So arbeitet das Amtsgericht
Herr Asperger, wie arbeitet das Amtsgericht?
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Amtsgerichtsdirektor Markus Asperger spricht im Interview über Online-Kriminalität, Digitalisierung und Fachkräftemangel.
Von David Bieber
Wie stark trifft der Fachkräftemangel die Justiz? Merkt man davon auch etwas an Ihrem Amtsgericht?
Markus Asperger: Das Amtsgericht Solingen spürt den Fachkräftemangel. Das gilt insbesondere auch für den nichtrichterlichen Dienst, ohne den ein Amtsgericht nicht funktionieren kann. Die Justiz bildet die Kräfte, die im Bereich der Rechtspflege für den nichtrichterlichen Dienst gebraucht werden, grundsätzlich selbst aus. Es sind in der Vergangenheit nur ausnahmsweise Kräfte aus anderen Bereichen eingestellt worden. Es gestaltet sich aber zunehmend schwerer, geeignete Bewerber für die justizeigenen Ausbildungsgänge zu finden.
Wie hat sich das Amtsgericht in den vergangenen Jahren verändert und welche Auswirkungen hat das auf die Arbeit des Gerichts?
Asperger: Eine der wesentlichen Veränderungen ergibt sich aus der fortschreitenden Digitalisierung. In der Justiz wird die Aktenführung in immer mehr Fachbereichen auf rein elektronische Aktenführung umgestellt. Dies verändert Arbeitsabläufe wesentlich. Und das Amtsgericht verändert sich in personeller Hinsicht. Während es im richterlichen Bereich immer wieder personelle Wechsel und damit eine recht ausgewogene Altersstruktur gab, wechselte das Personal im nichtrichterlichen Dienst über viele Jahre nur wenig. Dies führte zu einem hohen Altersdurchschnitt der Belegschaft. Innerhalb kurzer Zeit sind nun viele Bedienstete in den Ruhestand getreten, die durch junge Kräfte ersetzt werden. Dieser Generationenwechsel prägt derzeit die Arbeit bei Gericht ganz wesentlich.
Wie viel Aufwand hat eigentlich die Justiz mit gesetzlichen Vorgaben?
Asperger: Der Aufwand, der wegen gesetzlicher Vorschriften etwa im Bereich des Datenschutzes oder des Arbeitsschutzes betrieben werden muss, hat sich – wie wohl in allen anderen Bereichen der Arbeitswelt auch – deutlich erhöht. In der Rechtspflege ergeben sich regelmäßig neue Herausforderungen durch Änderungen von Gesetzen, auf die Rechtsprechung reagieren muss und die nicht selten Änderungen der gerichtlichen Verfahren zur Folge haben. Zudem hat die Corona-Pandemie Spuren hinterlassen und Veränderungen notwendig gemacht. Manches hat sich so bewährt, dass es nach Möglichkeit beibehalten wird: beispielsweise, für Antragstellungen Termine zu vereinbaren und in speziellen Räumen durchzuführen. Dies vermeidet unnötige Wartezeiten.
Was sind die größten Herausforderungen bei der Digitalisierung?
Asperger: Wir müssen die unterschiedlichen Erwartungen und Bedürfnisse der Rechtsuchenden im Blick behalten. Einerseits sollen die digitalen Angebote zeitgemäß ausgebaut werden. Andererseits soll das Gericht trotz fortschreitender Digitalisierung weiterhin für die gar nicht so wenigen Rechtsuchenden gut und problemlos erreichbar bleiben, die durch rein digitale Angebote überfordert werden – und deshalb auch in Zukunft den persönlichen Kontakt brauchen. Über die Einführung neuer Technologien und insbesondere die Digitalisierung entscheidet aber nicht jedes Amtsgericht selbst. So ist die Einführung der elektronischen Akte ein landesweites Projekt.
Und mit Blick auf die Mitarbeiter?
Asperger: Die berechtigten Interessen und Bedürfnisse der Bediensteten und die personellen Kapazitäten des Gerichts müssen im Blick gehalten werden. In einem immer stärker werdenden Kampf um gute Arbeitskräfte wird die Justiz attraktive Arbeitsbedingungen bieten müssen. Die Erwartungen der Bediensteten an einen attraktiven Arbeitsplatz stehen nicht selten im Konflikt mit den Erwartungen, die Rechtsuchende an das Gericht stellen.
Können Sie das näher erläutern?
Asperger: Die Rechtsuchenden brauchen verständlicherweise bürgerfreundliche Öffnungszeiten und eine möglichst gute Erreichbarkeit der zuständigen Bediensteten. Dem stehen deren Bedürfnisse entgegen: die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und daher flexiblere Arbeitszeiten etwa, Homeoffice-Tage oder Arbeitsphasen, in denen die konzentrierte Bearbeitung der Verfahren nicht durch Telefonate oder unangemeldete persönliche Vorsprachen unterbrochen wird.
Wie arbeiten Sie mit anderen Gerichten und staatlichen Behörden zusammen, um eine reibungslose Justiz zu gewährleisten? Kann man heutzutage überhaupt noch von „reibungsloser Arbeit der Justiz“ sprechen?
Asperger: Dort, wo eine Zusammenarbeit mit anderen Gerichten oder Behörden notwendig ist, gibt es gut eingespielte Abläufe, die eine reibungslose Durchführung der Verfahren ermöglichen. Nach meiner Überzeugung arbeitet die Justiz heute nicht weniger „reibungslos“ als früher. Ich glaube sogar, dass – über einen langen Zeitraum betrachtet – vieles heute besser funktioniert. Wo Menschen arbeiten, werden erfahrungsgemäß immer wieder auch Fehler gemacht. Die Justiz bildet insoweit keine Ausnahme.
Wie wird das Amtsgericht mit dem Anstieg der Fälle von Online-Kriminalität umgehen und braucht es härtere Strafen?
Asperger: Die Entscheidungen in Verfahren, die Online-Kriminalität zum Gegenstand haben, treffen die zuständigen Richterinnen und Richter in richterlicher Unabhängigkeit. Insoweit kann die Frage, wie „das Amtsgericht“ mit der Online-Kriminalität umgehen wird, nicht allgemein beantwortet werden. Ich möchte auch nicht beurteilen, ob höhere Strafen erforderlich sind. Nach meiner Einschätzung ist für eine effektive Bekämpfung kriminellen Handelns neben einer angemessenen Strafandrohung insbesondere auch eine hohe Aufdeckungsrate von Bedeutung. Viele Täter werden bei Begehung einer kriminellen Tat annehmen, ihre Täterschaft werde nicht aufgedeckt werden. Wer überzeugt ist, als Täter unentdeckt zu bleiben, wird im Zweifel die Begehung der Tat nicht von der Höhe der Strafandrohung abhängig machen.
Persönlich
Markus Asperger wurde 1960 in Hannover geboren. Im November 1989 wurde er als Richter auf Probe eingestellt und zunächst in einer Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal eingesetzt. Nach weiteren Stationen kam er 2004 an das Amtsgericht Solingen, zunächst als Vertreter des Direktors, seit Sommer 2008 als Direktor.