Verkehr
Mobilitätskonzept: Fahrradstreifen, Gehweg, Parkplätze - Was wünschen sich Solinger?
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Wie sind die Bedürfnisse unterschiedlicher Verkehrsteilnehmer unter einen Hut zu bekommen? Alle sollen mitreden können.
Von Manuel Böhnke
Solingen. Fahrrad- sowie Gehwege in beide Richtungen, zwei Fahrstreifen und Parkmöglichkeiten an jeder Seite – so sähe eine Straße aus, die den Bedürfnissen aller Verkehrsteilnehmer gerecht wird. Das Problem: Sie müsste 21 Meter breit sein. Diese Voraussetzung ist in Städten wie Solingen kaum zu erfüllen. „Es wird nicht alles gehen“, betont Michael Vieten. Die Aufgabe des Gutachters der Ingenieurgesellschaft Stolz ist es, die ungleichen Interessen unter einen Hut zu bekommen. Das Neusser Unternehmen erstellt das Integrierte Mobilitätskonzept für Solingen (IMKS). Der Plan ist ehrgeizig: „Es geht um ein Zukunftsbild für die ganze Stadt, an der sich zukünftige Projekte orientieren. Deshalb ist es wichtig, so viele Menschen wie möglich mitzunehmen.“
Die Ziele des Prozesses leiten sich aus der 2018 verabschiedeten Nachhaltigkeitsstrategie ab. Dazu zählen, emissionsfreie oder -arme Fortbewegungsmittel zu fördern, den Umweltverbund – also das Zusammenspiel klimafreundlicher Verkehrsmittel – zu stärken sowie die Infrastruktur umwelt- und nutzerfreundlich auszubauen. Was nicht bedeutet, Autos zu verbannen, wie Vieten betont: „Unsere Aufgabe ist, jedem zu ermöglichen, gut von A nach B zu kommen.“
Dabei starte Solingen nicht bei null, sagt Claudia Seyfried. Die Leiterin des Stadtdienstes Planung, Mobilität und Denkmalpflege erinnert an das seit 2013 bestehende Radverkehrskonzept, die Fortschreibung des Nahverkehrsplans sowie das von der Politik beauftragte Parkraumkonzept. Nun gehe es darum, eine Grundsatzdiskussion zu führen, ergänzt Andreas Budde. Stehe eine breite gesellschaftliche Basis hinter den Leitlinien des IMKS, könne das Streit bei einzelnen Maßnahmen vermeiden – beispielsweise bei der Frage, wie viele Parkplätze wegen eines neuen Radwegs wegfallen. Das erhofft sich der parteilose Planungsdezernent zumindest.
Früher seien Verkehrsentwicklungspläne verwaltungsintern erstellt worden. „Das ist nicht mehr zeitgemäß. Wir wollen niemandem etwas überstülpen. Alle sollen sich mit den Ergebnissen identifizieren können“, betont Projektleiterin Patricia Reich.
Deshalb ist die Beteiligung der Öffentlichkeit ein zentraler Baustein der ersten Phase. Sie beginnt im Mai mit einer Auftaktveranstaltung und wird bis zum Jahresende dauern. Neben einer Bestandsaufnahme ist eine regelmäßige Beteiligung der Politik Teil des Prozesses. Zudem sind Workshops mit unterschiedlichen Beteiligten vorgesehen.
In der zweiten, bis Mitte 2024 angesetzten Phase geht es darum, Handlungskonzepte zu entwickeln, ehe die Politik das IMKS beschließen muss. Ein Schwerpunkt des Konzeptes wird die Flächenaufteilung zwischen den Verkehrsteilnehmern sein. Damit hängen „Vorbehaltsnetze“ zusammen. Die Idee: Es werden leistungsstarke Achsen für bestimmte Fortbewegungsmittel definiert. Das sei wegen der Platzkonflikte notwendig, sagt Michael Vieten. Es brauche jeweils eine Abwägung, ob die auf einer bestimmten Strecke zum Beispiel eher zugunsten des Rad- oder des Autoverkehrs ausfällt. „Nicht alle Straßen sind vorrangig für alle da.“
Konkrete Maßnahmen, daran lässt der Gutachter keinen Zweifel, werde das IMKS nicht bis ins Detail durchspielen. Wohl aber Steckbriefe für einzelne Projekte erstellen, um zu zeigen, wie es gehen könnte. „Wir wollen grundlegende Lösungsansätze liefern.“ Dabei könnte es etwa darum gehen, in welchen Bereichen es sinnvoll ist, den Fußverkehr zu stärken. Ein weiterer denkbarer Anwendungsfall: „Man könnte zu dem Schluss kommen, dass es gut ist, gewisse Zonen bei der Parkraumbewirtschaftung anzugleichen.“
„Integriert“ ist dabei ein wichtiges Stichwort. Denn bei Mobilität gehe es auch um Stadtplanung. Zudem sei das Thema sehr individuell – die Bedürfnisse der Solinger weichen voneinander ab. Für sie alle, betont Claudia Seyfried, soll sich die Lebensqualität verbessern.
Kosten
Die Ingenieurgesellschaft Stolz erarbeitet das Integrierte Mobilitätskonzept für die Klingenstadt Solingen (IMKS). Kommunikativ begleitet wird der Prozess von einer Tochtergesellschaft des Neusser Unternehmens, der P.3 Agentur für Kommunikation und Mobilität GmbH. Die Kosten für das Projekt betragen 150 000 Euro – 80 Prozent decken Mittel aus der Förderrichtlinie Mobilitätsmanagement ab.
Standpunkt von Manuel Böhnke: Nicht an der Lebenswirklichkeit vorbei
Zitat: „Das Ziel eines integrierten Mobilitätskonzepts ist es, ein integriertes Handlungskonzept mit grundlegenden Lösungsansätzen zur Sicherung einer nachhaltigen Mobilitätsentwicklung aufzustellen und zu realisieren.“ Diese Definition haben Stadt und Ingenieurgesellschaft Stolz gestern bei der Vorstellung des Fahrplans zum Integrierten Mobilitätskonzept (IMKS) geliefert.
Na, kommt man da nicht in Stimmung, in einem „Workshop-Prozess“ über die Entwicklung von „Vorbehaltsnetzen“ und „Leitbildern“ zu diskutieren? Eher nicht. Das ist ein Problem. Denn dass die Verantwortlichen auf dem Weg zum IMKS viele Solinger mitnehmen wollen, ist löblich.
Doch es genügt nicht, die Möglichkeit zum Mitmachen einzuräumen. Die bisweilen komplizierte, im Regelfall unkonkrete Sprache der Stadtplaner und die häufig kaum greifbaren Inhalte wirken wenig einladend. Wer sich eine breite Beteiligung wünscht, muss sicherstellen, dass der Prozess nicht an der Lebenswirklichkeit der meisten vorbeigeht.