Mein Blick auf die Woche

Gedenken: Ein Signal, das dringend benötigt wird

bjoern.boch@solinger-tageblatt.de
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Zum 30. Jahrestag des Solinger Brandanschlags sind so viele Augen wie selten auf die Klingenstadt gerichtet. Warum das ein Risiko ist, aber auch eine Chance für ein starkes Signal in schwierigen Zeiten, beleuchtet ST-Lokalchef Björn Boch in seinem „Blick auf die Woche“.

Die Stadt steht am Montag vor einer großen Bewährungsprobe. Die Augen der Bundesrepublik und der Türkei werden auf Solingen gerichtet sein. „Die Stadt“ meint in diesem Fall die Stadtverwaltung, die den Besuch so vieler hoher Staatsgäste wie noch nie organisieren muss . Und die Stadtgesellschaft, die über all den Störgeräuschen nicht das Wesentliche vergessen darf.

Saime, Hülya und Hatice Genç, Gülüstan Öztürk, Gürsün İnce. Um diese fünf Mädchen und Frauen, die beim Brandanschlag 1993 ermordet wurden, muss es gehen. Um ihre Angehörigen, die wieder alle Kraft zusammengenommen haben, um mit der Presse zu sprechen und ihre „Botschaft von Liebe, Frieden und Toleranz“ zu vermitteln und zu teilen. Und das erstmals ohne Mevlüde Genç, die wie keine andere dafür gesorgt hat, dass der Name Solingen nicht nur für ein Verbrechen aus Hass gegenüber Fremden steht, sondern „für unglaubliche Stärke und Haltung“, wie es Ministerpräsident Hendrik Wüst im Interview mit dem Tageblatt ausdrückte.

Solingen hat die Chance, ein Signal zu senden

Dass Solingens Bemühungen um Versöhnung und Integration wahrgenommen werden, in Düsseldorf wie in Berlin, ist eine gute Nachricht. Davon brauchen wir viele in einer besorgniserregenden Zeit. Wenn selbst Menschen, die offen und freundlich gegenüber Fremden sind, sich sorgen, wie das alles zu schaffen sei angesichts von Ukraine-Krieg und verstärkter Fluchtbewegungen aus Afrika und dem arabischen Raum, ist das ein Alarmsignal. Ebenso wie die Tatsache, dass Menschen mit türkischer Abstammung auf wieder erstarkenden Rassismus aufmerksam machen.

Genau aus diesem Grund braucht es Gedenken – auch wenn niemand so recht erklären kann, wie es kommt, dass ausgerechnet zum 30. Jahrestag mit Frank-Walter Steinmeier und Bärbel Bas der erste Mann und die erste Frau im Staat gemeinsam zu Gast sein werden, begleitet von vielen Ministerinnen und Ministern. So groß die Fallhöhe für Solingen sein mag, so groß ist die Chance, ein Signal zu senden. Vielleicht ist es genau das Signal, das angesichts alarmierender Tendenzen benötigt wird.

Potenzielle Störungen gibt es im Vorfeld genug. Etwa die Briefe von drei der vier Verurteilten, die zwar die Anschläge bedauern und das Gedenken wichtig finden, vor allem aber ihre Unschuld beteuern. Das wäre, selbst wenn man der These von der emotionalen Aufgewühltheit rund um die Berichte zum 30. Jahrestag folgt, zu einem anderen Zeitpunkt klüger gewesen.

Vor allem aber die Pläne eines Neonazis und verurteilten Holocaustleugners, der vor dem Theater „gegen die antideutsche Instrumentalisierung“ demonstrieren will, geben Anlass zur Sorge – nicht nur, aber auch wegen möglicher Konflikte mit anderen Demonstranten.

Ob und wie der selbst ernannte „Volkslehrer“ auftreten darf, darum wird wohl bis zum Gedenktag erbittert gerungen – Infos der Behörden sind nur spärlich zu bekommen. Immerhin hat die Stadt offenbar geschickt verhindern können, dass diese unerträgliche Meinungsäußerung am Pfingstmontag auf ausgerechnet jenem Platz stattfinden wird, der tags zuvor in Mevlüde-Genc-Platz umbenannt werden soll. Von 10 bis 18 Uhr wird dort am Pfingstmontag nun eine Gedenkwache stattfinden, der Platz wird Meditations-, Andachts- und Gedenkstätte.

Gegen die Versuche, den Brandanschlag zu instrumentalisieren, braucht es vor allem starke Bilder. Die Idee von Familie Genç, den Opfern stärker als bislang ein Gesicht zu geben, kann genau diese Bilder liefern. Im Gedenken an: Saime, Hülya und Hatice Genç, Gülüstan Öztürk und Gürsün İnce.

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