Andacht im ST
Gutes Zuhören ist nicht leicht
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Theologen laden im ST zur Andacht ein – heute die evangelische Pfarrerin Bärbel Schweizer
Liebe Leserin, lieber Leser,
Können Sie gut zuhören? Wahrscheinlich kommt das auf die Situation an. Bei mir selbst spielt es zum Beispiel eine Rolle, ob mein Tag stressig ist, ich in Eile bin oder in einer Stimmung, die es gar nicht zulässt, mich auf den anderen ernsthaft einzustellen. Zum anderen hängt es von demjenigen ab, der mit mir spricht.
Vielleicht ist das jemand von der älteren Generation, der zum wiederholten Mal eine lustige, besondere oder dramatische Geschichte aus seinem reichen Leben erzählt. Vielleicht spricht mich auch ein Menschen an, der mir wichtig ist und dem ich genau ansehe, dass er bedrückt ist. Oder aber jemand erteilt mir einen weisen Ratschlag, der mir wirklich „zum einen Ohr rein und zum anderen Ohr wieder herausgeht“. Ich aber nicke verständig und artig lächelnd, weil es konfliktloser ist, als zu widersprechen.
Aber manchmal kann das Gefahren bergen. Da hören wir tagtäglich den Wetterbericht: Wolken, Sonne, Regen, Schnee und Sturm wechseln sich in unterschiedlichen Stärken ab. Wir wählen gewiss auch unsere Kleidung entsprechend oder planen Reisen gegebenenfalls anders. Und doch haben fast alle die warnenden Wetterberichte zum Starkregen im letzten Sommer nicht in ihrer vollen Bedeutung aufgenommen. Sachschäden lassen sich manchmal nicht vermeiden, aber dass wegen des Wetters in Deutschland so viele Menschen sterben und andere ihr ganzes Hab und Gut verlieren, hat vorher kaum einer für möglich gehalten.
Hören, Wahrnehmen und richtiges Einschätzen, das ist nicht leicht. Es braucht Konzentration. Es verlangt danach, dass ich mich auf das Gegenüber und seine Worte einstelle, mich in denjenigen einfühle und versuche zu deuten. Zuhören braucht manchmal auch Nachfragen: Habe ich das richtig verstanden? Und dabei reden unsere Körper mit. Wir sehen die Anspannung des anderen. Wir erkennen Unsicherheiten oder mentale Stärke. Oft genug geschieht das instinktiv. Und alles ist notwendig, um zu verstehen.
Verstehen wir zurzeit richtig, was die Politik über Krieg und Konflikte erzählt? Und dass die Worte und Warnungen gar nicht darüber verstummen wollen, wie gefährlich doch alles ist? Ist Russland wirklich aggressiv? Sind die USA die Guten? Oder reden wir uns in zumindest eine kriegerische Situation erst hinein?
Im Alten Testament steht in den Sprüchen Salomos: „Ein hörendes Ohr und ein sehendes Auge, die macht beide der Herr.“ (Sprüche Salomos 20, 12). Hier hat einer begriffen, dass es mitten in den schwierigen Worten hilft, Gott mit einzubeziehen. Was er den Menschen rät, findet sich in den Predigten und Geschichten Jesu wieder.
Ein hörendes Ohr und ein sehendes Auge, die macht beide der Herr.
Jesus war ein guter Zuhörer. Er hat sich immer in sein Gegenüber hineinversetzt, nachgefragt, auch mal provoziert, um herauszuarbeiten, was für den anderen oder die andere wichtig war. Und letztlich ist seine Antwort an den, der zurückfragt, immer dieselbe: Dass ich mich lieben und annehmen soll, wie ich bin. Dass ich mit Respekt den anderen begegne und sie in ihrer Eigenart annehme und liebe. Und das alles, weil Gott mich liebt, aber auch von mir wahrgenommen und geliebt werden will. Das ist eine ganze Menge. Das kostet Kraft im Leben. Aber die Kraft soll ich gewinnen aus dem einen Wissen, dass ich geliebt bin von Gott, wertgeschätzt und geachtet – so wie ich mit den anderen gleichermaßen umgehen soll. Wer das lebt, braucht keinen Krieg, keine Gewalt. Denn die bringen uns in unserem Leben nicht weiter, auch nicht in der Politik, auch nicht für unseren Planeten.
Wenn Christus über unser Miteinander gepredigt hat, hat er oft sein Publikum am Ende gemahnt mit dem Satz: „Wer Ohren hat zu hören, der höre!“ Vielleicht ist es heute Zeit, aufmerksam seinen eigenen Ohren zu trauen.
Meint Ihre Pfarrerin Bärbel Schweizer