Geschichte
Das „Goldene Buch“ der Nazis ist nicht glorios
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Für Interessenten des Bergischen Geschichtsvereins stellte Stadtarchivar die Geschichte hinter dem Werk vor.
Von Philipp Müller
Solingen. Der Bergische Geschichtsverein hatte ins Stadtarchiv eingeladen. Doch nicht, um in staubigen Akten zu lesen, waren die an der Stadthistorie interessierten rund 20 Besucher gekommen. Der Leiter das Stadtarchivs, der Historiker Ralf Rogge, stellte die Geschichte des „Goldenen Buchs“ der Stadt Solingen aus der Nazizeit vor. In einem Holzrahmen lag es im Lesesaal des Archivs vor den Interessenten. Rogge berichtete zum Inhalt und zur langen Reise des Buchs in die USA nach 1945 und zurück im vergangenen Jahr in die Klingenstadt.
Denn nach dem Zweiten Weltkrieg galt das Werk mit 160 Seiten aus Pergament und einem Schweinsledereinbad lange als verschollen. Ernüchternd ist aber die Zahl der Einträge. Lediglich an 13 Tagen trugen sich zwischen 1933 und 1945 mehr oder weniger prominente Besucher der Stadt Solingen ein. Nach der Rückkehr des Buches im vergangenen Sommer wird es aber nicht mehr benutzt, es gilt heute als ein Dokument der Zeitgeschichte.
Ende 2019 hatte das Solinger Tageblatt erstmals öffentlich berichtet, dass das Buch noch existiert. Ein Sammler aus den USA wollte es zu Geld machen. Wie Rogge im Stadtarchiv verriet, hatte er da bereits Kontakt zu James Brown. Er bezeichnet ihn als einen fanatischen Sammler von Solingen-Gegenständen.
Brown, der das Buch über den Weg des Militaria-Handels 2018 erworben hatte, kann auch kein Licht ins Dunkel bringen, wohin das Buch nach der Besetzung Solingens Mitte April 1945 durch die amerikanischen Besatzungstruppen seine Reise angetreten hatte. So viel ist laut Rogge klar: Zuletzt befand sich das Buch in einem Tresor im Rathaus Potsdamer Straße. „Danach ist es verschwunden.“
Erst 2012 tauchten Hinweise auf das Buch wieder auf. Es wurde bei einer Militaria-Auktion für 6500 Euro angeboten. Rogge und die Stadt Solingen sahen Handlungsbedarf. Auch wenn das Buch zum angebotenen Preis nicht erworben werden konnte, sollte es zumindest nicht verkauft werden dürfen. So fand der verschollene Band zunächst seinen Platz in der Liste von „Lost Art“. Darin werden weltweit geraubte und verschollene Kunstwerke aufgeführt. Das Buch verschwand wieder in der Versenkung.
Dann meldete sich James Brown. Die Corona-Pandemie verhinderte die Rückgabe. Rogge berichtete, dass am Ende gar kein Geld an den Fan der Klingenstadt geflossen sei. Vielmehr besitzt der US-Amerikaner jetzt eine Fülle an digitalen Kopien zur Geschichte Solingens, die sein Privatarchiv bereichern. Dem sei eine eher entspannte Verhandlung vorausgegangen. Nach der Einigung habe sich Brown dann nach Solingen aufgemacht. „Brown kam zu uns und legte das Buch in einer Tüte einfach auf den Tisch im Lesesaal“, erzählte Rogge.
Der zweite Teil des Vortrags befasste sich mit den Inhalten und der Entstehungsgeschichte. Rogge vermutet, der von den Nazis 1933 eingesetzte Solinger Oberbürgermeister Dr. Dr. Helmut Otto habe es in Auftrag gegeben, weil Remscheid plötzlich auch so ein repräsentatives Werk hatte. Die Größen der Fachschule für die Stahlindustrie, dem Vorläufer des Deutschen Klingenmuseums, wurden damit beauftragt. Alles startete mit einer Loseblattsammlung. Ein kalligraphischer Text wies auf den ersten Promi hin, Reichsbankchef Dr. Hjalmar Schacht trug sich im November 1933 ein. Ein weiteres loses Blatt ziert den Namen von Dr. Robert Ley, dem Reichsführer der deutschen Arbeiterfront.
Doch noch am 21. Februar 1939 war das eigentliche Buch nicht fertig. Es entstand Druck, dass dies zum zwei Tage später stattfindenden Jubiläum der Stadt Solingen und ihrer ersten urkundlichen Erwähnung der Stadtrechte passieren solle. Es gelang. Trotz der handwerklichen Expertise aber wohl mit der heißen Nadel gestrickt, denn Rogge sagte: „Ein Meisterwerk der Buchbindekunst ist das nicht.“ Es müsste restauriert werden.
U-Boot-Fahrer im Goldenen Buch
Nur 13 Einträge weist das Goldene Buch der Stadt aus der Nazizeit auf. Darunter eine Delegation des U-Boots U 559. Das wurde drei Monate später im Mittelmeer getroffen. Aber es sank nicht sofort, und Teile der Verschlüsselungsmaschine Enigma und Code-Bücher gerieten in die Hände der Alliierten. A-Promis der Nazizeit finden sich nicht im Buch. Nach dem Motto „Knapp daneben, ist auch vorbei“ trug sich Propagandaminister Joseph Goebbels am 29. Januar 1940 ins Goldene Buch von Schloss Burg ein, damals eigenständige Stadt, kam aber nicht nach Solingen.