Das Wandern hat sich ausgezählt
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Von Angelika Berger
Gute Freunde von uns wohnen in Hessen. Bei gegenseitigen Besuchen gehen wir oft wandern. Annika, die Tochter unserer Freunde, hat kurz nach der Geburt eine Hirnblutung erlitten. Das hat sie aber nicht davon abgehalten, inzwischen Vorsitzende des Behindertenbeirats ihrer Arbeitsstätte zu werden oder am Berlin- Marathon teilzunehmen. Was sie nicht gut kann, ist rechnen. Bevor sie ihre Leidenschaft für’s Laufen entdeckte, war Annika eher nicht begeistert, wenn wir wandern wollten. Das lag aber eigentlich nur daran, dass sie immer fror, so schlimm, dass ihre Hände ganz blau wurden. Um sie abzulenken stellte ich ihr Rechenaufgaben. Irgendwann ging es um 12x12. Das konnte Annika nicht. Aber sie konnte 12+12+12+12 und so weiter, bis 144. Das dauerte eine Weile, in der wir ein ganzes Stück weiter gelaufen waren. Dieses Spiel ging über Jahre, bis Annika sich die 144 endlich gemerkt hatte. Die Inklusion wurde erst erfunden, als Annika ihre Schulzeit mit 18 hinter sich hatte. Für den letzten Schultag hatte der Lehrer sich ein Spiel ausgedacht. Alle Schüler und Schülerinnen standen auf, der Lehrer stellte eine Rechenaufgabe und wer die Lösung wusste, durfte sich setzen. Das ging eine Weile, bis der Lehrer einen raushauen wollte: 12x12. Annika ganz lässig: 144. Nicht nur dem Lehrer klappte die Kinnlade runter. Ich weiß noch, wie stolz sie war, als sie mir das erzählte. „Warum machen wir das?“ hat sie mich unterwegs immer gefragt. Annika, genau darum!
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