Peter Wirtz geht in den Ruhestand

„Schüler sind die größten Verlierer der Krise“

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Petra Ehrenfeld und...

Petra Ehrenfeld und Joachim Blümer vertreten jetzt die Solinger Schulleiter.

Von Simone Theyßen-Speich

Welche Auswirkungen haben die immer wieder kurzfristigen neuen Corona-Vorgaben auf die Planung und Arbeit in den Schulen?

Joachim Blümer: Natürlich wäre es für alle Schulen besser, die Informationen und Anweisungen zeitiger zu erhalten, um die Umsetzung mit ruhiger Hand vorzunehmen. Auf der anderen Seite werden auch dem Ministerium die Dinge diktiert, weil eine Pandemie auch ihre eigenen Gesetze schreibt. Erfahrungswerte gibt es hier keine und vielleicht sind gerade in der Bildungspolitik immer zu viele selbst ernannte Experten unterwegs, die es scheinbar schon immer gewusst haben.

... Joachim Blümer lösen...

Das hilft den Schulen auch nicht weiter. Peter Wirtz: Das finde ich zutreffend für die ersten zwei Monate der Pandemie, weil wir gemeinsam Lernende waren. Im Laufe der vielen hochbelastenden Monate und Wochenenden ist die Kurzfristigkeit und die Änderung in letzter Minute ebenso auffallend, wie manche nicht schlüssigen Vorgaben.

Petra Ehrenfeld: Die Kurzfristigkeit der Ankündigungen löst natürlich immer ein gewisses Stressmoment aus. Allerdings konnten wir im laufenden Halbjahr durchaus von den Erfahrungen des Frühjahres profitieren, da wir in dieser Zeit bereits viele Szenarien – Komplettschließung, rollierendes System mit halben Gruppen, Notbetreuung – durchgespielt und dazu Ablaufpläne entwickelt haben.

Welche Auswirkungen der Corona-Zeit befürchten Sie, etwa auf das soziale Miteinander in der Schule?

Joachim Blümer: Schülerinnen und Schüler gehören schon jetzt zu den größten Verlierern der Krise. Gelungene Bildungs- und Erziehungsarbeit baut immer auf Beziehungen auf, denn Kinder lernen erst sehr spät für sich selbst. Das schnellste Glasfasernetz und die besten digitalen Tools können diese Lücke nicht füllen. Kontroll- und Beziehungsverlust sorgen dafür, dass viele Lernziele nicht erreicht werden und Kinder in deutlich reduzierter Form Bildung erfahren.

Peter Wirtz: Kulturelle Bildung, Methodenvielfalt im Präsenzunterricht und letztlich der stetige Austausch der jungen Menschen im Bildungsprozess sind ebenso unersetzbar wie das gemeinsame Spiel, das gemeinsame Lachen. Mir ist weniger bang um die Lernziele als um das, was Schule ausmacht: Raum zum Wachsen von Persönlichkeiten.

Petra Ehrenfeld: Für alle Schüler, insbesondere aber für die jüngeren, ist das Beziehungslernen und das soziale Miteinander im Erfahrungsraum Schule das Fundament einer erfolgreichen Lernentwicklung. Gerade in diesem Bereich gab es seit März viele Einschränkungen, deren Auswirkungen deutlich spürbar sind. Viele Kinder berichteten im Frühjahr, dass sie oft alleine sind, ihre Mitschüler und Lehrer sehr vermissen und ihnen die Struktur und die Angebote des Schultages fehlen. Nach den Sommerferien war es für uns daher eine schöne Erfahrung zu erleben, wie sehr sich viele Kinder auf die „schulische Normalität“ freuten.

Konnte die teilweise verlorene Lernzeit des ersten Lockdowns im Frühjahr zu Beginn dieses Schuljahres aufgeholt werden?

Joachim Blümer: Ich glaube, das kann nur teilweise gelingen, denn das eine oder andere Bildungsziel ist immer einer bestimmten Zeit oder Situation geschuldet. Hier möchte ich den Blick auf den Sport, die Kunst und Musik richten. Den Applaus der Theateraufführung, für die lange geprobt wurde, können wir nicht nachholen, auch nicht das Tor, das über die Schulmeisterschaft entscheidet. Schulische Bildung sollte man nicht auf Deutsch, Mathematik und Englisch reduzieren, sie ist ein Gesamtkunstwerk, das Schaden erlitten hat.

Petra Ehrenfeld: In den Grundschulen beobachten wir, dass insbesondere die Kinder, bei denen sowieso schon Entwicklungsverzögerungen oder Lerndefizite vorhanden waren, die versäumte Zeit nicht ohne weiteres aufholen können. Hier bedarf es einer ganz intensiven Förderung im besten Falle in kleinen Gruppen, um den Anschluss an die Lernziele des Jahrgangs zu halten. Dies ist aber teilweise durch Personalengpässe und Quarantänemaßnahmen, die uns immer wieder ereilten, nur schwer zu gewährleisten.

„Die digitalen Kompetenzen der Lehrkräfte sind sichtbar gewachsen.“

Wie ist der Stand zum Thema Digitalisierung? Wo gibt es noch Probleme oder Nachholbedarf?

Joachim Blümer: Die Stadt Solingen hat durch ihre Initiative in unseren Schulen digital viel bewegt. Der Sprecherrat war und ist dabei immer ein wichtiger Impulsgeber. In vielen Schulen können Lehrerinnen und Lehrer auf digitale Werkzeuge zurückgreifen. Doch noch ist das nicht an allen Standorten sichergestellt. Wir sollten auch die digitalen Kompetenzen der Kinder und Lehrkräfte nicht aus den Augen verlieren. Gerade bei den Kindern stellen wir fest, dass die digitalen Kompetenzen, die für das schulische Arbeiten wichtig wären, nicht angelegt sind. Digitales Lernen findet eben nicht bei Whatsapp oder Instagram mit dem Wischen des Zeigefingers statt.

Petra Ehrenfeld: Gerade im Bereich Grundschule wäre es von Vorteil gewesen, wenn wir bereits vor Corona die Gelegenheit gehabt hätten, die Kinder besser auf das digitale Lernen vorzubereiten. Dies war an vielen Grundschulen nur eingeschränkt möglich, es wird aber mit jedem Schritt des digitalen Meilensteinplanes der Stadt besser. Die digitalen Kompetenzen der Lehrkräfte und die Bereitschaft, digitale Möglichkeiten in die Unterrichtsplanung einzubeziehen, sind aber sichtbar gewachsen.

Welche Themen jenseits von Corona und Digitalisierung stehen auf der Agenda des Sprecherrats?

Joachim Blümer: Nach wie vor gibt es ungelöste Themen, mit denen wir uns schulformübergreifend seit Jahren auseinandersetzen. Wie gelingt uns eine gute schulische und soziale Integration für internationale Seiteneinsteiger unter Mitwirkung aller Solinger Schulen? Benötigen gerade diese Kinder Bildungsangebote, die das klassische Bildungssystem nicht bietet? Ich denke hier an die Jugendhilfewerkstatt oder die BUS-Klassen, die im Bildungsangebot der Hauptschulen vorbildlich funktionierten. Die Schülerzahlen unserer Stadt steigen seit Jahren. Wie und wo schaffen wir den benötigten Schulraum? Das sind nur einige der Themen, bei denen wir den Dialog mit Schulträger und der Schulaufsicht wünschen.

Peter Wirtz: Der Sprecherrat der Solinger Schulleiter ist ein wichtiges Beratungsgremium außerhalb von politischen Interessen von Parteien oder Gruppierungen, da es stets das Ziel ist, für alle Schulformen zu sprechen und Lösungen für die Stadt zu suchen. Das ist anstrengend und kostet viel Zeit.

...Peter Wirtz im Schulleiter-Sprecherrat ab.

Als Beispiel erwähne ich nur, dass es in Solingen gelingt, einvernehmliche Lösungen beim Zuzug von Kindern zu finden oder dass es gelungen ist, mit einem Netz-Leiter-Modell die Anzahl an höherwertigen Abschlüssen an allen Schulen zu erhöhen und die Anzahl an Kindern, die die Schule verlassen mussten, durch funktionierende Förderpläne deutlich reduziert haben. Das trägt dazu bei, dass Solingen für junge Familien nicht zuletzt wegen seiner guten Schulen besonders attraktiv ist!

Welche Rolle hat der Sprecherrat in der Solinger Schullandschaft?

Joachim Blümer: Alleine die Tatsache, dass in dieser Stadt seit vielen Jahren die Schulformen miteinander statt übereinander sprechen, unterstreicht die Rolle des Gremiums. Es geht um den Bildungsstandort Solingen und nicht um die Interessen von Einzelschulen. Aber das kann nur funktionieren, wenn sich alle auf Augenhöhe beraten können. Das leistet der Solinger Sprecherrat seit über zwanzig Jahren.

Petra Ehrenfeld: Die Vernetzung der Primarstufe mit den Sekundarstufen unterstützt die Bildungsbiografie eines jeden Schulkindes, indem Übergänge gleitend gestaltet werden können und für jedes Kind der bestmögliche Bildungsort gefunden werden kann. Abgebende und aufnehmende Systeme müssen voneinander wissen, „wie sie ticken“. Hier ist der Sprecherrat ein wichtiges Bindeglied. Dies gilt auch für die Vernetzung des Elementarbereichs und der Primarstufe, die von den Grundschulen und den Kindertagesstätten ebenso gepflegt wird.

Warum ist es sinnvoll, das Gremium jetzt mit zwei Vertretern verschiedener Schulformen zu repräsentieren?

Joachim Blümer: Es gab bisher offiziell keinen Sprecher, obwohl wir mit dem Gründungsschuleiter Peter Wirtz jemanden in unseren Reihen hatten, der das oft und gut übernommen hat. Das möchten wir fortsetzen. Die Entscheidung zu einem Duo haben wir bewusst getroffen, auch weil die Themen der Grundschulen oft andere sind als die der weiterführenden Schulen. Aber auch für andere Bereiche gibt es Fachleute, wie Michael Becker der sich seit Jahren erfolgreich um die Digitalisierung kümmert.

Peter Wirtz: Der Sprecherrat funktioniert nur als gemeinsames Gremium. Die beiden neuen Sprecher haben dabei die Funktion, die gemeinsamen Entwicklungslinien für alle Schulen zu finden und die parteipolitischen Bevorzugungen der jeweiligen Lieblingskinder bei den Schulformen auszugleichen; dies setzt voraus, dass einzelne Schulegoismen auch untereinander angesprochen werden müssen. Ein Beispiel: Es geht nicht und ist nach meiner Auffassung auch nicht mit dem europäischen Recht vereinbar, dass eine Schulform von der Inklusion und Förderung von Kindern mit Handicaps durch Landesvorgaben ausgenommen wird. Petra Ehrenfeld für die Grundschulen und Joachim Blümer für die weiterführenden Schulen verfügen gemeinsam über langjährige Erfahrungen wie es gelingen kann, durch gemeinsame Zielentwicklungen für die Bildungsregion die Stadt und ihre Schulen nach vorne zu bringen.

Petra Ehrenfeld: Um die Ansprechbarkeit des Sprecherrates und die Kommunikationswege zwischen Sprecherrat und Verwaltung zu unterstützen, ist es sinnvoll, zwei Personen zu benennen, die einerseits die zwanzig Schulen der Primarstufe und anderseits die weiterführenden Systeme in Solingen repräsentieren.

Wie steht es um den Platzbedarf in der Sekundarstufe I?

Joachim Blümer: Die Schülerzahlen steigen stetig, wir sind eine wachsende Stadt. Das ist gut so, benötigt aber rechtzeitig den erforderlichen Schulraum. Das sollte vorausschauend geplant und umgesetzt werden. Wir dürfen jetzt nicht den Fehler begehen, dass zeitliche Verzögerungen und Finanzierungslücken von den Verantwortlichen mit Corona erklärt und begründet werden. Die Beschlüsse, die der Rat 2019 vorausschauend auf den Weg gebracht hat, müssen in ihrem Zeitplan realisiert werden, um nicht in wenigen Jahren vor einem unlösbaren Problem zu stehen. Dann wäre es zu spät.

Peter Wirtz: Die Expertise des Sprecherrates zu nutzen und dies mit den Verantwortlichen des Rates und der Fachausschüsse zu verbinden, dafür ließe sich das Gremium der Bildungskonferenz deutlich aktivieren. Das Potenzial der Solinger Schulen für die Zukunftsaufstellung der Stadtgesellschaft zu nutzen, die Standorte zu stärken und gemeinsame Ziele zu entwickeln, dafür ist der Austausch ohne Bühne mit den politisch Verantwortlichen wichtig. Im Lenkungskreis der Bildungskonferenz wird der Sprecherrat durch Petra Ehrenfeld und Andreas Tempel vertreten sein.

Sprecherrat

Gremium: Der Sprecherrat der Solinger Schulleiter besteht seit mehr als 20 Jahren.

Mitglieder: Ulrich Nachtkamp (Gymnasien), Joachim Blümer (Realschulen), Alexandra Ohler (Sekundarschule), Andreas Tempel (Gesamtschulen), Rainer Semmler (Förderschulen), Michael Becker (Berufskollegs), Petra Ehrenfeld und Sabine Riffi (Grundschulen).

Der digitale Unterricht in den Schulen der Klingenstadt läuft noch nicht optimal.

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