Fastenmonat

Wie sich Ramadan und der Alltag als Ärztin vereinbaren lassen

Nevin Oruc berichtet, was der muslimische Fastenmonat für sie bedeutet - und mit welchen Tricks sie im Klinikum Solingen trotz des Verzichts gut durch den Tag kommt.

Von Axel Richter

Solingen. Der Tag beginnt früh für Nevin Oruc. Bis 5.02 Uhr erlaubt ihr die Ramadan-App auf ihrem Handy noch etwas zu essen, noch etwas zu trinken. Danach wird die Ärztin fasten. Mehr als 15 Stunden lang bis 20.03 Uhr am Abend.

Nevin Oruc ist Remscheiderin und Ärztin am Solinger Klinikum. Sie fastet: Wie sich das mit ihrem Alltag vereinbaren lässt, erklärt sie hier.

Das fällt ihr durchaus nicht leicht, im Gegenteil, sagt die Muslimin: „Der Ramadan fordert mich heraus, er ist für mich das schwerste Gebet.“

Warum die Remscheiderin (37) tagsüber dennoch nichts zu sich nimmt, obwohl ihr der Schichtdienst im Klinikum Solingen einiges abverlangt? Weil er sie stärker macht. „Ich lasse mich nicht von meinen Gelüsten und Schwächen leiten“, sagt sie: „Das ist für mich befreiend.“

Nevin Oruc wuchs in Remscheid-Kremenholl auf. Das türkische Mädchen besuchte das dortige Gertrud-Bäumer-Gymnasium, baute 2005 das Abitur und erlernte zunächst den Beruf der Gesundheits- und Krankenpflegerin. Sechs Jahre blieb sie im Remscheider Sana-Klinikum an der Burger Straße, arbeitete dort zuletzt auf der Intensivstation.

Sie möchte am Klinikum Solingen bleiben

Dann ging Nevin Oruc zum Medizinstudium an die Uni Düsseldorf. Gerade schreibt sie ihre Doktorarbeit, steht kurz vor der Facharztprüfung zur Internistin. Klappt alles, bleibt sie am Klinikum Solingen, wo sie heute als Assistenzärztin in der Klinik für Gastroenterologie arbeitet. Das nächste Ziel heißt Oberärztin.

Ihre Familie nennt sie konservativ im Glauben wie sich selbst. Der Großvater kam als sogenannter Gastarbeiter nach Deutschland und arbeitete bei Thyssen. Der Vater ist Sägenrichter bei der Firma Arntz, der um zwei Jahre jüngere Bruder arbeitet als Industriemechaniker, die Mutter ist seit zehn Jahren Hausfrau. Alle glauben an Allah, alle fasten im Ramadan.

Auch Tochter Nevin besucht die Diyanet-Moschee und verneigt sich fünfmal am Tag gen Mekka. Nur an die strengen Uhrzeiten hält sich die Ärztin nicht. Und ein Kopftuch hat sie nie getragen. Allerdings hat sie Achtung vor allen Frauen, die es tun. Ob ihr Gott das verlangt oder doch nur ihre patriarchalisch geprägte Community, darüber lässt sich gewiss mit ihr streiten.

„Ich war immer an Religion interessiert“, erzählt die Remscheiderin. Im Gymnasium war Katholische Religion eines ihrer Abifächer. Über den muslimischen Glauben, über den heiligen Monat Ramadan, den so viele Solingerinnen und Solinger insbesondere mit türkischen Wurzeln gerade begehen, wird aus ihrer Sicht zu wenig gesprochen. Schließlich gehe es um weit mehr als den vorübergehenden Verzicht auf feste und flüssige Nahrung.

Verzicht, klar - aber worum geht es beim Ramadan wirklich?

Ramadan ist ein auch ein Monat der Begegnung – mit der Familie, der Gemeinde, den Nachbarn und Freunden. Tratsch und Lügen sind verboten. Die Menschen sollen sich freundlich begegnen.

Nach Sonnenuntergang treffen sich die Orucs zum abendlichen Fastenbrechen. Dann wird aufgetischt, doch nicht zu üppig, sagt Nevin Oruc. Sich nach der Enthaltsamkeit des Tages den Magen vollzuschlagen ist nicht Sinn der Sache. Und außerdem ungesund, weiß die Medizinerin.

Je länger der mal 29, mal 30 Tage währende Fastenmonat dauert, umso leichter falle es auch, am Tag auf Nahrung zu verzichten. „Der Magen gewöhnt sich daran und braucht weniger“, sagt sie. Zu Beginn der Fastenzeit könne es dagegen schon zu gesundheitlichen Problemen kommen: „Bei einigen stellen sich Kopfschmerzen und Migräne ein. Aber danach geht es.“

Und dann gibt es noch ein paar Tricks, mit denen sich die Medizinerin selbst über den Tag hilft. Nach dem frühen Aufstehen isst sie, was lange vorhält. Dinkel- oder Vollkornbrot, dazu Datteln und Nüsse. Außerdem meidet sie alles, was den Körper entwässert. Und dann ist Planung so gut wie alles.

Nevin Oruc übernimmt im Solinger Klinikum viele Nachtdienste, um die Zeit des Fastens in die Freizeit zu verlegen. Dennoch hat sie auch mit medizinischen Notfällen zu tun. Und die nehmen keine Rücksicht auf religiöse Verrichtungen.

Die Fastenzeit ist für die Remscheiderin deshalb eine Strapaze. „Das soll sie aber auch“, sagt sie. „Der Ramadan soll mich herausfordern. Nur auf diese Weise lerne ich mehr über meine Stärken und Schwächen und erkenne meine Potenziale.“

Wie wertvoll ein Glas Wasser ist - und das Stück Brot, das ich am Abend essen darf.

Nevin Oruc sagt, der Ramadan öffnet die Augen für das, was wirklich wichtig ist

Selbstdisziplin zum Beispiel. Nevin Oruc findet, dass die noch niemandem geschadet hat. Die Zeit des Verzichts öffne den Gläubigen zudem die Augen darüber, was wirklich wichtig ist. „Wie wertvoll zum Beispiel ein Glas Wasser ist“, sagt Nevin Oruc, „und das Stück Brot, das ich am Abend essen darf.“ Alles andere verliert in dem Moment an Bedeutung, wird zur Belanglosigkeit des hektischen Alltags. Auf diese Erfahrung mag Nevin Oruc nicht verzichten.

Auch, wenn der noch bis zum 21. April dauernde Fastenmonat, übrigens eine der insgesamt fünf Säulen des Islam, das schwerste Gebet für sie ist. Ihre Ramadan-App wird sie deshalb auch morgen an die Zeit des Fastens und der Kontemplation erinnern.

Hintergrund

Der heilige Fastenmonat Ramadan wird von annähernd 1,9 Milliarden Muslimen weltweit begangen. Von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang nehmen sie keine flüssige oder feste Nahrung zu sich. Am Ende des Ramadan, es handelt sich um den neunten Monat des islamischen Kalenders, steht das Fastenbrechen oder Zuckerfest. In diesem Jahr fällt der Fastenmonat auf die Zeit vom 23. März bis zum 21. April.

Rubriklistenbild: © Peter Meuter

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