gesetz hat Auswirkungen auf die Arbeit des Jobcenters. Weiterbildung und Qualifizierung sind im Fokus.

Von Manuel Böhnke

Solingen. Anspruchsvolle Wochen liegen hinter dem Team des Solinger Jobcenters. Binnen kürzester Zeit musste es das vom Bund beschlossene Bürgergeld umsetzen. Dabei ging es zum 1. Januar vorrangig um höhere Regelsätze für Leistungsbezieher. „Alle haben ihre Beträge pünktlich erhalten“, betont Behördenleiter Mike Häusgen. Zurücklehnen können sich die Verantwortlichen an der Kamper Straße damit allerdings nicht. Mit dem 1. Juli 2023 treten die meisten Änderungen des Gesetzes in Kraft, die die Integration in den Arbeitsmarkt betreffen. Für die Jobcenter bedeutet das einen Paradigmenwechsel.

Denn mit der Reform werde der Vermittlungsvorrang abgeschafft, erklärt Este Brugger, stellvertretende Stadtdienstleiterin. Priorität dieses Gedankens war, Leistungsbezieher einen Job zu vermitteln – unabhängig von deren Qualifikation sowie der Perspektive der Stelle. Ab Sommer ist das Vorgehen ein anderes: Das Jobcenter und dessen Kunden erarbeiten gemeinsam einen Kooperationsplan. Dieser skizziert, wie es dem Betroffenen gelingen kann, nachhaltig zurück auf den Arbeitsmarkt zu finden.

„Für unsere Kunden ist das Vorgehen besser, und die Gesellschaft profitiert auch“, sagt Este Brugger. Denn: Das Bürgergeld verstärkt den Fokus auf die Themen Weiterbildung und Qualifizierung. Das erhöhe die Chance auf eine dauerhafte Anstellung – und könne dazu einen Beitrag leisten, den Fachkräftemangel einzudämmen. Um diese Effekte zu fördern, steht ab Juli ein neues Anreizsystem bereit, unter anderem beinhaltet es ein monatliches Weiterbildungsgeld.

„Viele Aspekte des Bürgergelds haben wir uns gewünscht“, bestätigt Mike Häusgen. Azubis, die mit ihren Eltern in einer Bedarfsgemeinschaft leben, haben zukünftig höhere Freibeträge für ihre Vergütung. Schüler mit Minijobs dürfen ihre Einkünfte ohne Abzüge behalten. „Wenn mehr in der eigenen Tasche bleibt, steigt die Motivation.“

Durch die Reform verschieben sich die Schwerpunkte des Jobcenters. Aus diesem Grund müssen Mittel umgeschichtet werden. Denn: Ein höheres Budget hat der Bund der Behörde nicht zugebilligt – im Gegenteil. 2023 stehen voraussichtlich 26,66 Millionen Euro zur Verfügung. Das sind etwa 180 000 Euro weniger als im Vorjahr. Mehr als die Hälfte der Summe entfällt auf Personal- und Sachkosten, der andere Teil auf die Eingliederung in den Arbeitsmarkt.

„Damit müssen wir haushalten“, erklärt Mike Häusgen. Gekürzt wurde das Budget für Arbeitsgelegenheiten, besser bekannt als Ein-Euro-Jobs. Auch die Bedeutung sozialer Teilhabe nehme ab, dies möchten die Verantwortlichen über Drittmittelprojekte ausgleichen. Deutlich gestärkt werden Weiterbildung und Qualifizierung. „Jetzt müssen wir abwarten, wie viele Kunden dazu in der Lage sind, diesen langen Weg zu gehen“, sagt Este Brugger. Durchaus gebe es Fälle, die gute Chancen haben, die normalerweise dreijährige betriebliche Umschulung abzuschließen. Sie sind es, die die besten Voraussetzungen für eine Anstellung haben.

„Viele sind aber so weit weg vom Arbeitsmarkt, dass dieser Weg noch nichts für sie ist“, sagt Brugger. Zu den Alternativen gehören Trägerumschulungen. Außerdem bietet das Jobcenter in Kooperation mit Partnern Maßnahmen an, die die Herausforderungen unterschiedlicher Couleur berücksichtigen. Dazu zählen Sprachbarrieren von Migranten und die Sorgen Alleinerziehender sowie junger Menschen. Bei diesen Gruppen sieht Mike Häusgen Potenziale. Gleiches gelte für Leistungsbezieher mit Minijobs: „Die wollen wir in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu bringen.“

Rund 70 Prozent der Kunden des Solinger Jobcenters gelten als langzeitleistungsbeziehend, haben von den zurückliegenden 24 Monaten mindestens 21 Grundsicherung bezogen. Sie bilden einen der Schwerpunkte des Integrationsprogramms der Behörde für das laufende Jahr. „Natürlich gibt es immer Leute, die sich dem System verweigern“, sagt Häusgen. Für sie beinhaltet das Bürgergeld Leistungsminderung als Sanktionsmöglichkeit. Doch bei den meisten sei nicht Unlust das Problem, sondern etwa Lethargie wegen andauernder Arbeitslosigkeit oder gesundheitliche Probleme. Letztere nimmt das Jobcenter wie bereits 2022 auch 2023 verstärkt mit neuen Angeboten in den Blick.

Mike Häusgen gibt sich durchaus selbstkritisch: „Wir müssen bei der Förderung beruflicher Weiterbildung besser werden.“ Zudem hat sich das Jobcenter auf die Fahne geschrieben, seine Beratungskonzepte weiterzuentwickeln. Gefragt seien Eins-zu-eins-Betreuung, die sich an der individuellen Situation der Betroffenen orientiert – und eine motivierende Gesprächsführung.

Regelsätze

Das Jobcenter betreut derzeit rund 15 000 Menschen in Solingen, inklusive Kindern von Leistungsbeziehern. Die Regelsätze sind wegen des Bürgergeld-Gesetzes zum 1. Januar deutlich gestiegen. Alleinstehende erhalten nicht mehr 449, sondern 502 Euro monatlich. Bei Paaren steigen die Beträge pro Kopf um 50 auf 451 Euro. Für Kinder unter 6 Jahren gibt es 318, zwischen 6 und 13 Jahren 348 und für Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren 420 Euro.

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