Solingen 1993

Brandanschlag: Verurteile Täter beteuern nach 30 Jahren ihre Unschuld

festnahmen
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Das Solinger Tageblatt informierte damals über die Festnahmen.

Nur wenige Tage vor dem 30. Jahrestag des Solinger Brandanschlags wenden sich erstmals drei der damals vier verurteilten Täter an die Öffentlichkeit. Sie beteuern ihre Unschuld.

Von Björn Boch und Verena Willing

Solingen. Felix K., Markus G. und Christian B. wenden sich fast 30 Jahre nach dem Brandanschlag an der Unteren Wernerstraße – und wenige Tage vor der Gedenkfeier zum Jahrestag – erstmals an die Öffentlichkeit. In drei Schreiben, die an mehrere Medien versandt wurden und auch dem ST vorliegen, beteuern sie ihre Unschuld.

Die drei Männer waren 1995 in einem Indizienprozess verurteilt worden. Das Düsseldorfer Oberlandesgericht sah es als erwiesen an, dass sie in der Nacht auf den 29. Mai 1993 das Haus der Familie Genç angezündet hatten. Saime (4), Hülya (9) und Hatice Genç (18), Gürsün İnce (27) und Gülüstan Öztürk (12) starben, 14 weitere Menschen wurden teils lebensgefährlich verletzt. Der vierte Verurteilte, Christian R., schweigt weiterhin.

Felix K. schreibt: Schlimmer als die jahrelange Haft sei mitzuerleben, „wie wir drei zu Unrecht Verurteilten lebenslang als Mordbrenner und Neonazis stigmatisiert werden, gerade vor dem Hintergrund des 30. Jahrestages“. Alle drei verurteilen den Anschlag und drücken Mitgefühl aus. So schreibt K.: „Am schlimmsten aber ist, dass es Menschen gibt, deren Leben ausgelöscht werden durch Mitmenschen, deren rassistischer Hass buchstäblich über Leichen geht. Ein solcher Mitmensch war ich nie und werde ich niemals sein!“

Markus G. erklärt, dass es wichtig sei, der Opfer zu gedenken. „Es ist aber auch so, dass für diese furchtbare Tat drei Menschen zu Unrecht verurteilt wurden.“ Das Urteil beruhte damals unter anderem auf einem Geständnis, das er in Vernehmungen nach der Verhaftung abgegeben hatte. Er beschuldigte Felix K., Christian B. und Christian R. der Mittäterschaft. Das Geständnis soll unter großem Druck entstanden sein und wurde später vor Gericht widerrufen.

Bei Felix K. und Christian B. entschuldigt sich Markus G. nun für das Geständnis. Ebenso entschuldigt er sich für einen Reuebrief an Familie Genç von 1994, in dem er schrieb, dass „die richtigen Täter sitzen“. Der Brief sei auf Anraten eines Anwalts entstanden und habe Strafmilderung zum Ziel gehabt. Als damals einziger Erwachsener erhielt Markus G. eine Haftstrafe von 15 Jahren, die anderen drei die höchstmögliche Jugendstrafe von 10 Jahren.

Christian B. schreibt, dass er trotz allem weiter fest daran glaube, dass die Wahrheit eines Tages ans Licht kommen werde. „Dafür werde ich weiter kämpfen.“ Die Chance darauf sei aber leider gering, sagt der Solinger Strafverteidiger Jochen Ohliger. Er verbreitete die Schreiben am Donnerstag und hatte damals Christian B. vor Gericht vertreten: „Ein Wiederaufnahmeverfahren wird ganz schwierig.“ Ohliger akzeptiere als Jurist das rechtskräftige Urteil, nicht aber dessen Inhalt. Er stimme den Briefen der drei Männer voll zu.

Schon früh gab es Kritik an den Ermittlungsbehörden

Ohliger hatte bereits im Prozess scharfe Kritik an den Ermittlungsbehörden geäußert – und sie im Plädoyer als „Hobbykriminalisten“ bezeichnet. Dazu stehe er auch heute. Wohl nur ein Geständnis von Christian R. könne eine Lösung sein. „Aber selbst wenn er die Wahrheit sagen würde, würde ihm das wohl niemand mehr glauben“, so Ohliger. R. hatte im Prozessverlauf viele Versionen der Tat geschildert – eine davon: Er sei Alleintäter.

In den Briefen werden Zweifel an der Darstellung des Geschehens im Gerichtsurteil erneuert – unter anderem zu zeitlichen Abläufen, die nicht zusammenpassen. Auch das Tageblatt hatte im November 1993 – noch während des Prozesses – über Ungereimtheiten bei Ermittlungen und Vernehmungen berichtet. „Die Schreiben heute decken sich weitestgehend mit dem, was damals recherchiert wurde“, erklärt Wolfgang Schreiber, 1993 Journalist beim ST. „Mein ungutes Gefühl bei den Ermittlungen ist in 30 Jahren nicht besser geworden und hat sich seit dem NSU-Prozess verschärft.“

Der Gedanke, dass Strukturen nicht aufgedeckt worden sein könnten und mögliche Beteiligte an dem Verbrechen unbehelligt blieben, sei entsetzlich. Schreiber, heute Geschäftsführer der SPD-Ratsfraktion, hofft, dass nun zunächst das Gedenken an die Opfer im Vordergrund steht. Über die Briefe sagt er: „Ich habe eigentlich immer damit gerechnet, dass sich die drei äußern. Ich hätte das aber nicht unmittelbar vor dem Gedenken gemacht.“

Alle Informationen und Artikel zum Brandanschlag in Solingen haben wir auf einer Themenseite für unsere Leser zusammengefasst.

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