Kleiderordnung

Bauchfrei und Jogginghose in der Schule verbieten? Das sagen Solinger Schulleiter

In einem Brief, den Eltern der Sekundarschule in Wermelskirchen letzte Woche erhielten, heißt es zur Kleidung der Schüler: „Wichtig bei der Auswahl ist, dass wir niemanden damit irritieren.“ Dazu eine Zeichnung, die aufzeigt: unter anderem bauchfrei ist verboten.
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In einem Brief, den Eltern der Sekundarschule in Wermelskirchen letzte Woche erhielten, heißt es zur Kleidung der Schüler: „Wichtig bei der Auswahl ist, dass wir niemanden damit irritieren.“ Dazu eine Zeichnung, die aufzeigt: unter anderem bauchfrei ist verboten.

Wermelskirchener Schule erlässt strenge Kleiderordnung. So wird es in Solinger Schulen geregelt.

Von Timo Lemmer

Solingen/Wermelskirchen. In Wermelskirchen haben sie genug. Genug von Jogginghosen und Trainingsanzügen, genug von bauchfreien Oberteilen und tiefen Ausschnitten: Die Sekundarschule der Nachbarstadt hat sich auf den Weg gemacht, diese Kleidungsstücke für Schülerinnen und Schüler zu verbieten. Im Internet sorgt das für rege Diskussionen. Die einen sehen die Sitten zunehmend verrohen und befürworten die Idee einer strikten Kleiderordnung in der Schule. Die anderen sehen sich in die 1950er Jahre zurückversetzt und die Selbstbestimmung verletzt.

Der Ärger kocht hoch. Dabei, hierin sind sich Solinger Schulexperten einig, besteht die Debatte seit eh und je. Kein Grund zu akuter Aufregung also. Und kein Thema, das mit einer Kleiderordnung geregelt werden muss – findet zumindest Andreas Tempel. Der Schulleiter der Alexander-Coppel-Gesamtschule hält den Vorstoß für „nicht zielführend“. Aus zwei Gründen: Zum einen käme es äußerst selten vor, dass Schülerinnen und Schüler mit ihrer Kleidung die Schamgrenzen überschreiten. Das lasse sich viel besser individuell im Einzelgespräch lösen als mit einer Verordnung.

Und zweitens: „So eine Kleiderordnung sorgt für Aufregung und Ärger und legt damit unnötigerweise eine Lupe auf ein Thema, das keins ist. Das Problem wird damit größer gemacht, als es ist.“

Jogginghose und bauchfreie Tops: Verboten ist es nicht - gewollt aber auch nicht

Dabei sagt auch Tempel: „Das, was dort verboten werden soll, wollen auch wir hier nicht haben.“ Durchaus gebe es hin und wieder „geschmackliche Verirrungen“ wie Trainingsanzüge von oben bis unten: „Das sieht dann so aus, als käme jemand gerade vom Sofa. Wenn das zu Hause Standard ist, dann ist die Schule ja auch dafür da, so etwas auszugleichen.“ Die Lösung sei in solchen Fällen aber keine Kleiderordnung, sondern die direkte Ansprache. Schule als Lernort – auch in Kleidungsfragen.

Jens Merten vom Verband Bildung und Erziehung (VBE) Solingen hingegen kann der Wermelskirchener Überlegung etwas abgewinnen. Eine Kleiderordnung bringe Vorteile mit sich und sei daher reizvoll: Es gelinge so, „die sozialen Schichten optisch anzugleichen“. Das sieht auch sein Kollege Dirk Bortmann, Vorsitzender des Solinger Stadtverbandes der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), so: „Es gibt heute Menschen, die sich sehr teure Kleidung leisten können, und andere, die sich das nicht leisten können. Da wirkt Kleidung trennend.“

Jogginghose und bauchfreie Tops: Was ist angemessene Kleidung für die Schule?

Die Problemlage differiere aber von Schule zu Schule, von Schulform zu Schulform. In puncto Trainingsanzug sei ein Problem, „dass die Definition von ‚angemessener Kleidung‘ weit gefasst ist“, sagt Merten. Und im Sommer komme es immer wieder vor, dass zu freizügige Kleidung gewählt werde. Für den kommenden Schultag werde dann eine andere Kleidungswahl angemahnt. Auch hier: Dialog statt feste Regel.

Grundschullehrer Bortmann kann einer Kleiderordnung dennoch etwas abgewinnen: Es könne eine Schule einen, den Prozess dorthin gemeinsam zu gestalten. „Das geht aber nur, wenn die Idee nicht von oben durchgesetzt wird, sondern von unten kommt – als Einigung der gesamten Schulgemeinschaft.“

In Einzelfällen seien Schülerinnen oder Schüler auch schon mal nach Hause geschickt worden, um sich umzuziehen, berichtet Tempel. In seinen über 30 Jahren an diversen Schulen in verschiedenen Städten habe es aber nur eine Handvoll solcher Fälle gegeben. Ein kleines Problem eben.

Kleiderordnung: Schulleiter Andreas Tempel ist gegen Schuluniform

Nicht angestrebt ist in Wermelskirchen eine Schuluniform. Tempel: „Das wäre mir mit der deutschen Geschichte im Nacken auch überhaupt nicht recht.“ Die angedachte Kleiderordnung gibt allerdings recht klar vor, was (nicht mehr) geht.

In Solingen gibt es solch eine Regelung derzeit an keiner Schule. Wenn es nach Tempel geht, kann das so bleiben. Auch aus diesem Grund: „Wir haben an den Schulen derzeit wirklich ganz andere Probleme.“

Bortmann stimmt ihm zu: „Es ist wirklich kein drängendes Problem. Wenn an den Schulen die Sitten verrohen, dann nicht bei der Kleidung, sondern eher in der Sprache und im Umgang miteinander.“

Hintergrund

Rathaus: Der Stadt ist kein Fall bekannt, in dem in Solingen eine Kleiderordnung erlassen wurde. Dies ist als „innere Schulangelegenheit“ indes auch kein Thema im Zuständigkeitsbereich der kommunalen Schulverwaltung.

Rechtlich: Im Schulgesetz für Nordrhein-Westfalen ist festgehalten: „Die Schulkonferenz kann eine einheitliche Schulkleidung empfehlen, sofern alle in der Schulkonferenz vertretenen Schülerinnen und Schüler zustimmen.“

Standpunkt von Simone Theyßen-Speich: In der Schule „ankommen“

simone.theyssen-speich@solinger-tageblatt.de

Schon im Mai 2021, nach den Corona-Schulschließungen, zitierte das ST Schulleiter Joachim Blümer mit den Worten „Wir müssen den Schülern erstmal erklären, dass die Zeit der Jogginghosen vorbei ist“. Die Jogginghose – als Überbleibsel des Homeschoolings – ist aber nur ein äußerliches Symbol dafür, dass die Pandemie und ihre Folgen Spuren bei Kindern und Jugendlichen hinterlassen haben. Die angemessene Kleidung ist da wohl – wie von den Solinger Schulleitern geschildert – nur ein kleines Problem.

Größer sind die anderen Folgen, deren Aufarbeitung in den Schulen immer noch Thema ist. Neben Defiziten beim Lernstoff sind das vor allen Dingen Defizite im Sozialverhalten. Der Umgang miteinander muss wieder trainiert werden. Schüler müssen von der in Corona-Zeiten eingeschlichenen Alltagssprache wieder in die Unterrichtssprache kommen, flüssige Formulierungen lernen. Wer wieder richtig in der Schule „ankommt“, dem fällt dann auch wieder ein, wie man sich für einen Schulbesuch zu kleiden hat.

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