Andacht im ST
„Et hätt noch immer jot jejange“?
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Theologen laden im ST zur Andacht ein – heute Bernd Reinzhagen, evangelischer Pfarrer in Wald.
Liebe Leserin,
lieber Leser,
die Wellen schlagen über einem Menschen zusammen: die Ministerin, die aus dem Amt „gegangen“ wird, der Mitarbeiter von Borbet (ehemals Kronprinz), dessen Arbeitsplatz wegfällt, die Eltern, die über ihre Kinder verzweifeln. Keine Perspektive, keine Hoffnung, keine Zukunft. Am liebsten möchte man raus. Weg von alldem. Den Kopf in den Sand stecken. Vogel-Strauß-Politik. Aussitzen, verdrängen. Und dann? Dem allen mit rheinischem Fatalismus begegnen: „Et is, wie es ist, un et kütt wie et kütt“ und vor allem: „Et hätt noch immer jot jejange“? Oder: „Hinfallen, Aufstehen, Krone richten, Weitergehen“?
In der Bibel begegnet uns dazu eine kleine und wundersame Geschichte, nachzulesen im Matthäusevangelium 14,22ff. Da wird berichtet, dass Jesus am späten Nachmittag seine zwölf Jünger drängte, schnell ohne ihn aufzubrechen, um mit dem Boot nach Genezareth über den See zu rudern. Er selbst zog sich auf einen Berg zurück, um seinen seelischen Akku aufzuladen. Währenddessen bahnte sich auf dem Wasser ein Drama an. Fallwinde am See, ein Sturm, meterhohe Wellen, Dunkelheit und ein Boot mit zwölf Männern, dass sich in eine Nussschale verwandelt, mit dem die Wellen spielen.
Es gibt genug Lebenssituationen, die sich wie diese Seenot anfühlen: persönliche Katastrophen, Krisen und Verletzungen, Probleme, die wie eine Wellenwand über uns zusammenzubrechen drohen.
Und dann kommt Jesus über das Wasser und sagt diese Worte: „Seid getrost, ich bin's; fürchtet euch nicht!“ Mitten in ihrem Existenzkampf erblickten die Jünger einen Schatten auf dem Wasser, der sich ihnen näherte. Sie hatten offensichtlich vergessen, dass Jesus alle Macht von seinem Vater im Himmel bekommen hatte. Sie rechneten überhaupt nicht mehr mit ihm. Wie wir?
Rechnen wir mit Jesus? Rechnen wir mit Gott? Oder vertrauen wir nicht doch eher auf unser Können, unser Wissen, unsere Kraft? Aber: Sind die Sicherheitskonzepte, die wir für unser Leben haben, wirklich tragbar? Haben wir immer den berühmten „Plan B“ in der Tasche?
Und so kommt Jesus. Streckt seine Hand aus. Lädt ein. „Komm zu mir“, ruft er, „komm! Vertraue und komm!“ Nehmen wir die Einladung an? Die geöffnete Kirchentür hier in vielen Kirchen? Das Wort des Freundes, wenn er sagt: „Komm zu mir, wenn du Probleme hast!“ Gerade an den Wendepunkten des Lebens? Gerade dann, wenn unser Vertrauen, unser Glaube in Wanken gerät? Wenn wir uns fragen, wie denn eine solche Katastrophe, ein solcher Schicksalsschlag passieren kann?
Gott lädt ein. Gott bewahrt und hilft. Aber eben nicht auf Vorrat. Der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer, der als Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime hingerichtet wurde, schrieb einmal in seinem Glaubensbekenntnis: „Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandkraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie und nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.“
Unser Glaube an Gott ist keine Versicherung gegen Erfahrungen des Leides und des Todes, keine Versicherung gegen Scheitern und Niederlagen. Unser Glaube macht nicht alles sofort wieder heil und gut. Aber wir können darauf vertrauen: Gottes liebevolle Gegenwart auf allen unseren Wegen ist uns zugesagt. Seine Hand ist ausgestreckt und führt uns auch über schwierige Phasen. Aber unser Glaube schenkt uns die Gewissheit: Gott fühlt unser Scheitern und unsere Schmerzen mit. Er zählt unsere Tränen. Er ist „ein Gott, der mich sieht“ (1. Mose 16,18; Jahreslosung 2023). Gott wartet. Und geht mit uns durch dick und dünn. Und löst uns von unseren Ängsten von unseren Zweifeln, von unserem Kummer. Gott sei Dank!
Bleiben Sie behütet, wünscht
Ihr Bernd Reinzhagen