Bühne
Jens Neutag hält bitterernste Plädoyers für mehr Gerechtigkeit
aktualisiert:
- 0 Kommentare
-
Feedback
schließen
- Weitere
Walder Theatertage präsentierten Kabarett in der Ohligser Festhalle.
Von Jutta Schreiber-Lenz
Für den zweiten Teil nach der Pause versprach Jens Neutag „mehr Humor“ und hielt Wort. Parodien auf Karl Lauterbach, Bemerkungen über Schottergärten und zu große Trampolinkäfige auf zu kleinen Reihenhausgrundstücken entlockten dem Publikum herzliche Lacher. Nicht, dass es in den ersten 50 Minuten seines Programms „Allein – ein Gruppenerlebnis“ keinen Grund zum Lachen gegeben hätte. Dafür ist Neutag zu sehr Meister des scharfzüngigen Wortwitzes, zu gut darin, Fakten so anzuspitzen, dass sie ihre groteske und damit buchstäblich lächerliche Wirkung entfalten. So auch am Samstagabend in der Ohligser Festhalle, als er als Teil der Walder Theatertage vor rund 120 Zuhörern Politik wie Gesellschaft kritisch und nachdrücklich hinterfragte.
Selbstfindung mit Alleinseinin einer Gruppe
„Besser nicht regieren, als falsch regieren“, zitierte er beispielsweise geradezu genüsslich den heutigen Finanzminister Christian Lindner (FDP) mit seiner legendär gewordenen Begründung, die Koalitionsverhandlungen 2017 platzen zu lassen, mit denen eine „Jamaika“-Regierung möglich gewesen wäre. Neutags angefügter lapidarer Satz – „Ich stimme ihm heute zu“ – war da kaum noch nötig, um im Publikum Gelächter zu erzeugen.
Gerade aber der erste Teil seines „Survivaltrips in der Natur“, den er sich nach überstandener Corona-Zeit zur weiteren Selbstfindung verordnet hatte, um „allein in einer Gruppe“ die vergangenen Krisen zu verarbeiten, geriet streckenweise zu bitterernsten Plädoyers für mehr Gerechtigkeit. Und ließ das Publikum zwar ernst gemeint applaudieren – das Lachen aber blieb entweder ganz weg oder sehr schnell im Hals stecken.
Zu deutlich war die glasklare Gegenüberstellung von Verdiensten in der Pflege oder bei der Kindererziehung und den Summen, die zum Beispiel im Immobiliensektor fließen. Bitterböse mutete die dezidierte Aufstellung von Arbeitsschritten und deren Vergütung an, für die eine Pflegekraft bei der Assistenz des Toilettengangs bezahlt wird. „5,41 Euro“ war schließlich die Zahl, die Neutag wie ein Trompetensignal durch den Saal schickte, und an der er sich nachdrücklich abarbeitete. Ähnlich emotional gerieten seine Ausführungen über Afghanistan. Dicht und anklagend führte er den Unsinn des kriegerischen Unternehmens aus und prangerte Versagen und Arroganz der Politik an.
Allein sein Outfit, ein gut geschnittener Anzug mit Krawatte im konsequenten Militär-Muster, provozierte und deutete auf die für Neutag offensichtlichen Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten. Es gab viel Applaus für einen nachhaltig wirkenden Abend.