Interview

Herr Bortmann, wie stark belastet der Lehrermangel die Solinger Schulen?

Gewerkschafter Dirk Bortmann sieht politisches Versagen als eine wesentliche Ursache für den Lehrermangel.
+
Gewerkschafter Dirk Bortmann sieht politisches Versagen als eine wesentliche Ursache für den Lehrermangel.

Im Interview ordnet Dirk Bortmann von der GEW den Lehrermangel an Solinger Schulen ein - und spricht über und mögliche Lösungsansätze.

Herr Bortmann, der Lehrkräftemangel geht auch an Solingen nicht vorbei – bei den Sekundarschulen liegt die Personalausstattungsquote gerade mal bei knapp 92 Prozent. Wie stark macht sich das Problem an den Solinger Schulen bemerkbar?

Dirk Bortmann: Auch die Grund- und Förderschulen sind sehr stark belastet. Das Problem geht weit über etwas Unterrichtsausfall hinaus. Das Land versucht das Problem des Lehrkräftemangels unter anderem dadurch zu lösen, indem vermehrt Quer- und Seiteneinsteiger eingestellt werden, die allerdings betreut werden müssen.

Niemand ist in der Lage, ohne eine gute Ausbildung qualitativ hochwertig zu unterrichten. Ich kenne Grundschulen, die mit über 30 Prozent fachfremdem, dafür nicht ausgebildetem Personal arbeiten. Deshalb muss das Land Quer- und Seiteneinsteigern viel mehr berufsbegleitende Qualifizierung anbieten, aber auch berufliche Aufstiegsmöglichkeiten für diese Menschen.

Wo sehen Sie die Ursachen für die Entwicklung?

Bortmann: Die Vereinbarungen der Kultusministerkonferenz zur Deckung des Lehrkräftebedarfs sind nicht flächendeckend umgesetzt worden. Viele Bundesländer haben ihr eigenes Ding gemacht. Es wurde nicht wirklich darauf geachtet, was getan werden muss, um die Lehrerversorgung in Deutschland nachhaltig zu sichern. Einige Bundesländer haben zu wenig ausgebildet und gehofft, junge Lehrkräfte aus anderen Bundesländern zu bekommen.

Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung von 2019 schlägt der Kultusministerkonferenz vor, für ihre Prognosen der Schüler- und Lehrkräftezahlen aktuelle Daten zu verwenden. Das ist ein Trauerspiel.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass Universitäten nur ungern Lehramtsstudienplätze anbieten, weil die nur Kosten verursachen und kein Geld einbringen. Drittmittel aus dem privaten Sektor für Lehrämter gibt es schlichtweg nicht. Hier fehlen auf politischer Ebene bundesweite verbindliche Absprachen. Insofern ist das Problem auch hausgemacht.
Alle Interviews des ST im Überblick.

Das sind strukturelle Probleme. Ist denn der Beruf des Lehrers auch unattraktiver geworden? In NRW hat sich die Zahl der Berufsaussteiger verdreifacht.

Bortmann: Die NRW-Schulministerin Dorothee Feller hat beispielsweise kürzlich angekündigt, das Recht auf Teilzeit für Lehrer abschaffen zu wollen. Das halte ich für einen Fehler. Denn ich kenne viele, die einen hohen Anspruch an ihre Arbeit haben und erkennen, dass sie die volle Stundenzahl einfach nicht schaffen – auch in gesundheitlicher Hinsicht. Sie müssen jetzt mit jedem Antrag bangen, ob er genehmigt wird oder nicht. Insgesamt wird die Belastung auch deshalb höher, weil viel Vertretungsunterricht geleistet werden muss.

Wir haben darüber hinaus immer mehr pädagogisch herausfordernde Kinder, um die wir uns auch abseits des Unterrichts kümmern. Da laufen im Hintergrund oftmals Gespräche mit den Erziehungsberechtigten, Ergotherapeuten, dem schulpsychologischen Dienst, Beratungsstellen, dem Jugendamt. An den Förderschulen führen neben den großen Klassen und den weiter zunehmenden Schülerzahlen die steigende Anzahl von Gutachten und Anträgen zu einer hohen Belastung.


Sie haben die Quereinsteiger schon angesprochen. Welche Folgen hat deren verstärkter Einsatz?

Bortmann: Grundsätzlich werden die Quereinsteiger nicht allein gelassen und die Kolleginnen und Kollegen sind sehr bemüht, sie einzubinden. Da läuft viel innerhalb der Kollegien. Diese Verpflichtungen kommen allerdings on top zum normalen Schulbetrieb.

Grundsätzlich sehe ich die Möglichkeit des Quereinstiegs durchaus positiv. Denn die angehenden Lehrer kommen meistens mit einem Fach an die Schule, in dem sie schon eine Menge können. Allerdings müssen sie lernen, ihr Wissen methodisch und didaktisch zu vermitteln.

Wie kann man das Lehramt für junge Menschen wieder attraktiv machen?

Bortmann: Als Grundlage dafür sehe ich ein Studium, in dem Berufsanwärter gut, das heißt mit mehr qualifiziertem Personal begleitet werden. Dann hätten wir eine geringere Abbrecherquote. In NRW betreut eine Professorin 26 Studierende, während es im Bundesdurchschnitt 17 sind. Referendare müssen besser bezahlt werden. Außerdem sollte im Referendariat die Möglichkeit auf Teilzeit ausgebaut werden.

Ein interessanter Ansatz wäre auch, Lehrkräfte, die im Ruhestand sind, als Mentoren für junge Kolleginnen und Kollegen, aber auch für Quer- und Seiteneinsteiger zu gewinnen. Ich glaube, dass es da durchaus Menschen gäbe, die Interesse daran hätten, weil sie Freude an ihrem Beruf hatten. Das wäre für die noch aktiven Lehrkräfte eine Entlastung und würde alle voranbringen.

Und darüber hinaus?

Bortmann:Darüber hinaus brauchen wir mehr Unterstützung in den Bereichen IT und Verwaltung. Es gibt Lehrkräfte, die einen Teil ihrer Unterrichtsstunden für die Verwaltung von iPads und Computern und die Betreuung von Kollegen in Technikfragen verwenden. Wenn das Menschen machen würden, die in diesen Bereichen ausgebildet sind, würde die Technik nicht nur besser laufen, die Lehrkräfte hätten dann auch mehr Zeit zum Unterrichten.

Wie gut kann angesichts des Lehrkräftemangels Inklusion umgesetzt werden?

Bortmann: Das ist in der Tat eine zusätzliche Herausforderung, die momentan besonders schwer zu stemmen ist. Im Bereich der Sonderpädagogik gibt es ebenfalls einen großen Personalmangel. Kolleginnen und Kollegen aus den Förderschulen wurden zur Unterstützung an die Schulen des gemeinsamen Lernens abgeordnet. Oft können sie dort keine kontinuierliche Arbeit leisten, sondern sind systembedingt mal ein Jahr hier und zwei Jahre dort. Das ist nicht im Sinne der Kinder. Gerade Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf, besonders autistische Kinder oder solche mit Aspergersyndrom, brauchen über viele Jahre das gleiche Gesicht. Feste Strukturen sind für sie das A und O.


Hinzu kommt, dass aktuell viele Kinder aus der Ukraine oder anderen Teilen der Welt in Solingen unterrichtet werden. Wie läuft es mit der Integration in den Klassenzimmern?

Bortmann: Zunächst mal haben diese Kinder den gleichen Anspruch auf individuelle Förderung wie alle anderen. Sie brauchen noch mehr Begleitung, weil das sprachliche Defizit sehr groß ist. Wenn ich zum Beispiel für Maria aus der Ukraine mehr Zeit aufwenden muss, habe ich in dieser Stunde weniger Zeit für die anderen Kinder. Viele Schulen klagen da über Schwierigkeiten. Die Kolleginnen und Kollegen gehen an ihre Grenzen, um allen gerecht zu werden.


Mit welchen Worten würden Sie einen jungen Menschen, der sich für das Lehramt interessiert für den Beruf begeistern?

Bortmann: In der Schule ist jeder Tag anders. Als Lehrkraft hat man eine sehr persönliche Beziehung zu den Kindern und es gibt ein enges Vertrauensverhältnis. Wissen zu vermitteln und Persönlichkeit zu bilden ist eine herausfordernde, aber auch sehr befriedigende Arbeit. Es ist wahnsinnig schön und macht viel Freude, ein Kind dabei zu erleben, dem bei einer Aufgabe gerade ein Licht aufgegangen ist. Das ist nicht nur für das Kind ein tolles Gefühl, sondern auch für die Lehrkraft.

Zur Person: Dirk Bortmann

Dirk Bortmann (59) ist Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Solingen und seit 1995 gewerkschaftlich aktiv. Der Solinger unterrichtet als Grundschullehrer an der Grundschule Uhlandstraße. Vor seinem Lehramtsstudium absolvierte er eine Ausbildung als Bankkaufmann bei der Stadt-Sparkasse Solingen.

Unsere News per Mail

Nach der Registrierung erhalten Sie eine E-Mail mit einem Bestätigungslink. Erst mit Anklicken dieses Links ist die Anmeldung abgeschlossen. Ihre Einwilligung zum Erhalt des Newsletters können Sie jederzeit über einen Link am Ende jeder E-Mail widerrufen.

Die mit Stern (*) markierten Felder sind Pflichtfelder.

Meistgelesen

Wie Solingen die Klingenstadt wurde
Wie Solingen die Klingenstadt wurde
Wie Solingen die Klingenstadt wurde
Brandanschlag: Verurteile Täter beteuern nach 30 Jahren ihre Unschuld
Brandanschlag: Verurteile Täter beteuern nach 30 Jahren ihre Unschuld
Brandanschlag: Verurteile Täter beteuern nach 30 Jahren ihre Unschuld
Hitze-Frei Beachclub mit DJ Maru
Hitze-Frei Beachclub mit DJ Maru
Hitze-Frei Beachclub mit DJ Maru
Kampf für neue Kita in Ohligs hat sich gelohnt
Kampf für neue Kita in Ohligs hat sich gelohnt
Kampf für neue Kita in Ohligs hat sich gelohnt

Kommentare