Wer gerade kaufen sollte – und wer nicht
Immobilienmarkt: „Der große Einbruch ist ausgeblieben“
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Achim Filenius über Preise und die Frage, wer gerade kaufen sollte – und wer nicht.
Von Björn Boch
Herr Filenius, ist es ein guter Zeitpunkt, ein Haus oder eine Wohnung zu kaufen?
Achim Filenius: Es ist ein sehr schwieriger Zeitpunkt. Vieles hängt von den persönlichen Umständen ab. Wir hatten einen dynamischen Immobilienmarkt: Die Zinsen waren sehr niedrig. Und weil viele eine Immobilie gekauft haben, sind die Preise in allen Bereichen höher geworden. Dann kam das Jahr 2022 – und die Bauzinsen sind in einem Maß und in einem Tempo gestiegen, wie ich es noch nicht erlebt habe. Wenn ich Eigenkapital habe, kann ich im Moment sicher noch kaufen. Für eine junge Familie, die eine 100-Prozent-Finanzierung braucht, ist es aktuell eher der falsche Zeitpunkt. Die Zinsen sind zwar stark gestiegen, die Preise aber noch nicht vergleichbar stark gesunken.
Rechnen Sie mit sinkenden Preisen in nächster Zeit?
Filenius: Das ist eine schwierige Frage. Wir haben für 2022 eine leichte Tendenz feststellen können, dass sich da etwas ändert, etwa bei Ein- und Zweifamilienhäusern. Bei den Bestandsimmobilien gab es dort ab Mitte des Jahres sinkende Preise. In unserem Gremium gibt es Mitglieder, die davon ausgehen, dass gerade bei älteren Objekten, insbesondere mit energetischem Modernisierungsbedarf, die Preise weiter fallen. Da sind wir gespannt auf das aktuelle Jahr.
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Es gibt also keinen allgemeinen Trend zu niedrigeren Immobilienpreisen?
Filenius: Langfristiges Spekulieren ist nicht unsere Aufgabe. Wir sind zwar ein Stück weit gehalten, in die Zukunft zu schauen. Wenn ich zum Beispiel Grundstücke in der Nähe von geplanten Großprojekten bewerte, sollte das einfließen. Wir beschreiben aber vor allem den Markt, wie er aktuell ist beziehungsweise vor wenigen Monaten war. Das tun wir anhand von Kaufverträgen, die im Vorjahr geschlossen worden sind. Das ist keine Prognose.
Aber ich erhalte als Laie einen guten ersten Einblick in die Preise, richtig?
Filenius: Die Gutachterausschüsse für Grundstückswerte haben gerade in NRW für Laien viel gemacht in den letzten Jahren. Im Internet auf www.boris.nrw.de gibt es zum Beispiel den Immobilienpreis-Kalkulator. Da kann jeder einen ersten Schätzwert ermitteln. Das entspricht natürlich nicht einem professionell ermittelten Verkehrswert. Aber für einen ersten Eindruck ist das eine tolle Sache. Übrigens auch im Vergleich zu anderen Städten.
Wo steht Solingen im Vergleich zur Rheinschiene, aber auch zu den bergischen Nachbarn?
Filenius: Das kann man an der Bodenrichtwertkarte schön sehen. Die Rheinschiene, allen voran Düsseldorf und Köln, haben sehr hohe Richtwerte. Wir sind bei weitem nicht auf dem Niveau, das zum Beispiel Düsseldorf hat. Solingen etwa hat keinen einzigen Bodenrichtwert über 1000 Euro pro Quadratmeter. In Düsseldorf ist das nichts Ungewöhnliches. Je weiter sie vom Rhein aus nach Osten gehen, desto niedriger wird in der Tendenz das Preisniveau. Das gilt auch für das Bergische. In Remscheid sind die Werte niedriger als in Solingen. Und auf dem Land sowieso. Da ändern sich aber sehr viele Parameter, Häuser zum Beispiel haben in der Regel viel größere Grundstücke.
Gilt das West-Ost-Gefälle auch innerhalb Solingens?
Filenius: Nicht ganz. Wir haben tendenziell höhere Preise in Ohligs und in Aufderhöhe, aber auch in Teilen Widderts und Gräfraths. In Burg und Teilen von Mitte sind die Werte niedriger. Es ist nicht so, dass ein Bezirk in Gänze sehr teuer ist – oder ein Bezirk komplett abgehängt wäre.
Und ansonsten gilt der alte Spruch: „Lage, Lage, Lage“?
Filenius: Für jedes Grundstück gibt es eine Vielzahl an Eigenschaften – Beschaffenheit, Größe, Form, Nutzungsrechte oder Altlasten. Das führt schnell zu abweichenden Werten. An „Lage, Lage, Lage“ ist etwas dran. Aber es gibt viele andere Einflüsse, die wir in Modellen abzubilden versuchen. Preise sind nicht wie Temperaturen, die sie messen und dann einen Mittelwert bilden. Zu all den messbaren Faktoren kommen noch Emotionen. Dann fällt ein Preis beim Hauskauf schon mal höher aus, weil man es unbedingt haben will.
Sie sprachen anfangs von einer schwierigen Zeit im Immobilienmarkt. Sind deshalb die Käufe voriges Jahr um rund 20 Prozent zurückgegangen?
Filenius: Das ist aus unserer Sicht eine Folge der Umstände des letzten Jahres, ja. Es wird in vielen Fällen abgewartet, wie es weitergeht, bevor man kauft oder verkauft. Das ist keine Solinger Besonderheit, sondern in umliegenden Städten genauso. Allerdings sind die Umsätze nicht im gleichen Maß gesunken. Die absolute Zahl an Verkäufen ist die niedrigste seit fünf Jahren.
Gibt es weitere markante Entwicklungen?
Filenius: Mich hat überrascht, dass der Markt nicht einheitlich reagiert hat. Der Preis für Eigentumswohnungen etwa ist gestiegen. Ansonsten waren die Preise 2022 übers Jahr gesehen recht stabil. Der große Einbruch ist ausgeblieben, der Markt ist robuster, als es vielleicht zu erwarten war.
Angesichts der Baukostensteigerungen ist die künftige Entwicklung im Neubaubereich besonders schwer zu beurteilen, oder?
Filenius: Bei den Eigentumswohnungen sind wir inzwischen durchschnittlich bei 4260 Euro Kaufpreis pro Quadratmeter Wohnfläche bei Neubauten. Das ist wieder eine Steigerung. Wo noch neu gebaut wird, bleibt es teuer. Aber es wird sehr wenig gebaut. Die spannende Frage wird sein: Wie geht es weiter? Die Entwicklung könnte bei dem einen oder anderen Projekt dazu führen, dass es später umgesetzt wird – oder gar nicht. Dazu gibt es aber noch keine belastbaren Zahlen.
Gremium und Vorsitzender
Gremium: Der Gutachterausschuss für Grundstückswerte veröffentlicht jedes Jahr im ersten Quartal seinen Bericht für das Vorjahr. Der Ausschuss besteht aus unabhängigen Sachverständigen – unter anderem Makler und Architekten, das vorsitzende Mitglied „soll ein Bediensteter der Gebietskörperschaft sein, für deren Bereich der Ausschuss gebildet ist“. Der Ausschuss sorgt für Transparenz auf dem Immobilienmarkt, indem er das Marktgeschehen durch Auswertung sämtlicher Kaufverträge analysiert. Er ist frei von Weisung. In NRW gibt es mehr als 70 Ausschüsse.
Vorsitzender: Achim Filenius ist Abteilungsleiter im Stadtdienst Vermessung und Kataster. Der 52-Jährige arbeitet seit 18 Jahren bei der Verwaltung der Klingenstadt Solingen. Seit 2010 ist der Diplom-Ingenieur Mitglied des Gutachterausschusses für Grundstückswerte, dem er seit 2017 vorsitzt. Er wohnt mit seiner Familie in der Nähe von Bonn.