Mein Blick auf die Woche in Solingen

Meinung: Von Gipfel zu Gipfel ins Tal der Tränen 

stefan.kob@solinger-tageblatt.de
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Das Klischee vom gemütlichen, überversorgten Beamten ist ein Zerrbild. Vielmehr ist die mit Aufgaben vom Bund überladene Stadtverwaltung bei der Flüchtlingskrise äußerst zupackend. Doch die Leistungsfähigkeit könnte bald ihr Limit erreichen und die Stimmung in der Gesellschaft dann kippen, befürchtet Chefredakteur Stefan M. Kob.

Solingen. Solange es einen öffentlichen Dienst gibt, solange werden Witze darüber gerissen. Wie der vom Beamtenmikado: Wer sich als Erster bewegt, hat verloren. Solcher Spott bezieht sich undifferenziert auf alle Staatsdiener und hat vor allem eins gemein: das Klischee vom faulen und leistungsunwilligen, gleichwohl überversorgten Beamten. Dass das so wohl nicht ganz stimmen kann, führt uns die aktuelle Tarifauseinandersetzung vor Augen. Was alles nicht klappt, wenn Beschäftigte im öffentlichen Dienst für ihre – in diesem Fall völlig überzogenen – Forderungen streiken, erleben wir Bürger gerade am eigenen Leib, wenn die Busse nicht fahren, die Kita geschlossen bleibt, der Müll nicht abgeholt wird.

Da ist es schon mal gut, dass Beamte nicht streiken dürfen, sonst wären wohl noch ganz andere Lebensbereiche betroffen. Aber der verärgerte Bürger, der beim Antrags-Marathon durch diverse Amtsstuben mit seinen existenziellen Sorgen womöglich gescheitert ist, pflegt als Klischee natürlich die Beamtenwohlfühloase mit staubigen Aktenordnern, Gummipalme und fleckiger Teetasse. Sowas gibt es sicher, ist vor allem aber ein Zerrbild, das besonders gerne bedient wird, wenn die überschuldete Stadt Solingen ihren Personalstamm erneut um 100 weitere Stellen aufblähen will und insgesamt 23 Millionen Euro Mehrkosten einplant. Der zuständige Dezernent Jan Welzel begegnet dem Vorwurf der personellen Misswirtschaft mit dem Hinweis auf eine Kostenquote von 22,39 Prozent – alles unter 25 Prozent gilt wohl in Verwaltungskreisen als sparsam.  

Dennoch darf man schon davon ausgehen, dass der Höchstgrad an Effizienz, digitalisierten Arbeitsabläufen und flexiblem Personaleinsatz im Rathaus noch nicht erreicht ist. Es stimmt allerdings auch, dass das in der Privatwirtschaft manchmal nicht anders ist. Mit einem feinen Unterschied: Ein Unternehmen, das bei seinen Effizienzbemühungen schludert, verabschiedet sich irgendwann aus dem Markt. Eine Stadt erhöht die Grund- und Gewerbesteuern. Da darf man bald besonders bei der Grundsteuer gespannt sein: Hält die Stadt ihr Versprechen, dass sich durch die neuen Bewertungsmaßstäbe das Grundsteueraufkommen insgesamt nicht erhöht, nur anders verteilt?

Davon einmal völlig abgesehen: Der Hinweis von Welzel ist und bleibt richtig, dass die Stadt zusätzliche Kräfte braucht, weil Bund und Land sie bei der Bewältigung der größten Herausforderung für unsere Gesellschaft allein lassen – der Flüchtlingskrise. Abhilfe sollte der Flüchtlingsgipfel bei Bundesinnenministerin Nancy Faeser bringen, doch der war eher ein Tal der Tränen. Nun gipfelten die 16 Ministerpräsidenten der Länder erfolglos. Die sehen – logisch – den Bund in der Pflicht, sich mindestens zur Hälfte an den Flüchtlingskosten zu beteiligen. Derzeit sind es in NRW 16 Prozent. Was liegt also näher, als zum probatesten Mittel der Krisenbewältigung zu greifen: zu einem Gipfel. Den gibt es dann im Mai.

Derweil schreiben sich die Kommunen mit Brandbriefen die Finger wund. Denn seit einiger Zeit kommen zwar weniger Flüchtlinge aus der Ukraine, dafür steigt die Zahl der Schutzsuchenden aus Syrien, Afghanistan, Türkei oder Iran wieder stark an. Noch schaffen es die Solinger, auch dank einer leistungsfähigen Stadtverwaltung, die Platznot ohne Zelte und Turnhallen zu bewältigen. Doch wie lange noch? Schlechtestes Beispiel ist Lörrach. In der baden-württembergischen Stadt sollen in einem Quartier 40 „normale“ Mieter in modernere Wohnungen umziehen, um Platz für Flüchtlinge zu schaffen. Lörrach illustriert auf furchtbare Weise, wie hilflos und alleingelassen Städte dem Ansturm ausgesetzt sind. Und dass es so nur noch eine Frage der Zeit ist, bis die Stimmung im Land kippt.  

Unsere Themen in dieser Woche 

Die Schockwellen der Galeria-Kaufhof-Schließung hat Solingen schon lange hinter sich. Wie geht es aber weiter mit dem Kaufhof-/P&C-Gebäude

Das Schulexperiment Sekundarschule ist schon wieder beendet – und schafft Handlungsspielräume für eine komplett neue Schule im Stadtgebiet. Wir sagen wann und wo. 

Gute Nachricht fürs Ittertal: Sechs Millionen Euro stehen für Sanierung und Ausbau an. Was ist mit dem Geldsegen geplant? 

Wo es die beste Pizza in Solingen gibt, ist nun geklärt: Bei der Deutschen Meisterschaft der Pizzabäcker holte Solinger den zweiten Platz. 

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