Sunfire am Höhscheider Weg
Grüner Wasserstoff: In Solingen nimmt die Energiewende Form an
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Internationale Aufmerksamkeit: Solinger Firma liefert wichtige Bauteile zur Produktion grünen Wasserstoffs.
Von Manuel Böhnke
Solingen. Die Wasserstoff-Wirtschaft Deutschlands und Europas blickt zum Höhscheider Weg. Dort hat Sunfire am Dienstag seine neue Galvanik-Linie in Betrieb genommen. Damit startet die Dresdener Firma in die Serienfertigung sogenannter Elektrolyseure. Die Maschinen ermöglichen, aus erneuerbarer Energie grünen Wasserstoff oder Synthesegas zu produzieren. „Für uns ist das ein Meilenstein“, sagte Geschäftsführer Nils Aldag. Sein Unternehmen investiert mehr als 30 Millionen Euro in Aufderhöhe.
Sunfires Geschichte nimmt 2010 in Berlin ihren Ursprung. Der Rolle des Start-ups sei man längst entwachsen, sagte Aldag. Inzwischen zählt die Firma mehr als 500 Mitarbeiter in mehreren Niederlassungen, davon etwa zehn Prozent in der Klingenstadt. „Wir wollen hier und an unseren anderen Standorten substanziell wachsen“, gab der Geschäftsführer als Ziel aus. Er spricht von bis zu 250 zusätzlichen Beschäftigten, wovon 20 bis 30 auf Solingen entfallen könnten.
Dass sich Sunfire im Bergischen angesiedelt hat, ist dem Zufall zu verdanken. Seit 2020 beschäftigte sich das Unternehmen verstärkt mit Druck-Alkali-Elektrolyseuren. Die Technologie gilt als robust und verhältnismäßig kostengünstig. Beim Vorbereiten der Serienfertigung stießen Aldag und seine Mitstreiter auf die MTV NT GmbH als Zulieferer.
„Solingen weiß, wie Transformation geht.“
Der Solinger Galvanik-Betrieb war lange auf besondere Beschichtungen für Bergbautechnik spezialisiert, entwickelte zudem Lösungen für Strahlenschutzbehälter. 2015 trat Arwed Gößler in das Unternehmen ein. Weil die Nachfrage nach Bergbauausrüstung aus deutscher Produktion sank, sollte er neue Geschäftsmodelle suchen – und einen Käufer für die Firma finden.
Gößler stellte sich die Frage, ob MTV NT zukünftig selbst Elektrolyseure produzieren könnte. Nach wenigen Gesprächen entschieden die Solinger und Sunfire, zukünftig gemeinsame Wege zu gehen. Seit Ende 2021 ist MTV NT eine 100-prozentige Sunfire-Tochtergesellschaft. Arwed Gößler bleibt Chef des Standorts am Höhscheider Weg.
Das passt zu Nils Aldags Strategie. Einen neuen Standort auf der grünen Wiese zu planen, würde wesentlich mehr Zeit in Anspruch nehmen. Stattdessen sucht Sunfire Partner im Mittelstand, baut auf deren Infrastruktur, Erfahrung und Expertise auf.
Beispiel MTV NT: Am Höhscheider Weg hat Sunfire im Mai 2022 begonnen, eine bestehende Galvanik-Linie erheblich zu erweitern und weitestgehend zu automatisieren. Heute ist sie 54 Meter lang, knapp vier Meter breit, 460 Tonnen schwer und beinhaltet rund zehn Kilometer Kabel. In ihr erhalten die Bipolarplatten sowie die Elektroden – diese Bauteile bilden die Herzstücke der Elektrolyseure – ihre metallische Beschichtung. Zusammengefügt werden die Bauteile in der Schweiz sowie in Sachsen.
Mit den fertigen Maschinen können Unternehmen unter Einsatz von Strom aus regenerativen Energieträgern Wasserstoff erzeugen. „Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig“, erklärt Nils Aldag. Beispielsweise führt er den Verkehrssektor an. Auch bei der Herstellung von Stahl und Düngern könnte der grüne Wasserstoff fossile Brennstoffe obsolet machen.
Bis 2030 möchte die Europäische Kommission jährlich zehn Millionen Tonnen grünen Wasserstoffs erzeugen. Aldag zufolge wäre dafür binnen sieben Jahren ein Vertausendfachen der bisherigen Kapazitäten notwendig: „Wir wollen unseren Beitrag leisten.“
Die Bedeutung des Tages unterstrich der illustre Besuch in Aufderhöhe. Sunfire konnte nicht nur Kunden, Geschäftspartner und Investoren aus aller Welt begrüßen. Auch Vertreter von Stadt, Land, Bund und EU waren vor Ort. „Die deutsche Wasserstoff-Wirtschaft bekommt einen Schub“, betonte Till Mansmann. Dem Vertreter des Bundesministeriums für Bildung und Forschung war wichtig, dass es nach der Forschung zu grünem Wasserstoff nun an die Umsetzung gehe. Das lobte auch Mona Neubaur (Grüne). „Das passiert in Solingen, einer Stadt, die weiß, wie Transformation geht“, sagte die Landesministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie sowie stellvertretende Ministerpräsidentin Nordrhein-Westfalens.
Maive Rute, Generaldirektorin Industrie und Unternehmen der EU-Kommission, lobte Sunfire: „Es ist gut, zu sehen, dass es trotz der Krisen Firmen gibt, die vorangehen.“ Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD) nutzte die Gelegenheit, um für die Stadt zu werben. Die Solinger Wirtschaft vereine Tradition und Innovation. Die Klingenstadt sei ein „Ort des Wandels und der Transformation“. Und bald werde sie vielleicht nicht mehr nur mit Schneidwaren, sondern auch mit grünem Wasserstoff verbunden.
Leistung
Die neue Galvanik-Linie kann Teile für Anlagen mit insgesamt 250 Megawatt Elektrolyseleistung produzieren. Eine zweite für bis zu 500 Megawatt ist in Planung. Arwed Gößler hofft auf eine Inbetriebnahme Anfang 2024. Ebenfalls ist ein neues Hochregallager geplant – beide Maßnahmen erhöhen den Personalbedarf.
Standpunkt von Manuel Böhnke: Wandel als Teil der DNA
Und plötzlich ist der Höhscheider Weg Epizentrum der grünen Wasserstoff-Wirtschaft Deutschlands, vielleicht Europas. Vertreter von Stadt, Land, Bund und EU – sie alle wollten dabei sein, als Sunfire seine neue Anlage in Aufderhöhe in Betrieb nahm. Die prominenten Gäste, darunter Nordrhein-Westfalens stellvertretende Ministerpräsidentin Mona Neubaur, unterstrichen die Tragweite des Anlasses.
Sunfire möchte einer der Vorreiter bei der dringend notwendigen Energiewende sein. Dass sich das Dresdener Unternehmen bei der Wahl seines neuen Standorts für Solingen entschieden hat, ist ein sehr gutes Zeichen für die Stadt. Natürlich: Die Industrie, wie wir sie heute kennen, steht vor großen Umbrüchen. Die Ansiedlung Sunfires beweist jedoch, dass diese Transformation nicht ausschließlich mit dem Verlust von Arbeitsplätzen einhergehen muss. Ein Unternehmen, das wie MTV NT früher für den Bergbau und die Atomindustrie gefertigt hat, arbeitet jetzt an grünem Wasserstoff.
Auf lange Sicht könnte das Bergische Land als traditioneller Industriestandort von den tiefgreifenden Entwicklungen sogar profitieren. Wandel ist seit jeher fester Bestandteil der DNA der regionalen Wirtschaft.