Uni-Vortragsreihe
Demokratie und Diskussionskultur: „Der Westen ist mitverantwortlich“
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Professor Detlef Sack spricht über „Corona, Energie und Demokratiezufriedenheit – Diskussionskultur in Krisenzeiten“.
Von Axel Richter
Bergisches Land. Sein Schreibtisch liegt voller Bücher, an den Wänden hängt kein Bild und noch hat der Professor nicht alle Kartons ausgepackt, die in einer Ecke seines neuen Büros an der Bergischen Universität Wuppertal gestapelt sind. Doch Prof. Dr. Detlef Sack ist Provisorien gewöhnt. In China hat er geforscht und gelehrt. In Russland ebenso. Mit Autokraten kennt sich der Politikwissenschaftler also aus. Und er beobachtet mit Sorge, dass es davon immer mehr gibt auf der Welt. Daran ist der sogenannte Westen allerdings nicht ganz unschuldig, sagt der Wissenschaftler und warnt: Auch nicht in den USA und auch nicht in Deutschland ist die Demokratie sicher. Schon gar nicht in Kriegs- und Krisenzeiten.
Wie steht es um die Diskussionskultur und die Zufriedenheit mit der Demokratie im Land? Antworten auf die Frage gibt der Professor am kommenden Montag auf Einladung des Solinger Tageblatts. Mit seinem Vortrag im Gründer- und Technologiezentrum gibt Detlef Sack die Auftaktvorlesung der Uni-Vortragsreihe 2023. Zum 32. Mal holt das ST damit die Wissenschaftler vom Wuppertaler Grifflenberg in die Klingenstadt. Vier spannende Themen verspricht die Vortragsreihe. Der Auftakt ist brandaktuell.
Weltweit ist die Demokratie auf dem Rückzug. In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Autokratien gewachsen. Brasilien, Indien, die Philippinen nennt Sack als Beispiele für drei bevölkerungsreiche Staaten, in denen die demokratischen Prinzipien mindestens ins Hintertreffen geraten und in denen die Herrschenden mit brachialer Gewalt gegen Minderheiten vorgegangen sind. Zugleich gewinnt China an Einfluss im Pazifik, ebenso in Afrika, und präsentiert sich und sein Gesellschaftsmodell dort als Gegenentwurf zum Westen.
Dass das in Indonesien, Äthiopien, Kenia und anderen Staaten auf fruchtbaren Boden fällt, haben sich die Demokratien allerdings ein Stück weit selbst zuzuschreiben. „Der Westen hat den Staaten des globalen Südens seit den 90er Jahren mit einer unfassbaren Arroganz erklärt, was eine gute und richtige Demokratie ausmacht und diese mit Marktmacht und auch mit militärischen Mitteln einzuführen versucht“, sagt Detlef Sack: „Dabei wurde weitestgehend ignoriert, dass es in anderen Kulturen sehr wohl Herrschaftsformen gibt, die Mitbestimmung erlauben.“
Auch in Europa herrschen nicht überall die gleichen Vorstellungen von Demokratie. Das zeigen Ungarn und Polen. Dennoch will Detlef Sack den Menschen dort auf Augenhöhe begegnen. Deshalb sucht er die Kooperation zum Beispiel mit der Andrássy Universität in Budapest. Seine Drähte nach St. Petersburg – Sack war an der Staatlichen Universität von 2010 bis 2021 Dozent – sind seit dem Krieg gegen die Ukraine dagegen gekappt.
Trifft den Westen eigentlich auch eine Mitschuld an der Radikalisierung Russlands? „Keine Schuld“, sagt Detlef Sack, „aber für die Entwicklung ist der Westen mitverantwortlich“. Fehlerhaft nennt der Politologe die diplomatischen und strategischen Entscheidungen insbesondere 2007 / 2008. Damals ging es darum, der Ukraine und Georgien Schutz zu gewähren. „Dass sich Staaten, die einst Teil der Supermacht Sowjetunion waren, der Nato zuwenden, musste von Russland doch als Zumutung empfunden werden“, sagt Sack und fragt: „Wie naiv muss man sein, anzunehmen, dass das einfach so hingenommen wird?“
Seine Aggression richtet Russland unterdessen nicht nur militärisch gegen seine unmittelbaren Nachbarn. Seit Jahren versucht das Putin-Regime, die westlichen Demokratien zu destabilisieren, indem es Populisten in den Parlamenten und Wirrköpfen auf den Straßen unterstützt. Mit Erfolg? „Teile aus dem rechten Spektrum wünschen sich ein deutlich anderes Demokratiemodell in Deutschland“, weiß Detlef Sack. Allerdings seien diese Teile weit von einer politischen Mehrheit entfernt. „Die Daten zeigen im Gegenteil eine breite Zustimmung für die Demokratie in unserem Land“, sagt der Wissenschaftler. „Ob es in zehn Jahren noch genauso ist, das ist allerdings eine andere Frage.“
Denn auch die Demokratie in Deutschland hat Probleme. „In unseren Parlamenten sitzen beinahe ausschließlich diplomierte Leute“, sagt der Professor: „Nicht die Friseurin und nicht der Bauarbeiter.“ Das habe seinen Grund: „Sie brauchen Zeit und Sie brauchen Ressourcen, um sich politisch zu engagieren.“ Wer beides nicht hat, bleibt von der politischen Teilhabe ein Stück weit ausgeschlossen. Zudem ändert sich wenig. „Denken Sie mal an die Pflegekräfte“, sagt Detlef Sack: „In der Pandemie wurde ihnen applaudiert. Und was ist aus den Versprechen für eine bessere Bezahlung geworden?“
Der Professor ist dennoch kein Kulturpessimist und zählt sich nicht zu jener „griesgrämigen Mehrheit“, die er in Deutschland beobachtet. Denn gegenüber der passiven Masse, die die Dinge missgelaunt hinnehme, gebe es sehr wohl viele Menschen, „die richtig Lust haben, etwas zu machen“, sagt Sack. Dass sie um die beste Politik streiten, gehöre dazu. „Problematisch wird es erst, wenn es nicht mehr um die Sache geht, sondern wenn die Person als Person angegriffen wird.“
Hintergrund
Zur Person: Prof. Dr. Detlef Sack (57) studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Germanistik an der Universität Kassel. Nach Promotion und Habilitation war er neben zahlreichen Lehr- und Forschungstätigkeiten im In- und Ausland bis Herbst 2021 an der Uni Bielefeld tätig. Heute arbeitet der verheiratete Vater von drei Kindern an der Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften an der Bergischen Universität Wuppertal mit dem Schwerpunkt Demokratietheorie und Regierungssystemforschung.
Termin: Am Montag, 27. März, spricht Prof. Dr. Detlef Sack im Gründer- und Technologiezentrum, Grünewalder Straße 29-31, über „Corona, Energie und Demokratiezufriedenheit – Diskussionskultur in Krisenzeiten“. Beginn ist um 19 Uhr. Der Eintritt ist frei.