Konferenz

„Arme Menschen sterben früher“ - was Solingen dagegen tut

Prof. Gerhard Trabert warnte: Armut hat gesundheitliche Folgen.
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Prof. Gerhard Trabert warnte: Armut hat gesundheitliche Folgen.

Mehr Krebs, psychische Probleme, höhere Selbstmordrate, zu geringe finanzielle Möglichkeiten für eine gesunde Ernährung: Mehr als 25.000 Solinger leben in Armut. Konferenz sucht nach Lösungen.

Solingen. Mehr als 25 000 Solinger leben in Armut oder an der Schwelle dazu. Die Auswirkungen für Betroffene beschränken sich nicht auf finanzielle Engpässe. „Das macht etwas mit den Menschen“, betonte Horst Koss (SPD). Der Sprecher des Büros der Solinger Armutskonferenz verwies auf gesundheitliche Folgen, Stigmatisierung, Einsamkeit. Darüber aufzuklären, Lobbyarbeit und Hilfe zu leisten, hat sich die Organisation auf die Fahne geschrieben. Am Donnerstagnachmittag kam sie zu ihrer zweiten Vollversammlung zusammen.

Im November 2021 hatte der Sozialausschuss beschlossen, die Armutskonferenz ins Leben zu rufen. Sie soll die Armuts- und Wohlstandsberichterstattung der Stadt kritisch begleiten und Empfehlungen im Kampf gegen Bedürftigkeit aussprechen. Die unterjährige Arbeit stellt das elfköpfige Büro sicher. Seine Mitglieder decken unterschiedliche Schwerpunkte ab, etwa Senioren sowie Jugend und Soziales.

Am Donnerstag stand im Theater und Konzerthaus das Thema Gesundheit im Fokus. „Arm zu sein bedeutet, früher zu sterben“, machte Prof. Gerhard Trabert in einem Pressegespräch vorab deutlich. Der Mainzer Mediziner ist Vorsitzender des Vereins Armut und Gesundheit in Deutschland und behandelt Menschen, die keinen Zugang zum Gesundheitssystem haben. 2022 trat er als parteiloser Kandidat für die Linkspartei bei der Bundespräsidentenwahl an – am Donnerstag informierte er, welche Konsequenzen ein Leben am Existenzminimum hat.

„Es gibt einen großen Zusammenhang zwischen Armut und Krankheit“, betonte Trabert. Mehr Krebsfälle, psychische Probleme, höhere Selbstmordrate, zu geringe finanzielle Möglichkeiten für eine gesunde Ernährung. Er plädierte für Begegnungsstätten gegen die Einsamkeit, für kulturelle Teilhabe und einen besseren Zugang zum Gesundheitswesen. Dieses bedürfe einer grundlegenden Reform. Er forderte niedrigschwellig arbeitende Einrichtungen dort, wo arme Menschen leben – inklusive Sozialer Arbeit. Oberste Prämisse müsse sein, Betroffenen den Weg zurück ins Regelsystem zu ebnen.

Viele der angesprochenen Themen beschäftigten das Büro der Armutskonferenz im ersten Jahr nach seiner Gründung. „Ich bin mit der Vielfalt sehr zufrieden“, sagte Horst Koss. Die Mitglieder beleuchteten, ob es in Solingen Kinder gibt, die hungrig in der Grundschule sitzen. Erkenntnis: Die Solinger Einrichtungen gehen „sehr verantwortlich“ mit dem Thema um. Zudem setzte sich das Gremium gegen Kinderarmut ein, nahm die Situation Alleinerziehender und Altersarmut in den Fokus, stellte Öffentlichkeit für die aus Sicht der Armutskonferenz zu geringen Bürgergeld-Regelsätze her.

Ein Durchbruch scheint beim Projekt „Kultur in den Quartieren“ bevorzustehen. „Der Wille ist da“, berichtete Uli Preuss (SPD). Er vertritt die Solinger Initiativen im Büro der Armutskonferenz. Hintergrund der Idee: Warum treten beispielsweise die Bergischen Symphoniker nicht an Orten auf, an denen statistisch gesehen Menschen mit geringem Einkommen leben? Nun gebe es „vielversprechende Gespräche“ mit dem Jugendsinfonieorchester der Musikschule.

Angesichts dieser Vorhaben zog Jan Welzel (CDU) eine „durchaus positive Bilanz“. Solingens Sozialdezernent berät die Armutskonferenz, bei der es sich nicht um eine städtische, sondern eine zivilgesellschaftliche Initiative handelt. Er hob hervor, dass die Gründung den Austausch zwischen den Akteuren, die sich mit Armut beschäftigen, verbessert habe. Die Zusammenarbeit sei unbürokratisch und schnell: „Das zeichnet Solingen aus.“

Lob für zahlreiche Initiativen in der Stadt

Möglich sei das, hob Uli Preuss hervor, nur dank der zahlreichen Initiativen in der Stadt: „Die verdienen Respekt.“ Er verwies unter anderem auf Tafel, Kirchen, Medimobil, Praxis ohne Grenzen, Gräfrath hilft, Zwar-Gruppen Kältebus, Service-Clubs und Sponsoren.

Bis in den Abend diskutierte die Vollversammlung der Armutskonferenz über die bisherige Arbeit – und Leitlinien für die kommenden Monate. Ohne der Debatte vorzugreifen, kündigte Horst Koss an, die Lage Alleinerziehender angehen zu wollen.

Situation

Vor knapp zwei Jahren hat die Stadt ihren Sozialbericht 2020 mit dem Schwerpunkt Armutsgefährdung mit Daten aus 2018 präsentiert. Wie sich die Situation in Solingen seitdem angesichts von Corona-Pandemie und Energiekrise entwickelt hat, dazu liegen keine aktuellen Werte vor. Zumindest die Zahl der Energiesperren – ein guter Indikator – ist Dezernent Jan Welzel zufolge nicht exorbitant gestiegen. Dennoch betonte Horst Koss: „Wir sind sehr an einer Aktualisierung des Sozialberichts interessiert.“

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