Interview
Henner Pasch über Solingen: „Wir leben teils in einer maroden Stadt“
Henner Pasch ist seit Juni 2021 Präsident der Bergischen Industrie- und Handelskammer.
© Christian Beier
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IHK-Präsident Henner Pasch übt im Interview deutliche Kritik am Zustand Solingens und den Abläufen im Rathaus.
Von Manuel Böhnke
Solingen. Es hat sich etwas angestaut bei Henner Pasch. „Was ist eigentlich los in Solingen? Da laufen Sachen ab, die man kaum glaubt“, eröffnet der Präsident der Bergischen Industrie- und Handelskammer (IHK) das Gespräch mit dem Solinger Tageblatt.
Herr Pasch, Sie haben die Weihnachtspause der Städte Remscheid, Solingen und Wuppertal deutlich kritisiert. Nun prangern Sie die langen Bearbeitungszeiten in den Bauämtern an. Man bekommt den Eindruck, Sie wagen sich aus der Deckung. Wie kommt es?
Henner Pasch: Es gibt zu viele Dinge, die mich stören – und das geht nicht nur mir so. Als Präsident der Bergischen IHK habe ich im Sommer viele Betriebe im Städtedreieck besucht. Dort war zu spüren: In der Unternehmerschaft brodelt es, alle beschäftigen die gleichen Themen. Es wäre bequem für mich, das nicht anzusprechen und unsere Stadtverwaltungen zu loben – ich wurde aber nicht in dieses Amt gewählt, um jemandem nach dem Mund zu reden.
Wo hakt es?
Pasch: Unsere Wirtschaft befindet sich in einem dramatischen Transformationsprozess und muss sich im weltweiten Wettbewerb beweisen. Das ist eigentlich Belastung genug. Dabei bräuchten die Unternehmen Unterstützung von Politik und Verwaltung. Stattdessen werden ihnen Steine in den Weg gelegt.
Was meinen Sie?
Pasch: Es gibt zum Beispiel einen Konsens, dass es keine weitere Flächenversiegelung geben soll, um Umwelt und Klima zu schützen. Den Bestand zu verdichten oder energetisch zu sanieren, ist teuer und kompliziert. Dabei werden Formalismen abverlangt, die es fast unmöglich machen, die Bauprojekte zu stemmen.
Dazu zählen die langen Bearbeitungszeiten von Bauanträgen, die Sie bemängeln.
Pasch: Ich kenne viele Unternehmen in Remscheid, Solingen und Wuppertal, die sich zum Standort bekennen. Die wollen hier schätzungsweise eine halbe Milliarde Euro investieren, können das aber nicht umsetzen, weil die Prozesse so wahnsinnig lange dauern. Während sie warten, erleben sie eine immense Kostensteigerung, die geplante Projekte infrage stellt. Während der Pandemie ist es uns gelungen, binnen kürzester Zeit riesige Callcenter aus dem Boden zu stampfen, um die Kontakte nachzuverfolgen. Und jetzt schaffen wir es nicht, in angemessener Zeit Baugenehmigungen zu erteilen?
Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Pasch: Wir blockieren uns selbst. Verwaltungsposten werden viel zu oft nach Parteibuch, nicht nach Kompetenz besetzt. Wir brauchen gute Leute, häufig fehlen die an Spitzenpositionen. Ich nehme Tim Kurzbach als engagierten Oberbürgermeister wahr und schätze ihn persönlich. Gerade deshalb frage ich mich: Wie kann man jeden Morgen aufstehen und versuchen, etwas in diesem Umfeld zu erreichen? Da wird man doch wahnsinnig.
Was müsste sich ändern?
Pasch: Ich habe Respekt vor der Arbeit der Menschen in Verwaltung und Politik und ich möchte ihnen in der großen Mehrheit nicht den notwendigen Gestaltungswillen absprechen. Aber wir brauchen dort mehr Menschen mit einer ausgeprägten Pack-an-Mentalität. Helfen würde auch mehr Transparenz: Wenn sich nachverfolgen lässt, an welcher Stelle ein Bauantrag festhängt, ginge mit Sicherheit vieles schneller.
Sie wirken aufgebracht.
Pasch: Wir sind dabei, unsere Standortvorteile im internationalen Wettbewerb aufzugeben. Allein in Solingen erleben wir ungeheuren Werteverzehr – das muss aufhören.
Was meinen Sie?
Pasch: Nehmen Sie beispielsweise den Alten Bahnhof: Der wurde anlässlich der Regionale 2006 mit unserem Steuergeld aufwendig saniert – heute gibt es einen Investitionsstau in Millionenhöhe, weil sich niemand um das Gebäude gekümmert hat. Der ganze Prozess ist an Intransparenz kaum zu überbieten. Wie kann das sein? Neulich war ich bei einem Handballturnier meines Sohnes in der Klingenhalle, und ich sage Ihnen: Ich habe mich in meinem Leben noch nicht so für meine Stadt geschämt. Im Inneren ist alles kaputt, der Außenbereich komplett ungepflegt. Wir dürfen nicht vergessen: Diese Halle gehört uns Bürgern.
Haben Sie weitere Beispiele?
Pasch: Ich war mit der Familie unlängst im Engelsberger Hof. Da sind nicht nur Brücken gesperrt, sondern auch Spielgeräte, überall stehen Warnbaken. Ich kenne außerdem sanierte Straßen in der Stadt, auf denen seit drei Jahren die Markierungen fehlen. Von den vielen kaputten Ampelanlagen ganz zu schweigen. Im nächsten Leben werde ich Ampelanlagenverleiher. Dieses Problem haben auch Remscheid und Wuppertal. Alle drei Städte mieten für viel Geld Ersatzgeräte an. Dass man die gemeinsam anschaffen könnte, auf die Idee kommt niemand – alle sind mit sich selbst beschäftigt.
Sie malen ein düsteres Bild.
Pasch: Wir leben teilweise in einer völlig maroden Stadt. Und das haben wir vor Ort zu verantworten, niemand sonst. Wenn ich eine Immobilie besitze, muss ich mich um die Instandsetzung kümmern. Das passiert viel zu oft nicht, schauen Sie sich nur die Schulen und Feuerwachen an. Stattdessen werden Mittel für neue Projekte wie die Gläserne Werkstatt beantragt, weil es dafür Förderprogramme gibt, für Instandhaltung aber nicht. Dann beginnt der Kreislauf von vorne. Das sind unausgegorene Entscheidungen. Wenn Unternehmer so haushalten würden, wären sie in null Komma nichts pleite.
Die Haushaltslage der Stadt lässt wenig Spielraum.
Pasch: Andere Kommunen schaffen es doch auch. Es braucht Effizienzmaßnahmen, die Verwaltung muss sich anpassen, anstatt bei jeder neuen Aufgabe zusätzliche Stellen zu fordern. Für was ist in Solingen nicht alles Geld da? Die Stadt mietet 14 Arbeitsplätze im Co-Working-Space Orangery für ihre IT-Abteilung an. Wenn man Digitalisierung ernst nehmen würde, säßen die Experten dafür nicht in einem Randstandort, sondern mitten im Rathaus. Außerdem belegen wir in der Orangery mit Steuermitteln ohne Grund Arbeitsplätze für zwei Jahre, die bergischen Unternehmen in dieser Zeit nicht zur Verfügung stehen.
Sie haben auch die Weihnachtspause der Verwaltung, die Energie sparen sollte, als unwirtschaftlich kritisiert.
Pasch: Mein Unternehmen arbeitet mit einigen Kommunen außerhalb des Bergischen Landes zusammen. Die haben Kosten und Nutzen gegenübergestellt und sind zu dem Schluss gekommen, dass es sich nicht rechnet, den Betrieb über die Feiertage einzustellen. Solingen dagegen bettelt bei jeder Gelegenheit nach Geld von Bund und Land und erdreistet sich dann, die Arbeit wegen einer ideologischen Mogelpackung niederzulegen. Da scheinen einige in einem tiefen Winterschlaf zu sein.
Was fordern Sie?
Pasch: Wir müssen uns selbstkritisch hinterfragen: Was wollen wir eigentlich? Im Moment leben wir über unsere Verhältnisse. Projekte scheitern, weil wir damit überfordert sind. Wir müssen von allen Dingen weniger machen, aber das Verbleibende, die Daseinsvorsorge, richtig.
Das klingt nicht, als seien Sie ein großer Befürworter von Projekten wie der geplanten Arena Bergisch Land in Solingen.
Pasch: Ich würde mich über eine Mehrzweckhalle freuen und insbesondere dem Bergischen HC eine angemessene Heimspielstätte gönnen. Es steht aber zu befürchten, dass das Vorhaben in den Händen der Stadt enden würde wie viele andere: Wir bauen die Halle auf Pump und wissen nach einigen Jahren nicht mehr, wie wir sie unterhalten sollen. Vielleicht haben wir nicht das Format für solche Projekte.
Zur Person
Henner Pasch ist gebürtiger Solinger. 2006 gründete der gelernte Informatikkaufmann in der Klingenstadt das IT-Beratungsunternehmen Fourtexx. 2019 übernahm er die Alina GmbH in Bad Oeynhausen. Zusammen haben die Unternehmen mehr als 50 Mitarbeiter. Seit Juni 2021 ist der 42-Jährige Präsident der Bergischen Industrie- und Handelskammer.