Unterstützung

Förderprogramme: Bürokratie erschwert Weg zu staatlicher Hilfe

Ralf Zimmermann und Franziska Truse haben sich durch den Antrag für das Energiekostendämpfungsprogramm gekämpft.
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Ralf Zimmermann und Franziska Truse haben sich durch den Antrag für das Energiekostendämpfungsprogramm gekämpft.

Vor allem kleine Unternehmen haben mit komplizierten Verfahren und Formulierungen zu kämpfen.

Von Manuel Böhnke

Solingen. Franziska Truse sitzt vor einem Stapel Papier. Mühevoll hat sich die kaufmännische Leiterin der Otto Röhrig Gesenkschmiede GmbH durch den Antrag für das Energiekostendämpfungsprogramm (EKDP) gekämpft. Allein das Merkblatt umfasst 63 Seiten in feinstem Juristendeutsch. Ob sie alles richtig gemacht und das Solinger Unternehmen ein Anrecht auf den Zuschuss hat? Das weiß Truse nicht. Ralf Zimmermann ärgert das komplizierte Verfahren: „Das ist Bürokratiewahnsinn.“ Für den geschäftsführenden Gesellschafter drängt sich der Eindruck auf, dass die staatliche Unterstützung vor allem für großere Firmen konzipiert ist. Betriebe wie seiner – mit etwa 60 Beschäftigten ein typischer bergischer Mittelständler – könnten den Aufwand kaum stemmen.

Dabei wäre Hilfe notwendig. Die Krisen der vergangenen drei Jahre machen sich bei der auf medizinische und chirurgische Rohlinge spezialisierten Gesenkschmiede bemerkbar. Stimmen Zimmermanns und Truses Berechnungen, stehen ihr weniger als 50.000 Euro zu. Das stehe in keinem Verhältnis zu den Mehrkosten.

Die Beschaffungspreise lagen bisweilen vierfach über dem Vor-Krisen-Niveau. Dementsprechend könnte man annehmen, dass die Verantwortlichen erleichtert waren, als der Bund Hilfe ankündigte. Doch mitnichten: „Wir freuen uns schon lange nicht mehr.“ Das Problem: der Aufwand.

„Förderprogramme sind selten unbürokratisch.“

Ralph Oermann, Bergische IHK

Über Wochen beschäftigte sich Franziska Truse mit dem Verfahren. Sie ist Bankkauffrau, studierte Betriebswirtschaftslehre. Dabei sei sie mit juristischen Themen in Berührung gekommen. Für die komplizierten Formulierungen des EKDP genüge das aber nicht. „Firmen mit mehr als 500 Mitarbeitern können dafür sicherlich Leute abstellen, bei uns reißt das ein Loch“, sagt Zimmermann. Am Ende musste er sieben Erklärungen für den Antrag unterzeichnen.

Im September war das. Bis zum Jahresende sollten zumindest Vorschüsse eingehen. Bislang ist jedoch kein Geld da, obwohl der geförderte Zeitraum im Februar 2022 beginnt. „Wie sollen Hilfen helfen, wenn sie so verzögert ankommen?“, fragt Zimmermann.

Noch etwas ärgert ihn. Nach Antragstellung müssen Infos nachgereicht werden. Dazu zählt ein geprüfter Jahresabschluss. Während mittlere und große Unternehmen verpflichtet sind, ihren Jahresabschluss prüfen zu lassen, gelte das für kleinere Betriebe nicht. Sie müssten den Schritt für das EKDP extra gehen.

Für Ralf Zimmermann ein weiterer Indikator, dass die Politik den Fokus auf mitarbeiter- und umsatzstarke Firmen legt. „Dort scheint man anzunehmen, dass nur die viel Energie verbrauchen.“ Das Bergische mit seiner Metallverarbeitung beweise das Gegenteil.

Als Unternehmer und Vorsitzender des Industrieverbands Schneid- und Haushaltwaren hat Ralf Zimmermann viel Kontakt zu anderen Firmen. Dass sich kleinere Betriebe seinem Eindruck nach kaum mit dem EKDP beschäftigen, überrascht ihn kaum. Neben dem Bürokratismus ist es diese Ungleichbehandlung, die den Solinger stört.

Seiner Ansicht nach ginge es einfacher. Er sehnt sich nach einer Formel, die anhand einiger Eckdaten einen ersten Hinweis gibt, ob Firmen Chancen auf den Zuschuss haben. Die Unternehmen könnten dann mit ihren Versorgerverträgen nachweisen, wie sich die Energiekosten verändert haben – und die öffentliche Hand entscheiden, wie viel der zusätzlichen Belastung sie trägt.

Ralph Oermann haben bislang nicht viele Fragen zum EKDP erreicht. Der Leiter des Stabsbereichs Industrie, Innovation und Energie der Bergischen Industrie- und Handelskammer (IHK) betont: „Förderprogramme sollen immer unbürokratisch sein, sind das aber selten.“ Da bilde das EKDP keine Ausnahme. Es gebe ein Spannungsfeld. Einerseits müsse das Verfahren einfach genug sein, damit die Hilfe ankommt. Andererseits müsse der Bund detailliert nachfragen, geht es doch um Steuergeld. „Ich wünsche mir trotzdem eine klarere Sprache.“

Positiv sei, dass die Preisbremsen für Strom, Gas und Fernwärme im Wesentlichen über die Energieversorger umgesetzt werden. Das begrüßt auch Ralf Zimmermann. Das Problem: Die 80 Prozent, die der Staat deckelt, beziehen sich im Regelfall auf den Verbrauch im Jahr 2021. Seinerzeit seien noch viele Betriebe in Kurzarbeit gewesen, erinnert Zimmermann. 2022 und 2023 dürften die Abnahmemengen deutlich höher liegen. Die nicht gedeckelten 20 Prozent seien eine weitere Unbekannte. „Zu kalkulieren, ist sehr schwierig.“

Hinzu kommt der bange Blick in die Zukunft. Noch bis 2024 läuft der Gasvertrag der Remscheider Robert Röntgen GmbH & Co. KG. Geschäftsführer Dr. Marcus Jankowski, im Ehrenamt Vorsitzender des Remscheider Arbeitgeberverbandes, geht nicht davon aus, dass sich die Preise bis dahin auf das Vor-Krisen-Niveau einpendeln werden. Eine Herausforderung für den Wirtschaftsstandort schwächen die hohen Kosten trotz Preisbremsen die internationale Wettbewerbsfähigkeit bereits heute.

Dieses Problem sieht auch Ralph Oermann. „Die Unternehmen brauchen Planungssicherheit“, betont er. Der IHK-Mann geht davon auf, dass sich die Preise auf einem hohen Niveau stabilisieren werden. Doch wohin die Reise genau geht, könne niemand sagen.

Energiekostendämpfungsprogramm

Das Energiekostendämpfungsprogramm richtet sich an energie- und handelsintensive Unternehmen. Sie können unter bestimmten Voraussetzungen maximal 80 Prozent ihres monatlichen Betriebsverlustes ersetzt bekommen. Die Hilfe bezieht sich unter anderem auf die Beschaffungskosten von Erdgas und Strom zwischen Februar und Dezember 2022.

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