Interview

So funktioniert das Telenotarztsystem

Jan Hoffmann (l.), Ärztlicher Leiter des Solinger Rettungsdienstes, und Rettungsdienst-Leiter Michael Pölcher zeigen einen der neuen Rettungswagen, die schon die nötige Verkabelung für die Telenotarzttechnik haben.
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Jan Hoffmann (l.), Ärztlicher Leiter des Solinger Rettungsdienstes, und Rettungsdienst-Leiter Michael Pölcher zeigen einen der neuen Rettungswagen, die schon die nötige Verkabelung für die Telenotarzttechnik haben.

Michael Pölcher und Jan Hoffmann von der Feuerwehr Solingen hoffen auf einen Start in diesem Jahr

Von Anja Kriskofski

Was ist ein Telenotarzt?
Michael Pölcher: Ein Telenotarzt ist ein Notarzt, der nicht vor Ort ist, sondern den man per Telefon erreichen kann. Er wird in unserem Fall in der Leitstelle der Feuerwehr Leverkusen oder Mettmann sitzen.
Wie funktioniert das technisch?
Pölcher: Eigentlich ist das simpel. Nach einem Anruf der Besatzung im Rettungswagen (RTW) kann der Telenotarzt in der Leitstelle die Daten des EKG-Geräts empfangen. Das funktioniert über eine sichere Verbindung, da mehrere Handynetze gleichzeitig angesprochen werden. Über eine Kamera kann er sich auch Bilder des Patienten in Echtzeit anschauen. Damit ist der Telenotarzt in der Lage, durch die Kommunikation und Auswertung der medizinischen Daten Anweisungen aus der Ferne zu geben, die von den Kollegen im Fahrzeug umgesetzt werden. Möglich ist dies, weil die Qualifikation der Mitarbeiter im Rettungsdienst durch eine neue Ausbildung angehoben wurde. Auch die Rechtslage wurde angepasst.
Jan Hoffmann: Entscheidend ist, dass die Diagnosestellung und auch eine Festlegung der Therapie durch den Arzt passieren, die Durchführung der Maßnahmen erfolgt durch die Notfallsanitäter vor Ort. Die können Zugänge legen, Infusionen geben, Medikamente spritzen und alle möglichen anderen Techniken auch. Sie tun das nicht ohne Notarzt, wie sie das im Notfall machen würden, sondern unter direkter Aufsicht. Der Telenotarzt kann bei Problemen sofort eingreifen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Hoffmann: Ein ganz klassisches Beispiel ist die notwendige Verabreichung von Medikamenten, bei Patienten, die Schmerzen haben, zum Beispiel. Die werden von der RTW-Besatzung mit dem Monitoring versorgt. Dann wird der Telenotarzt dazugeschaltet. Der kann sich vergewissern, wie die Darmgeräusche sind, wie das Gefühl beim Abtasten des Bauches ist, wie die Schmerzcharakteristik. Dann kann der Telenotarzt entscheiden, welches Schmerzmittel der Patient bekommt, welche Maßnahmen zu treffen sind und wohin der Patient transportiert wird.
Pölcher: Ein weiteres Beispiel: Bei einer Sportverletzung hat die RTW-Besatzung vor Ort festgestellt, dass das Bein vermutlich gebrochen ist. Zukünftig nehmen die Kollegen Kontakt zur Notarztzentrale auf, schicken die Diagnostik weiter. Der Telenotarzt gibt aus der Ferne das Medikament für die Schmerztherapie frei, damit der Patient schonend ins Krankenhaus transportiert werden kann.
Was ändert sich für den Patienten mit dem Telenotarztsystem?
Pölcher: Wenn der Telenotarzt im Einsatz ist, erfolgt die Aufklärung des Patienten durch den Notfallsanitäter. Die Kamera hängt im Rettungswagen unter der Decke, sie sind mit dem Telenotarzt über den Knopf im Ohr verbunden. Das wird im ersten Moment ungewöhnlich sein. Sonst ändert sich für den Patienten nichts.
Hoffmann: Der Notarzt ist nicht als Mensch vor Ort, sondern virtuell.
Pölcher: Ein Vorteil ist auch dieser: Wenn wir vor Ort feststellen, dass man den Notarzt noch bräuchte, ist der nur einen Anruf entfernt.
Muss ich befürchten, dass im Notfall kein Notarzt zu mir kommt?
Hoffmann: Das kommt auf die Einsatzsituation an. Es gibt Einsätze, die mit dem Telenotarzt und dem Sanitäter vor Ort hervorragend abzuarbeiten sind. Dann gibt es komplexe Situationen, wo es viele Vorerkrankungen gibt. Auch bei schweren Verkehrsunfällen, Reanimationen oder Kindernotfällen fährt automatisch der Notarzt mit. Es ist immer so, dass der Telenotarzt oder der Notfallsanitäter sagen kann, wir brauchen einen Notarzt vor Ort. Hier in der Stadt ist der in wenigen Minuten da.
Pölcher: Wir haben nur zwei Notärzte in der Stadt zur Verfügung. Bei weichen Bagatelleinsätzen fahren wir oft hin und stellen fest, der Notarzt wird nicht gebraucht. Der steht künftig häufiger für Notfälle zur Verfügung, bei denen wir ihn wirklich benötigen.
Hoffmann: Auch Verlegungen von einer Klinik in die andere soll der Telenotarzt künftig begleiten.
Wie sind die Erfahrungen mit dem Telenotarztsystem in Aachen?
Pölcher: Sehr positiv. Angeschlossen sind mehrere Landkreise und der Stadtkreis.
Hoffmann: Ich war selbst als Notarzt im Kreis Euskirchen tätig. Mit dem Telenotarzt sind viele Einsätze weggefallen, bei denen wir lange unterwegs waren. Aber auch hier gibt es Fahrtstrecken, die Zeit kosten. Diese Zeit kann der Telenotarzt überbrücken. Er kann schon anfangen mit Diagnostik und Therapie und dann an den Notarzt vor Ort übergeben.
Pölcher: Bei einem schweren Verkehrsunfall mit vielen Verletzten zum Beispiel ist der Telenotarzt schnell in der Lage, mehrere Patienten zu sichten.
Was ändert sich für das jetzige Notarztsystem?
Hoffmann: Der physikalische Notarzt steht öfter für Notfälle zur Verfügung, bei denen er wirklich notwendig ist, ohne dass wir Hilfe aus anderen Kreisen brauchen. Wir sind schon gut versorgt mit zwei Notärzten für unser Stadtgebiet. Aber wir sind oft mit beiden im Einsatz. Wenn der dritte oder vierte Notfall kommt, dann kommt der Notarzt aus Wuppertal, Leverkusen oder sogar aus der Luft, wenn es ganz schlimm ist. Das wird es deutlich weniger geben.
Ist die Technik schon so weit?
Pölcher: Wir haben gerade zehn neue Rettungswagen bekommen, die bereits vorbereitet sind. Stromanschluss und Kabel für die Kamera an der Decke sind schon vorgerüstet. Für fünf weitere RTW, die zwei Jahre alt sind, muss das nachgekauft werden.
Wie geht es weiter?
Pölcher: Es ist vorbereitet, dass die Ausschreibung in Kürze rausgehen kann. Es wird ein Partner gesucht, der die Telenotarztzentrale in der Einstiegsphase übernimmt, und es werden Ärzte dafür gesucht. Wenn eine Entscheidung für die Technik im Sommer fällt, sind wir wahrscheinlich bis Ende des Jahres umgerüstet. Frühjahr nächsten Jahres streben wir an.
Hoffmann: Zudem müssen wir die Mitarbeiter unseres Rettungsdienstes mit der Technik vertraut machen.
Wann startet das System?
Hoffmann: Wir hoffen, dass das Ende des Jahres oder Anfang 2024 sein wird. Das hängt davon ab, wie schnell die Fahrzeuge ausgerüstet und Telekommunikationsmodule verfügbar sind. Es gibt nur wenige Anbieter, die diese Technik liefern. Im ganzen Telenotarztsystem Bergisches Land sind rund 100 Rettungswagen zu versorgen.

Telenotarzt Bergisches Land

Gebiet: Neben Solingen sind die Städte Remscheid, Wuppertal und Leverkusen sowie die Landkreise Mettmann und Ennepe-Ruhr dabei. Versorgt werden rund 1,6 Millionen Einwohner.

Verantwortlich: Bei der Solinger Feuerwehr kümmern sich Michael Pölcher (49), seit 2022 Abteilungsleiter Rettungsdienst, und der Ärztliche Leiter des Rettungsdienstes, Jan Hoffmann (46), um die Umsetzung. Pölcher ist seit 28 Jahren bei der Solinger Feuerwehr.

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