Interview der Woche

„Es ist erschreckend, wie wenig dort los ist“

Timothy Johnstone ist Ansprechpartner für den regionalen Handel.
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Timothy Johnstone ist Ansprechpartner für den regionalen Handel.

Timothy Johnstone vom Handelsverband darüber, was Einzelhandel in Solingen gut macht - und was nicht.

Herr Johnstone, wo kaufen Sie ein?

Timothy Johnstone: Wenn ich ehrlich bin, schaue ich schon viel im Internet. Aber: Wenn das Warenangebot in der Innenstadt vorhanden ist, kaufe ich dort ein, gehe bummeln, esse ein Eis. Ein Produkt im Geschäft anfassen zu können, ist mir lieber, als eine Hose in drei Größen zu bestellen und wieder zurückzuschicken, weil sie nicht passt – auch aus Sicht des Klimas.

Wie können sich insbesondere inhabergeführte Geschäfte gegen die Online-Konkurrenz behaupten?

Johnstone: Diese dualistische Denkweise – Online-Anbieter auf der einen, stationärer Handel auf der anderen Seite – halte ich für falsch. Für Geschäftsinhaberinnen und -inhaber hat es sich als Erfolgsrezept erwiesen, ein Multi-Channel-Angebot zu etablieren. Sie präsentieren Produkte in den sozialen Netzwerken oder betreiben eine gute Website inklusive Internetshop, die in das Ladenlokal verweist. Die Kombination macht es aus.

Ist das alles leistbar?

Johnstone: Da knüpfen die Digitalcoaches NRW an, ein vom NRW-Wirtschaftsministerium gefördertes Programm des Handelsverbands. Dort erhalten Händlerinnen und Händler, die einen Onlineshop aufbauen möchten, Unterstützung. Es gibt aber auch Tipps, wie man bestehende Plattformen nutzen kann.

Entscheidend ist, das Denken zu verändern. Die Bedeutung des Themas haben die meisten im Handel erkannt – unabhängig vom Alter. Das ist wichtig, weil diese Trennung auch bei den Kundinnen und Kunden nicht mehr existiert: Es gibt Ältere, die online einkaufen, und Jüngere, die sich ein besseres Angebot vor Ort wünschen.

Wie bewerten Sie das in den bergischen Großstädten?

Johnstone: Ich war neulich auf der Hauptstraße in Solingen unterwegs und muss sagen: Es ist erschreckend, wie wenig dort los ist. Die Leerstände nehmen zu, die Kundschaft wandert ab. Daran wird deutlich, dass der Handel die Rolle als alleiniger Frequenzbringer nicht mehr ausfüllen kann. Da braucht es andere Ansätze – Gastronomie, Spielplätze, Diskotheken, Events. Es muss sich lohnen, in die Innenstädte zu kommen. So ist es um die Hauptstraße bestellt.


Ist die Lage in Remscheid und Wuppertal besser?

Johnstone: Nicht wirklich. Wuppertal macht mir aktuell Sorge. Dort ist die Frequenz im Vergleich zwar am höchsten, die Geschäfte in Elberfeld leiden aber unter der Baustellensituation. Hinzu kommt die Schließung von Galeria Kaufhof. In Remscheid ist der Zustand der Alleestraße problematisch – dort ist die Lage ähnlich wie in Solingen.


Gibt es Entwicklungen, die Sie positiv stimmen?

Johnstone: Im Remscheider Allee-Center hat 2022 eine Ausbildungsmesse stattgefunden, parallel dazu war verkaufsoffener Sonntag. Da war richtig was los. Das zeigt: Die Menschen zieht es in die Innenstädte, wenn das Angebot stimmt. Zudem gibt es Pläne, die Alleestraße in Abschnitte einzuteilen – Handel, Wohnen und Freizeitaktivitäten.

Auch in Solingen setzen die Verantwortlichen auf eine breitere Mischung.

Johnstone: Ich bewundere Solingen für den Mut mit der Gläsernen Werkstatt. Ich habe dort eine Veranstaltung zum Thema Garten besucht – da war es richtig voll. Gut finde ich auch den Co-Working-Space an der Linkgasse. Man muss die Zentren auf unterschiedlichen Wegen beleben.

Reicht das aus?

Johnstone: Es braucht Angebote. Die Menschen müssen entscheiden, ob sie die annehmen. Letztlich geht es um ihre Innenstädte. Der aktuelle Zustand dürfte in niemandes Interesse sein.

Nachdem die Pläne vom Tisch schienen, könnte das Bergische doch ein Outlet-Center erhalten. Investor Philipp Dommermuth möchte es in Lennep errichten. Ist das gut oder schlecht für den regionalen Handel?

Johnstone: Darüber haben wir mit unseren ehrenamtlichen Ortsvorständen diskutiert. Das Echo war geteilt. In den Wuppertaler Einkaufszentren gibt es die Sorge, dass dort neue Mieterinnen und Mieter ausbleiben, weil sie auf das Projekt in Lennep warten. Anderseits gibt es Befürworter, die hoffen, von den zusätzlichen Besuchern profitieren zu können.

Was denken Sie?

Johnstone: Ich habe mir noch keine abschließende Meinung gebildet. Positiv ist, dass Nachhaltigkeit eine große Rolle spielen soll. Grundsätzlich könnte das Projekt die Region beflügeln. Andererseits sieht jeder, dass unsere Innenstädte schwächeln – wollen wir riskieren, dass sich diese Entwicklung verstärkt? Wenn das Outlet-Center floriert, die Zentren dagegen verwaist sind, ist niemandem geholfen.


Es würden zahlreiche neue Jobs entstehen. Wie steht es um die personelle Situation im Einzelhandel?

Johnstone: Der Fachkräftemangel zählt zu den drängendsten Problemen. Seit zwei Jahren übersteigt die Zahl der Ausschreibungen die der Bewerbenden. Das macht sich auch an anderer Stelle bemerkbar: Viele Inhaberinnen und Inhaber haben Schwierigkeiten, einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin zu finden. Die Folge sind Gewerbeabmeldungen.


Wie löst man das Problem?

Johnstone: Es führt kein Weg daran vorbei, jungen Menschen zu verdeutlichen, welche Chancen der Handel bietet. Wenn sie sich beispielsweise zu Kaufleuten im E-Commerce ausbilden lassen, sammeln sie breite Erfahrungen, von denen die Unternehmen profitieren. Klar ist: Es braucht gute Verkäuferinnen und Verkäufer, die Menschen begeistern. Im Umkehrschluss bietet das Berufsbild unfassbar viel Abwechslung: von Erotikshop bis Lebensmittelhandel, von Discounter bis Bedientheke, von Mode bis Elektrogeräte. Der Handel muss auf sein Potenzial aufmerksam machen.

Bestehen dazu neben dem Tagesgeschäft Kapazitäten?

Johnstone: Die Lage ist angespannt. Viele Inhaberinnen und Inhaber sind damit beschäftigt, die Folgen der zahlreichen Krisen zu bewältigen. Das kostet nicht nur Zeit, sondern erschwert auch notwendige Investitionen. Schauen Sie sich nur an, wie die steigenden Energiekosten die Geschäfte belasten. In diese Situation fallen die Tarifverhandlungen für den Einzelhandel. Eine pauschale Anhebung der Löhne um 2,50 Euro pro Stunde, wie von der Gewerkschaft gefordert, sehen wir vor diesem Hintergrund als deutlich zu hoch an.


Was macht Ihnen Mut?

Johnstone: Einiges. Viele Händlerinnen und Händler haben erkannt, wie sie das Internet für sich nutzen können. Beispiele wie Hilden und Monheim machen vor, dass es auch im Jahr 2023 noch attraktive Innenstädte geben kann. Und dass jemand wie Philipp Dommermuth hier ein Outlet-Center eröffnen möchte, spricht für die Attraktivität der Region.

Zur Person: Timothy Johnstone

Seit April 2022 leitet Timothy Johnstone den Handelsverband für Wuppertal und die bergische Region – zunächst mit dem langjährigen Geschäftsführer Ralf Engel, der Anfang 2023 in Ruhestand gegangen ist. Der 30-Jährige ist halb Ire, halb Ruhrpottler. Zur Welt gekommen ist er in Gelsenkirchen, aufgewachsen in Essen. In Bochum studierte er Sozialwissenschaften, spezialisierte sich im Master auf die Themen Globalisierung, Transnationalisierung und Governance.

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