Gesellschaft muss sich umstellen
Katastrophenschutz in Solingen wird Millionen kosten
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Die Stadt unterstützt Forderungen nach Bedarfsplänen. Die Politik ist mit ersten Schritten zufrieden.
Von Björn Boch und Kristin Dowe
Solingen. Die Verantwortlichen der Stadtverwaltung unterstützen die Forderungen nach Bedarfsplänen im Bereich des Katastrophenschutzes. „Ich würde das grundsätzlich befürworten, wenn man die Kommune mit der Finanzierung dann nicht alleine lässt. Die Gesellschaft muss dafür Ressourcen schaffen“, erklärt Jan Welzel (CDU), Ordnungsdezernent und Leiter des Krisenstabs, im Gespräch mit dem Tageblatt. Und sagt voraus: „Das wird auch für eine Stadt wie Solingen Millionen kosten.“
Eine solche Katastrophenschutz-Bedarfsplanung fordert unter anderem das „Kompetenzteam Katastrophenschutz“, das von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) nach dem Hochwasser vom Juli 2021 mit einer Bestandsaufnahme beauftragt worden war. Diese solle die Einsatzplanung zur eigentlichen Katastrophenbewältigung ergänzen. Doch auch diese Einsatzplanung müsse harmonisiert werden: „Führungsstrukturen und -abläufe müssen ebenso einheitlich sein wie die Bezeichnungen von Führungsfunktionen und Prozessen“, heißt es im Abschlussbericht des Kompetenzteams. Auch die Grünen-Fraktionschefin im Landtag, Verena Schäffer, hatte im ST angekündigt, den Katastrophenschutz in der kommenden Legislaturperiode durch solche Bedarfspläne stärken zu wollen.
Aus Sicht der Solinger Verantwortlichen geht es bei der Planung unter anderem um die Frage, wie viele Tanklager befüllt und ob Speisevorräte geschaffen werden müssen – oder darum, über wie viele Notstromaggregate die Stadt planmäßig verfügen soll. „Ich halte so einen Katastrophenschutzbedarfsplan für richtig und geboten. Denn wir haben einen Paradigmenwechsel in unserer Gesellschaft“, so Welzel – durch die Flut im Sommer ebenso wie durch Russlands Krieg gegen die Ukraine. Die Veränderung zeige sich nicht zuletzt daran, dass das Wort „Katastrophe“ im behördlichen Sprachgebrauch nach dem Kalten Krieg kaum verwendet worden sei – stattdessen sei von „Großschadensereignissen“ die Rede gewesen.
„Wir organisieren uns neu, aber es werden auch neue Planstellen geschaffen.“
Feuerwehrchef Dr. Ottmar Müller plädiert bei einer Neufassung des Gesetzes über den Brandschutz, die Hilfeleistung und den Katastrophenschutz (BHKG) außerdem für ein „standardisiertes Vorgehen der Kommunen“. Denn: „Was nützt es uns, wenn wir einen großen Stromausfall haben und eine Stadt für 14 Tage Stromvorräte besitzt und die Nachbarstadt nur für fünf? Eine Änderung des BHKG könnte da sehr helfen.“ Ziel müssten einheitliche Standards für alle sein.
Erste Schritte hat die Stadt bereits selbst unternommen. In der neu zu schaffenden Abteilung Katastrophen- und Zivilschutzmanagement, die formal der Feuerwehr unterstellt ist, werden laut Dr. Müller circa zehn Personen arbeiten, wobei einige Stellen lediglich umgeschichtet würden. „Wir organisieren uns neu, aber es werden auch neue Planstellen geschaffen.“ Zunächst werde intern geplant, dann gehe die Stadt auf die Partner zu, etwa auf Verbände und die Nachbarstädte.
In der Lenkungsgruppe „Zivile Verteidigung und Katastrophenschutz“ unter der Leitung des Beigeordneten Jan Welzel sind Verantwortliche aller Organisationen der kritischen Infrastruktur vertreten, etwa die Stadtwerke mit ihren Teilbetrieben für Wasser und Elektrizität sowie Verkehr, die Technischen Betriebe, das Klinikum oder die Kernverwaltung. Grundsätzlich werde der Katastrophenschutz in Solingen einen dezentralen Ansatz verfolgen, bei dem jede Einheit einen klaren Zuständigkeitsbereich habe, aber alle Organe eng miteinander verzahnt seien. Welzel: „Jeder macht, was er am besten kann – und das wird gut koordiniert. Diese dezentrale Logik hat sich auch in der Corona-Pandemie bewährt.“
Für den Fall einer Katastrophe sollten Bürger selbst vorsorgen
Auf politischer Ebene hatten SPD-Fraktionschefin Iris Preuß-Buchholz und ihr FDP-Kollege Jürgen Albermann im Hauptausschuss die Debatte vorangetrieben. „Uns war wichtig, dass Katastrophenschutz nicht nur Hochwasserschutz bedeutet. Jan Welzel hat eindeutig beantwortet, dass dem nicht so ist“, erklärt Preuß-Buchholz. Sie begrüßt, dass unter anderem Sirenen reaktiviert werden sollen. Sie und Albermann betonen, dass die ersten Schritte der Verwaltung überzeugend seien. „Wir wollen keine Panik verbreiten, aber es ist richtig und wichtig, dass Stadt und Verwaltung sich Gedanken machen“, sagt Jürgen Albermann. Das zeigten nicht zuletzt zahlreiche Anfragen verunsicherter Bürgerinnen und Bürger seit Beginn des Krieges in der Ukraine.
Kompetenzteam
Das Kompetenzteam Katastrophenschutz hat seinen Abschlussbericht wenige Tage vor Beginn des Ukrainekrieges veröffentlicht. Ausschlaggebend war das Juli-Hochwasser, 13 Experten aus Organisationen und Verbänden berücksichtigten aber auch Extremereignisse wie Waldbrände, Stürme, Dürren, Ausfälle kritischer Infrastrukturen und Bedrohungen wie Cyberangriffe.
Abschlussbericht online (Pdf-Datei)
Standpunkt: Schützen wieder lernen
Von Björn Boch
Wer dieser Tage mit Menschen zum Thema Katastrophenschutz spricht, wird oft in die Vergangenheit mitgenommen – in die Zeit der aktiven Wehrpflicht und, noch früher, der wöchentlichen Sirenenübungen. Es gab Vorräte, Ausrüstung, Infrastruktur – aber seit Jahrzehnten keinen Grund, das alles teuer zu unterhalten. Russlands Krieg in der Ukraine führt ebenso zu einem Umdenken wie die Flut vor gut neun Monaten. Es war und ist gut, dass untersucht wird, welche Fehler gemacht wurden und wie wir künftig vor Naturkatastrophen agieren, bevor wir nur noch reagieren können. Wahr ist aber auch, dass wir verlernt haben, die Möglichkeit solcher Unglücke – und Kriege – überhaupt in Betracht zu ziehen. Beispiel Solingen: Einige Kommentatoren in den sozialen Medien waren noch am 14. Juli bester Laune, obwohl die Feuerwehr bereits in Unterburg stand: „Wird schon nicht so schlimm werden.“ Es kam anders. Ja, der Staat muss wieder lernen, uns besser zu schützen – und dafür viel Geld in die Hand nehmen. An der Debatte, wo das herkommen und wo es hinfließen soll, müssen wir uns aktiv beteiligen. Parallel müssen wir uns aber auch selbst vorbereiten.