Räderhersteller
Insolvenzverwalter über Borbet: „Die Schließung war alternativlos“
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Seit Wochen demonstrieren frühere Mitarbeiter des Räderherstellers – nun bezieht das Unternehmen Stellung.
Von Manuel Böhnke
Solingen. Sie wollen gehört werden. Seit das Solinger Borbet-Werk geschlossen hat, veranstalten die früheren Beschäftigten tägliche Mahnwachen am Weyer, haben in der City, nahe dem sauerländischen Hauptsitz des Räderherstellers, vor dem Landtag und im Stadtrat demonstriert. Zweierlei ist immer wieder zu hören: Sie wollen ihre Stellen zurück – oder höhere Abfindungen. Beidem erteilt Marc-Philippe Hornung eine Absage: „Es gibt keine Weiterführungsmöglichkeit. Die Schließung war alternativlos.“ Das Unternehmen sei an die Insolvenzordnung gebunden. Deshalb gebe es auch mit Blick auf die Abfindungen keinen weiteren Spielraum: „Wir sind an die insolvenzrechtlich zulässige Obergrenze gegangen.“
Die Person: Als die Borbet Solingen GmbH im Dezember 2021 Antrag auf Einleitung eines Schutzschirmverfahrens gestellt hat, ist Jurist Hornung in die Geschäftsführung eingetreten. Der Insolvenzverwalter gilt als „erfahrener Restrukturierungsexperte“.
Die Vorgeschichte: In einem Ende 2017 begonnenen Modernisierungsprozess hat Borbet rund 20 Millionen Euro in Solingen investiert. Unter anderem wurde der Betrieb um rund 10 000 Quadratmeter erweitert. Das Werk platze aus allen Nähten, erklärten die Verantwortlichen im Juni 2018.
Ab August 2019 waren die Schlagzeilen weniger positiv. Es kam zu Auseinandersetzungen zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat. Borbet wollte die Arbeitnehmervertretung auflösen. Das Solinger Arbeitsgericht gab dem Antrag statt, das Landesarbeitsgericht bestätigte das Urteil im Juni 2020. Die Entscheidung begründeten die Richter unter anderem damit, dass sich der Betriebsrat geweigert habe, mit dem Personalleiter zusammenzuarbeiten. Fast zeitgleich kündigte die Firma den seit 2003 gültigen Haustarifvertrag, der eine übertarifliche Bezahlung im Schichtsystem vorsah. Ein vorgebrachter Grund: Die „extrem schwierige wirtschaftliche Situation“ in der Corona-Krise. Zu Beginn der Pandemie meldete die Borbet Solingen GmbH Kurzarbeit an. Nach dem Einbruch lag das Produktionsvolumen am Weyer im April 2021 wieder bei rund 80 Prozent, sagte der damalige Werksleiter im ST.
Die Unternehmenssicht: Dem Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung sei eine „deutliche Verlustsituation“ vorausgegangen, erklärt Marc-Philippe Hornung. Allein zwischen Anfang 2020 und Dezember 2021 habe das Minus bei 30 Millionen Euro gelegen, getragen von der Borbet GmbH als Eigentümerin. Der Jurist verweist auf die schwierige Marktsituation: hoher Kostendruck auf der einen, die krisengebeutelte Automobilindustrie auf der anderen Seite.
Ab Februar 2022 sei der Investoren- und Sanierungsprozess „intensiv vorangetrieben“ worden. Seinerzeit zeigten sich die Verantwortlichen „zuversichtlich“, eine Lösung zum Wohle des Standorts zu finden. „Dann kam der Krieg mit all seinen schrecklichen Folgen“, sagt Marc-Philippe Hornung. Die Situation habe die ohnehin schwierigen Rahmenbedingungen verschärft. Nichtsdestotrotz habe der Fokus darauf gelegen, den Betrieb und möglichst viele Arbeitsplätze zu retten. Im Raum stand einerseits, dass die Borbet-Muttergesellschaft den Standort übernimmt. Zum anderen wurden Hornung zufolge Gespräche mit mehreren externen Investoren geführt. Die dritte Variante – die Schließung des Werks – sei erst ab einem späten Zeitpunkt des Prozesses verfolgt worden.
Fest steht für den Geschäftsführer der Borbet Solingen GmbH, dass es für eine Zukunft am Weyer ein „funktionierendes Geschäftsmodell, das schwarze Zahlen schreibt“, gebraucht hätte. Zum einen hätten die Kunden in der Automobilindustrie einer Restrukturierung des Produktportfolios hin zu werthaltigen, komplexeren, profitablen Rädern zustimmen müssen. Andererseits hätten die mehr als 600-köpfige Belegschaft um 180 bis 200 Kräfte schrumpfen, die Verbleibenden auf 20 bis 25 Prozent Gehalt verzichten müssen. Ziel sei nicht Gewinnmaximierung gewesen, sondern „die Grundvoraussetzungen für ein Überleben des Standorts zu schaffen“.
Im Frühjahr 2022 ließ der Betriebsrat abstimmen: Würden die Mitarbeiter freiwillig rund ein Viertel ihres Lohns einbüßen? Die Antwortalternative lautete Werksschließung. Eine Mehrheit habe sich nicht auf einen monetären Aderlass dieser Größenordnung einlassen wollen. „Dass eine Belegschaft die Schließung vorzieht, habe ich nicht für möglich gehalten, dennoch haben wir natürlich mit den Arbeitnehmern weiter verhandelt“, gesteht Hornung.
Die Gespräche mit der Arbeitnehmerseite seien „sehr intensiv und langwierig, aber letztlich von dem gemeinsamen Ziel, eine Fortführungslösung zu schaffen“, getragen gewesen. Dies führt der Geschäftsführer auch auf die Lagerbildung innerhalb der Belegschaft zurück, die den Betrieb einige Jahre beschäftigte. Die Abstimmung war auch Thema bei einer der Mahnwachen, die das ST Ende 2022 besuchte. Dort schilderten die Beschäftigten ihre Sicht: Niemand habe sich für das Aus ausgesprochen – ein Gehaltsverzicht dieser Dimension bei gleicher Arbeit sei schlicht nicht akzeptabel gewesen.
Letztlich, resümiert Hornung, endete keine der Bemühungen erfolgreich: Man habe keinen Investor für das Unternehmen gewinnen, sich nicht mit den Kunden einigen und keinen Konsens mit der Belegschaft herstellen können. „Deshalb mussten wir im Dezember das Werk schweren Herzens schließen.“
Die Muttergesellschaft: Die Borbet GmbH hat laut eigenen Angaben seit Übernahme des Betriebs im Jahr 2001 einen dreistelligen Millionenbetrag in Solingen investiert. Warum führt sie den Standort angesichts des hohen Aufwands nicht weiter? Diese Frage bleibt unbeantwortet.
Die Vorwürfe: Die IG Metall Remscheid-Solingen hat unlängst deutliche Kritik geübt: „Wir vermuten, dass eine Rettung mit Rückkehr in die Borbet-Gruppe nie gewollt war. Und eine billigere Schließung als in einer Insolvenz ist kaum möglich, da viele Arbeitnehmerrechte wie Kündigungsfristen und Abfindungsansprüche gekappt werden.“ Marc-Philippe Hornung weist das zurück. „Das ist falsch. Wir haben große Anstrengungen unternommen, um eine Lösung zu finden. Am Ende gibt es viele Gründe, warum das nicht gelungen ist. Wir haben alles Mögliche getan, den Standort zu retten“, sagt er. Auch die Auseinandersetzungen mit dem Betriebsrat und die im Vergleich zu anderen Borbet-Niederlassungen hohen Löhne seien nicht ausschlaggebend gewesen. „Letztlich konnten die Voraussetzungen für den Erhalt des Standortes in Solingen leider nicht geschaffen werden.“
Von der Belegschaft ist zu hören, lukrative Aufträge seien von der Geschäftsführung aus Solingen abgezogen und an andere, günstigere Werke vergeben worden. „Letztlich entscheiden die Kunden, wer den Zuschlag erhält. Die Restrukturierung ist nicht daran gescheitert“, entgegnet Hornung.
Die Abfindung: Die Borbet-Arbeiter konnten eine Kündigung mit Frist von maximal drei Monaten akzeptieren. Die Alternative: Der Wechsel in eine Transfergesellschaft. In dieser erhalten sie bis zu einem halben Jahr lang 80 Prozent ihres Lohns, verzichten allerdings auf die Rechtsansprüche in ihrem derzeitigen Arbeitsvertrag. Beide Varianten eint, dass die Abfindung deutlich geringer ausfällt als im Falle einer regulären Kündigung der oft langjährigen Beschäftigten außerhalb einer Insolvenz.
Hornung sieht die Transfergesellschaft unter den gegebenen Umständen des Insolvenzverfahrens als „bestmögliches Angebot“ für die Betroffenen. Der insolvenzrechtlich zulässige Rahmen für Abfindungsleistungen wurde voll ausgeschöpft. Deshalb habe auch der Betriebsrat dieses Vorgehen mitgetragen. Er finde „fatal“, dass sich lediglich 260 Kräfte für diesen Weg entschieden haben. Es sei nicht auszuschließen, dass dies auf „falsche Informationen, die gestreut wurden“, zurückzuführen ist, etwa die Chance, dass es in Solingen doch weitergehen könnte. „Das kostet die betroffenen Mitarbeiter letztlich bares Geld.“
Die Zukunft: Nach der Schließung gehe es darum, das Anlagevermögen im Sinne der Gläubiger zu verwerten. „Auch hier gibt es einen klaren insolvenzrechtlichen Rahmen, an den wir uns halten werden“, sagt Hornung. Wie es mit dem Grundstück an der Weyerstraße weitergeht, werde sich in den kommenden Wochen und Monaten zeigen.
Zuletzt war das Borbet-Aus immer wieder Thema in der Politik. Wenn es dort noch offene Fragen gebe, „spreche ich gerne mit jedem“, sagt Marc-Philippe Hornung. Im Grunde scheint aber alles gesagt.