Arbeitgeber-Chef Horst Gabriel über grüne Energie, Fachkräfte, Genehmigungen – und was der Grottenolm damit zu tun hat.
Von Björn Boch
Horst Gabriel spricht für die Arbeitgeber in Solingen. Mit Björn Boch ging es um Herausforderungen, Fehler der Vergangenheit und mehr. Er sagt: Vom Prinzip her müsste es doch möglich sein, eine Autobahnbrücke wie in Lüdenscheid in zwei Jahren an gleicher Stelle neu zu errichten.
Herr Gabriel, Sie sehen „deutliche Warnzeichen für die Konkurrenzfähigkeit des Industriestandorts“. Wieso geht es der Wirtschaft im Bergischen so schlecht?
Horst Gabriel: Noch geht es uns nicht schlecht. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir wegen des starken Mittelstands sehr gute Perspektiven haben. Aber wir haben zwei große Probleme: die Energiepreise und den Fachkräftemangel. Diese Faktoren sind so kritisch, das ist an manchen Stellen bereits lebensbedrohlich. Die Gaspreise hätten den einen oder anderen den Kopf kosten können, wenn sie ohne Preisbremse weiter in die Höhe geschossen wären. Und ich rede von Firmen, die wirklich gute Ergebnisse erzielt haben, aber allein durch diese Kosten in rote Zahlen gerutscht sind.
Ihr Unternehmen auch?
Gabriel: Uns bei Emde betrifft das zum Glück nicht so. Der Anteil der Energie an den Kosten ist relativ gering.
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Was kann Politik tun für energieintensive Firmen?
Gabriel: Ich bin kein Mensch, der nach dem Staat schreit. Aber: Der Staat muss funktionierende Infrastruktur bereitstellen. Dafür muss er derzeit vor allem Genehmigungsverfahren beschleunigen. Viele tönen ja, dass die LNG-Terminals für Flüssiggas der neue Maßstab an Geschwindigkeit sind. Das ist in der Tat sensationell gelaufen. Man hat die Verfahren allerdings mit Verweis auf die Kriegssituation extrem beschleunigt. Das kann ja nicht die neue Normalität sein. Wir können aber bei vielen Details beschleunigen.
Zum Beispiel?
Gabriel: Ein Verfahren, das einmal durch ist, muss auch abgehakt werden. Es ist ein beliebtes Mittel, dann weitere Verfahren zum selben Projekt mit neuen Einsprüchen zu starten. Man muss darüber nachdenken, dass ein Verfahren nicht durch einzelne, noch so kleine Sachverhalte blockiert wird. Immerhin sind wir so auf dem Weg, dass beim Tierschutz nicht mehr ein einzelnes Tier, sondern die Population vor Ort betrachtet wird. Ein Rotmilan, von denen es ja sowieso genug gibt, oder ein einzelner Grottenolm beendet das Verfahren noch nicht.
Flüssiggasterminals gibt es hier nicht. Wo sehen Sie Hürden bei Genehmigungsverfahren im Bergischen?
Gabriel: Nehmen wir das Beispiel Windräder. Wir wollen und brauchen viele davon. Was meinen Sie, was ein Windrad an Zeit in Anspruch nimmt? Es braucht sieben Jahre. Sieben! Das können wir uns im Moment nicht leisten. Und die Aktenordner, die für einen Antrag benötigt werden, kann man schon nicht mehr zählen. Ich bin bei der Landesregierung überzeugt – und da rede ich nicht nur für meine Partei, die CDU –, dass sie wild entschlossen ist, das zu ändern. Auch der Bund ist gefragt. Vom Grundsatz her sollte es doch möglich sein, eine Autobahnbrücke wie in Lüdenscheid am selben Ort in zwei Jahren wieder hinzustellen. Die Planungsprozesse müssen beschleunigt werden. Das ist entscheidend.
Planungsprozesse wurden teils stark verkürzt, heißt es immer wieder.
Gabriel: Ja, aber oft mit dem Ergebnis, dass da am Ende eine Rechtsunsicherheit herausgekommen ist. Da gibt es sehr viele Punkte, die dringend in Angriff genommen werden müssen.
Für all das braucht es Fachkräfte – an denen es überall mangelt. Wie ändern wir das?
Gabriel: Ausbilden, ausbilden, ausbilden. Die Solinger Arbeitgeber haben das jahrelang verpasst. Unsere Ausbildungsquoten waren schlecht. Jetzt merken wir langsam: Das geht so nicht. Wettbewerb untereinander um Personal gab es immer. Aber das hat schon ziemliche Ausmaße angenommen. Ich habe selbst gerade eine Mitarbeiterin verloren. Wir bilden nun auch mehr aus.
Gute Auszubildende finden Sie also noch?
Gabriel: Ja. Viele erzählen, die Schüler von heute seien schlecht. Das sehe ich nicht so. Wir bei Emde strengen uns an und sind gut mit den Schulen vernetzt. Wir setzen auf Praktika und haben Menschen mit Migrationshintergrund einen Deutschkurs inklusive Fachdeutsch vermittelt. Das spricht sich herum. Jahrelang gab es einen Markt, auf dem die Nachfrage höher war als das Angebot. Das ist nicht mehr so. Weil das Matching nicht mehr stimmt. Die jungen Menschen wollen alle lieber in der Verwaltung arbeiten als hier bei uns.
Nur Ausbildung wird nicht reichen, Zuwanderung muss erleichtert werden. Sonst werden wir über kurz oder lang am Standort nicht mehr lebensfähig sein.
Also mehr und bessere Werbung für Industrie und Handwerk?
Gabriel: Im Werkzeugbau geht es ums Zeichnen, Planen, Konstruieren, Programmieren. Viel ist digital und hoch technisiert, wenn überhaupt, werden die Finger ganz am Schluss mal dreckig. Und es ist nicht nur der Job für kräftige Männer. Frauen, die wir ausgebildet haben, hatten keine Nachteile. Und waren eher noch engagierter. Außerdem müssen wir etwas gegen den Lehrermangel an allen Schulformen tun – von der Grundschule bis zum Berufskolleg.
Die Warnung vor Fachkräftemangel ist Jahrzehnte alt. Wurde das Thema überstrapaziert – und nun, da der Mangel da ist, glaubt es niemand mehr?
Gabriel: Wir haben zu früh gejammert, das ist richtig. In jüngster Zeit haben Corona und die Lieferkettenprobleme sicher einiges verdeckt. Jetzt, wo wir gerade wieder nach vorne laufen wollen, wird der Mangel sichtbar. Jährlich werden 400.000 Arbeitnehmer in Deutschland fehlen. Nur Ausbildung wird nicht reichen, Zuwanderung muss erleichtert werden. Sonst werden wir über kurz oder lang am Standort nicht mehr lebensfähig sein. Das Energiethema und die Zuwanderung muss die Politik lösen, beim Thema Fachkräfte sind wir dran.
Was können Unternehmen sonst noch tun? Beim Energiesparen scheint noch Luft nach oben.
Gabriel: Wir haben gezeigt, dass es geht. Die Industrie hat tatsächlich 20 Prozent Gas gespart. Wichtig ist heute mehr denn je: Ökonomie und Ökologie widersprechen sich nicht, sondern ergänzen sich. Regenerative Energien sind natürlich wirtschaftlich. Wir haben alle zu wenig gemacht, weil die Preise so niedrig waren. Das ist jetzt vorbei. Nur: Wenn das mit den Windrädern weiter so lange dauert, bleibt bloß Photovoltaik.
Wir haben beim Thema Solar unsere Industrie kaputtgemacht.
Die weniger effizient ist – und wir sind abhängig von China.
Gabriel: Richtig. Es ist aber die einzige Chance. Alleine, weil wir so viel Strom brauchen für grünen Wasserstoff. Und lassen Sie mal noch alle ein Elektroauto fahren. Wir haben beim Thema Solar unsere Industrie kaputtgemacht. Da müssen wir uns an die eigene Nase packen, Politik, aber auch Unternehmerinnen und Unternehmer selbst. Um 3 Euro zu sparen, ist man nach China gegangen. Viele kommen jetzt zurück. Das merken wir. Wir müssen autarker werden an vielen Stellen. Bei Medizin zum Beispiel ist die Abhängigkeit erschreckend.
Es gibt also genügend Probleme. Wo liegen die Chancen?
Gabriel: Unser Gasnetz ist gut verzweigt und eignet sich für den Transport von Wasserstoff. Wenn der grün wird, also mit regenerativen Energien hergestellt, ist das genial. Das ist die Zukunft. Elektroautos und Co. sind nicht die finale Lösung, wir müssen technologie-offen sein. Ansonsten helfen kleine Anstrengungen. Mal das E-Auto oder das E-Bike nehmen, Metalle und Öle recyceln. Jeder Mensch und jede Firma hat da Möglichkeiten. Es ist genug geredet worden, gerade über Klimaschutz. Es muss jetzt etwas getan werden. Ich merke, dass in Landes- und Bundesregierung viele dieser Meinung sind. In der Verwaltung, in Behörden und Ministerien gibt es aber noch viel zu tun, um die Transformation zu schaffen.
Zur Person: Horst Gabriel - Emde Solingen GmbH
Horst Gabriel ist einer von vier Gesellschaftern der Emde Solingen GmbH. Den Geschäftsführerposten übergibt er derzeit. Bis 2025 ist der 65-Jährige noch Vorsitzender des Arbeitgeberverbandes Solingen – dann wird er auch dieses Amt abgeben. Gabriel ist verheiratet und hat zwei Kinder.