Gesetzentwurf der Ampelkoalition

Was für die Cannabis-Legalisierung spricht - und was dagegen

Anja Hufschmidt zeigt den Methodenkoffer, den die Jugend- und Drogenberatung aus dem Präventionsprogramm „Stark statt breit“ zum Thema Cannabis-Konsum bekommen hat.
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Anja Hufschmidt zeigt den Methodenkoffer, den die Jugend- und Drogenberatung aus dem Präventionsprogramm „Stark statt breit“ zum Thema Cannabis-Konsum bekommen hat.

Befürworter und Gegner der geplanten Reform diskutieren über Chancen und Risiken.

Von Kristin Dowe

Solingen. Auch wenn eine umfassende Cannabis-Legalisierung noch in weiter Ferne liegen dürfte: Für Frank vom Scheidt, Vorsitzender der Ortsgruppe Bergisches Land des Deutschen Hanfverbandes (DHV), sind die Pläne der Bundesregierung ein vernünftiger Anfang: „Die Entkriminalisierung der Konsumenten ist ein Riesenschritt nach vorne“, findet der Remscheider Grünen-Politiker.

Und weiter: „Natürlich ist es bedauerlich, dass eine staatlich kontrollierte Abgabe von Cannabis in geprüften Fachgeschäften vorerst europarechtlich noch nicht möglich sein wird.“

Konkret sieht der aktuelle Gesetzesentwurf der Ampelkoalition vor, den Besitz von maximal 25 Milligramm „Genusscannabis“ zu erlauben – diese Menge darf straffrei in der Öffentlichkeit mitgeführt werden. Im Hinblick auf den Anbau dürfen lediglich drei weibliche blühende Pflanzen selbst aufgezogen werden, zudem ist der Konsum den Plänen zufolge nicht in der Nähe von Kitas und Schulen gestattet.

Möglich sein soll dieser vorerst nur im Rahmen von nicht gewinnorientierten Vereinen, sogenannten „Social Clubs“, die den Cannabis gemeinschaftlich zu Genusszwecken anbauen und an ihre Mitglieder abgeben dürfen. Aus dem Bergischen sind bislang noch keine Pläne für die Gründung solcher Vereine bekannt.

Was erhoffen sich die Legalisierungsbefürworter von der Cannabis-Legalisierung?

Für Frank vom Scheidt geht mit der Teillegalisierung vor allem eine Entlastung der Justiz einher: „Wir haben 160 000 Verfahren wegen Cannabisbesitz im Jahr. Mit dem neuen Gesetz werden davon dann wohl auch einige Verfahren eingestellt und die Beschuldigten Amnestie erhalten. Das finde ich auch vollkommen richtig.“

Zwar sei eine Abgabe in lizenzierten Fachgeschäften perspektivisch ein gangbarer Weg, einer pauschalen Verharmlosung von Cannabis wolle vom Scheidt gerade mit Blick auf junge Menschen dennoch nicht das Wort reden: „Die psychologische Wirkung sollte nicht marginalisiert werden.“

Kritischer betrachtet der Solinger Arzt Hans-Peter Holbeck, der in seiner Praxis in Gräfrath seit mehr als 40 Jahren mit Suchtpatienten arbeitet, den Gesetzesentwurf. „Für viele unserer Patienten ist Cannabis eine Einstiegsdroge“, beobachtet er. In der Vergangenheit sei es auch häufiger vorgekommen, dass Cannabis andere harte Drogen zugesetzt wurden. Insofern sei der Gesetzesentwurf sinnvoll, um den Konsum besser kontrollieren zu können und gefährliche Beimischungen zu vermeiden.

Man kann nach allem süchtig werden. Es kommt immer auf die Dosis an.

Dr. Hans-Peter Holbeck

Bezüglich des Suchtpotenzials gelte für Cannabis das Gleiche, was für andere Substanzen wie Alkohol oder Nikotin auch gilt: „Man kann nach allem süchtig werden. Es kommt immer auf die Dosis an.“

Für die Polizei bringe die neue Regelung eine gewisse Entlastung etwa bei Kontrollen mit sich, berichtet Björn Lüdtke, Sprecher der Kreisgruppe Bergisches Land der Gewerkschaft der Polizei. „Das ist ein zweischneidiges Schwert“, befindet er. „Auf der einen Seite brachte bisher jeder kleine Verstoß einen riesigen Bearbeitungsaufwand mit sich, der sich mit der neuen Gesetzeslage vermutlich reduzieren würde. Auf der anderen Seite sehe ich die Gefahr, dass es für Dealer einfacher werden könnte, mit einem Fuß in die Legalität zu gehen. Diesen Effekt haben wir auch in den Niederlanden beobachtet.“

Auch mit der neuen Gesetzeslage dürften sich Kontrollen für Polizeibeamte zuweilen schwierig gestalten. „Wie will ich denn beispielsweise bei einer Wohnungsdurchsuchung feststellen, ob es sich um eine männliche oder eine weibliche Pflanze handelt?“

Anja Hufschmidt, Leiterin der Jugend- und Drogenberatung Solingen, sieht in dem Gesetzesentwurf der Ampel-Koalition einen „ersten Schritt, sich einem anderen Umgang mit Cannabis zu nähern“. Einen Königsweg gebe es nicht – vielmehr sei die geplante Teillegalisierung mit einem laufenden Lernprozess verbunden, bei dem Schutzmaßnahmen wie Aufklärungs- und Präventionsangebote an Schulen laufend ausgebaut und angepasst werden müssten.

Die Hoffnung, dass Cannabiskonsum unter Jugendlichen sich irgendwann von selbst erledigt haben und als „out“ gelten könnte, hält Hufschmidt für verfehlt: „Cannabis ist bei den jungen Menschen, die zu uns in die Beratung kommen, immer noch ein starkes Thema. Das sollten wir als Realität anerkennen und über die Risiken aufklären.“ Dazu trage die Jugend- und Drogenberatung unter anderem mit dem Präventionsprogramm „Stark statt breit“ bei, das auch an Solinger Schulen vermittelt wird.

Prävention

Informationen und Tipps rund um das Thema Suchtprävention finden Betroffene, Fachkräfte und Eltern auch auf den Seiten des Präventionsprogramms „Stark statt breit“. Dieses wird gefördert vom NRW-Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales.

Internetseite: starkstattbreit.nrw.de

Kommentar von Kristin Dowe: Laufender Lernprozess

kristin.dowe@solinger-tageblatt.de

Auch wenn die Befürworter der Cannabis-Legalisierung triftige Argumente haben – die dringend notwendige Entlastung der Justiz sei da nur als das stärkste genannt –, verharmlosen sollte man die Risiken des Konsums sicherlich nicht. Gerade bei jungen Menschen, deren Gehirn noch nicht voll ausgewachsen ist, können auch sogenannte weiche Drogen negative Folgen nach sich ziehen. Doch mahnende Worte allein werden den Cannabiskonsum unter Jugendlichen kaum unterbinden.

Umso wichtiger ist es, den Verkauf so gut wie möglich staatlich zu reglementieren und unter Kontrolle zu bringen. Das funktioniert nur, wenn man ihn aus der dunklen Ecke der Kriminalisierung herausholt. Ein Patentrezept für den richtigen Umgang gibt es nicht. Vielmehr ist es für die Gesellschaft ein laufender Lernprozess, bei dem auch ein Blick auf die Erfahrungen im Ausland, beispielsweise in den Niederlanden, hilfreich sein kann. So sollte der Gesetzesentwurf der Ampel als das gesehen werden, was er ist: ein Versuchsballon mit Entwicklungspotenzial.

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