Ein Jahr nach der Flut
Das Protokoll einer Katastrophe im Juli 2021
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Innerhalb von 24 Stunden hat das Hochwasser das Stadtbild Solingens verändert – ein Toter war zu beklagen. Die wichtigsten Momente im Überblick:
Solingen. In den Abendstunden des 13. Julis rückt das Tief „Bernd“ mit ersten Ausläufern auf Solingen zu. Starker Regen setzt ein. Ab 23 Uhr rücken die Kräfte der Berufsfeuerwehr zu ersten vollgelaufenen Kellern aus. Der Deutsche Wetterdienst warnt für den kommenden Tag vor Starkregen mit 100 Litern Wasser pro Quadratmeter, teilweise darüber. Ob und wie es Solingen treffen wird ist da noch unklar.
Mittwoch, 14. Juli
Nachts Die Feuerwehr fährt weitere Einsätze, die Niederschläge lassen nur kurz nach.
8 Uhr Zur ersten Bilanz der Feuerwehr gehört, dass im Heidebad die Technikräume vollständig überflutet wurden. Die Feuerwehr pumpt sie leer.
8.30 Uhr Wupperverband und Solinger Feuerwehr sind in erstem Kontakt. Der Verband gibt sich ob der erwarteten Niederschläge noch entspannt.
Vormittag Der Regen ist stark, teilweise sintflutartig und die Pegel der Wupper und Bäche haben steigende Tendenz. Jedoch zeichnet sich das Jahrhunderthochwasser noch nicht ab.
12.30 Uhr Die Feuerwehr sperrt zur Sicherheit den Parkplatz Wupperinsel in Unterburg nach Rücksprache mit dem Wupperverband. An der Eschbachstraße hält der neue Hochwasserschutz. Bachaufwärts beginnt die Feuerwehr um 13.30 Uhr damit, eine Firma mit Sandsäcken gegen eine mögliche Überflutung zu schützen.
15.30 Uhr Der Regen nimmt immer mehr zu. Das zeigt sich an vielen Straßen, die Kanäle können die Regenmengen nicht mehr überall aufnehmen. Gleiches gilt für die Waldböden. Sie waren bereits zu 95 Prozent durchfeuchtet und lassen das Regenwasser ungebremst in Bäche und schließlich in die Wupper laufen. Ohne die Feuerwehr darauf vorzubereiten oder darüber zu informieren, erhöht der Wupperband das Ablassen aus Talsperren in die Wupper, weil die Stauwerke volllaufen.
17 Uhr Die Ereignisse überschlagen sich in den kommenden zwei Stunden. Die Wupper tritt bereits an ersten Stellen deutlich über die Ufer. Das Gleiche gilt für die Bachzuläufe, die zu reißenden Flüssen werden. Der Starkregen prasselt unaufhörlich auf viele Gebiete der Stadt und soll erst in den Abendstunden abziehen.
19 Uhr In Unterburg hält der Hochwasserschutz des Eschbachs nicht mehr, der Bach ergießt sich in den Stadtteil. Längst steht die Wupper so hoch, dass sie den Pegel des Bachs zusätzlich hebt. Erste Evakuierungen beginnen, so in der Seniorenresidenz an der Eschbachstraße. Im Rathaus ist der Krisenstab zusammengetreten. OB Kurzbach kommt zur Wupperbrücke in Burg und bespricht sich mit der Feuerwehr.
21 Uhr Das Hochwasser hat nun auch Glüder, Balkhausen, Wupperhof, Rüden, Fähr, Wipperaue, Haasenmühle und im Stadtgebiet Gräfrath, Ittertal und Caspersbroich erreicht. In der Kohlfurth ist die Wupper da bereits weit über die Ufer getreten und hat etwa weite Teile der Firma Berger-Gruppe überflutet. Das Regenwasser drückt stadtweit auch in Keller, wo man so etwas nie erwartet hätte. Doch der Höhepunkt des Hochwassers ist noch nicht erreicht. Feuerwehr und Polizei bereiten die Evakuierung von Unterburg vor, ein Notquartier in der Schule Schützenstraße wird organisiert, Busse rollen an.
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21.37 Uhr Der Wupperverband meldet sich erstmals seit dem Mittag bei der Solinger Feuerwehr. Die Ablassmenge aus der Wuppertalsperre werde auf 230 Kubikmeter Wasser pro Sekunde, normal sind um die 20, erhöht. Am Ende sind es nur knapp 200 in der Nacht, die Menge bleibt aber auch am 15. Juli bis in den Nachmittag auf diesem Niveau. Derweil hat der Regen aufgehört, es wird aber noch Stunden dauern, bis alles Wasser die Wupper erreicht hat.
22.45 Uhr In Unterburg werden die Bewohner aufgefordert, den Stadtteil zu verlassen. An der Hasencleverstraße steht da das Wasser bereits mindestens hüfthoch, an der Müngstener Straße sogar brusthoch. In Rüden und an der Wipperaue werden letzte Bewohner in dramatischen Szenen mit Leitern aus den ersten Stockwerken mehrerer Gebäude gerettet. Auch die Einsatzkräfte riskieren dabei ihr Leben.
23.30 Uhr Der Pegel der Wupper steigt nur noch leicht, hat aber längst Rekordhöhe erreicht. In Glüder sind es rund 4,50 Meter – sonst sind es dort nur 70 Zentimeter. Die Evakuierungen laufen noch bis weit nach 1 Uhr an allen Bereichen der Wupper. Auch erst in der Nacht können letzte Bewohner aus der Burgresidenz gerettet werden, dazu musste eine Wand geöffnet werden und spezielle Rettungsboote kamen zum Einsatz.
Donnerstag, 15. Juli
Nachts Der Pegel der Wupper fällt nicht, das Hochwasser kann stundenlang seine Zerstörungskraft fortsetzen. Viele der Evakuierten kommen privat unter, doch auch das Notquartier an der Schützenstraße wird genutzt und wird von Hilfsorganisationen betreut.
Morgen Der Regen ist einer grauen Wolkendecke gewichen. Die Zerstörung wird sichtbar. An den Wupperbrücken hängen Wohnwagen vom Campingplatz Glüder und unzählige Baumstämme und Äste als Zeichen der Kraft der Fluten. Viele Straßen sind gesperrt. Das Wasser ist noch nicht zurückgegangen.
Mittag Erste Sonnenstrahlen künden von einem Sommertag. Die Pegel beginnen, langsam zu sinken. Die Kotten in Balkhausen und Wippe stehen noch unter Wasser. Überall stehen Menschen, denen das Unbegreifliche der Nacht in die Gesichter geschrieben steht.
Nachmittag Die Pegel sind so weit gefallen, dass sich erste Bewohner damit beschäftigen, nasses Inventar und aufgeweichten Hausrat aus den Kellern und Gebäuden zu schaffen. Überall ist brauner Schlamm als Decke über Feldern, Straßen und in den Häusern zu sehen. Der muss weg, bevor er betonhart wird.
Freitag, 16. Juli
Wupper und Bäche sind in ihre Betten zurückgekehrt, das Ausmaß an Treibgut wird sichtbar. Überall beginnen die Anlieger der betroffenen Gebiete mit den Aufräumarbeiten. Eins ist gewiss: Die Schäden gehen in die Millionen. Programme zur Ersthilfe wie das der Gerd-Kaimer-Bürgerstiftung oder das des Landes NRW starten in den nächsten Tagen. Feuerwehr und Technische Betriebe (TBS) setzen erste Instandhaltungsarbeiten fort. Rüden und Wipperaue sind nicht erreichbar, Unterburg auch noch nicht.
Samstag, 17., Sonntag, 18. Juli
Eine riesige Welle der Hilfsbereitschaft zeigt sich. Hunderte freiwillige Helferinnen und Helfer kommen an die Wupper und Bäche und räumen mit auf. Andere versorgen diese mit Essen und Getränken. Die TBS stellen Container auf, Hilfsorganisationen und Freiwille Feuerwehr helfen, Keller müssen leergepumpt werden, erste Bautrockner – sie werden später zur Mangelware – werden aufgestellt. Auch in den Wochen nach dem Hochwasser setzt sich die Hilfsbereitschaft fort und schafft für die Betroffenen erste Zuversicht.
Juli 2022
Noch längst sind nicht alle Schäden beseitigt. Aus dem Wiederaufbaufonds von Land und Bund könnten sich etwa 420 Hauseigentümer bedienen, ausgezahlt sind erst 25 Anträge. Brücken fehlen, Straßen müssen noch saniert werden. Die Folgen werden die betroffenen Solinger noch Monate, vielleicht auch Jahre weiter beschäftigen.
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Rubriklistenbild: © Michael Schütz