Heini kommt tot nach Hause
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SERIE (6) Heinrich Hucklenbroich wird erst nur verwundet, doch stirbt bald im Lazarett. Seine Mutter schreibt auf, was sie dabei empfindet.
Von Uli Preuss
Nicht alle Gefallenen aus Solingen liegen dort begraben, wo sie im 1. Weltkrieg fielen. Einige Hundert wurden in der Klingenstadt beigesetzt.
Es ist die Solingerin Anna Hucklenbroich, die uns ein berührendes Dokument aus dem 1. Weltkrieg hinterlassen hat, das dem Solinger Stadtarchiv vorliegt. Als Sohn Heinrich Anfang September 1914 in den Ardennen durch einen Gewehrschuss in den rechten Oberschenkel verwundet wird, ist die Freude zunächst groß. Hofft die ganze Familie doch, dass ihr „Heini“ bald ins Heimatlazarett nach Hilden verlegt wird und für ihn der Krieg somit vorbei ist.
Doch dem jungen Soldaten geht es wie tausenden Verwundeten dieser Zeit immer schlechter. Vor den Augen seiner Eltern stirbt er nach Wochen schlimmer Leiden im Lazarett von Diedenhofen, dem heute zu Frankreich gehörenden Thionville.
Als Anna und Peter Hucklenbroich aus der damals eigenständigen Stadt Wald zu ihrem Sohn reisen, glauben alle noch an eine Genesung. Doch ihre anfängliche Hoffnung weicht zusehends der Ernüchterung, dass der geliebte Sohn sterben wird.
Die Hucklenbroichs sehen sich plötzlich statt am Krankenbett am Sterbebett des geliebten Sohnes sitzen. Anna Hucklenbroich: „ Heini und mir wurde es zur Gewissheit, dass wir an seinem Sterbebette waren und alle Hoffnungen begraben konnten. Wieviel Tränen von Schmerz und Heimweh waren wohl in den Wochen über seine Wangen gerollt und nun war der Quell versiegt.“
Die Walderin berichtet, wie sie im Lazarett stehend begreift, dass um sie herum nur Schwerstverletzte liegen. Amputierte, Todgeweihte mit Lungendurchschüssen und vom Wundfieber Geplagte. Und sie erschrickt vor der widersinnigen Disziplin und Härte, die selbst hier gefordert wird. Ein Pfleger habe einen bedauernswerten Fieberkranken ausgeschimpft, mit seiner Jammerei blamiere er das Regiment.
Dem 23-jährigen Hucklenbroich geht es im Herbst 1914 immer schlechter. Die Tante in ihren Briefen an Nichte Maria: „Der Körper schien dem Verwesungsprozess anheim gefallen zu sein, der Geruch ist unaussprechlich. Doch Peter (Heinrich Hucklenbroichs Vater) scheint davon nichts zu spüren, denn er fiel über Heini her und küsste ihn ab wie ein kleines Kindchen . . .“.
„Ja, nehmt michmit nach Hause,flüsterte der Sterbende.“
Anna Hucklenbroich
Der Sohn leidet. Wochen später, als es zu Ende geht, schreibt die Mutter: „Ein Soldat kam gerannt, uns zu holen . . . weil es mit Heini zu Ende gehe . . . Peter sagte zu ihm (seinem Sohn) am Sterbebett: ,Schlaf ruhig, wir nehmen Dich mit nach Hause.‘ ,Ja, nehmt mich mit‘, flüsterte der Sterbende. Wir hielten seine Hände, der Tod war eingetreten, ohne, dass wir es ahnten.“
Auch alle Hucklenbroichs waren zu Kriegsbeginn euphorisch, glaubten an einen schnellen Sieg. Doch allmählich, so Anna Hucklenbroich in ihren Briefen, ahnt man die Katastrophe: „Bei den ständigen Siegesnachrichten hätten wir gewettet, in 4-6 Wochen Schluss mit dem Kriege zu haben.“ Wenige Zeilen weiter berichtet sie: „So nach und nach kamen die ersten Todesnachrichten und bei jeder Feldpost bangte man um ein Leben, das man draußen im Felde bei blutiger Schlacht wusste. . .“.
Was sie ihrem Sohn am Sterbebett versprochen hatten, hielten die Eltern. Trotz schwierigster Bedingungen schafften sie es, einen Wagen zu organisieren. Eine Odyssee beginnt. Genehmigungen werden trotz sechsmaligem Vorsprechen nur zögernd erteilt. Der Wagen mit dem Leichnam geht unterwegs kaputt, ein Pferdefuhrwerk transportiert den Sarg weiter zur Bahn. Dort erreichen die Hucklenbroichs mit dem geliebten Sohn Züge nach Köln und Ohligs. Unterwegs sieht Anna Hucklenbroich Züge voller Soldaten, die begeistert an die Front fahren.
Der Sohn wird auf dem Walder Friedhof am Rosenkamp im Spätherbst 1914 beigesetzt. Noch heute ist dort sein Grab zu sehen. Der Nichte schreibt Anna Hucklenbroich im April 1915: „Ich möchte meinen Enkelkindern, denen ich die Geschichte der Weltkriege 1914/15 erzähle, schriftliche Beweise liefern können, sonst würden sie das alles vielleicht noch für ein Märchen halten“.